Wollen, können, müssen

Anfang der 2000er Jahre wünschte sich der amtierende Regierungschef und Möchtegern-Präsident Adrian Năstase ein künftig fünfjähriges Mandat der Präsidentschaft. Er setzte die Verfassungsänderung durch. Davon profitierte sein Gegenkandidat Traian Băsescu. Băsescu setzte die Wahl der Bürgermeister in einer einzigen Wahlrunde, vermeintlich und gezielt zugunsten seiner PDL, durch. Die PDL verlor die folgenden Kommunal- und Parlamentswahlen und ebnete den Weg für die USL. Băsescu errang die Sympathie der Zivilgesellschaft mit der Veröffentlichung der Securitate-Dossiers und mit der offiziellen Verurteilung des Kommunismus. Jetzt wurde ihm, nach Durchforstung seiner Securitate-Akte, der Beiname „Petrov“ zugelegt, sein Deckname als Securitate-Spitzel…

Es ist schon auffällig, wie die typisch rumänische Wendung, „Das/Etwas ist nicht zugunsten dessen, der es will, sondern dessen, dem es zufällt“, auf die rumänische Politikszene passt. Im Mai hatten wir das von Klaus Johannis (der Zivilgesellschaft und einem Teil der Opposition) gewünschte Justizreferendum. Vorgesehen war dabei auch die Volksabstimmung für das Interdikt jeglicher Änderungen der Justizgesetzgebung durch Eilbeschlüsse. Diese Forderung wurde positiv beschieden.
Nach der Investitur sitzt die Orban-Regierung in einem Dilemma. Ihr zur Seite die Zivilgesellschaft und Präsident Johannis. Bei der hin- und herschwappenden Parlamentsmehrheit und der Knappheit des einjährigen Mandats müsste sie die im Regierungsprogramm und von den Unterstützerparteien geforderten Änderungen der illiberalen Justizgesetze per Eilbeschluss stornieren oder ändern, die Sonderabteilung zur Ermittlung von Justizstrafsachen auflösen. Was durch ihre eigene Forderung per Volksabstimmung nicht geschehen sollte. Typisches Dilemma zwischen Wollen und Können.

Dazu kommt noch das Müssen. Um glaubhaft zu sein, nachdem diese Opposition drei Jahre lang gegen die Untergrabung der Justiz durch gezielt sie schwächende Gesetze einer autoritär dirigierten Parlamentsmehrheit gewettert hatte, muss sie nun Farbe bekennen und die Hebel der Macht nutzen. Da sie das Messer in die Hand bekommt, muss sie auch Reinschneiden in den Stuss, den PSD/ALDE angerichtet haben! Ihr eigener Vorstoß vom Mai dieses Jahres hindert sie jedoch daran. Sofern sie fair und moralisch sauber bleiben will. Dass sie das will, stelle ich außer Frage. Kann sie das auch, wenn sie glaubhaft bleiben will? Daraus folgt das nachdenklich stimmende Dilemma zwischen Moral und Politik, bzw. politischer Zukunft. Denn dieses einjährige Mandat, das sich die PNL mit aktivem Zutun von Johannis eingebrockt hat, kann zum Trampolin ins Nichts werden. Die politische Bedeutungslosigkeit droht der Regierungspartei PNL mit Premier Orban und seinem neu eingesetzten Regierungsteam. Eine Zukunft wie jene der PNȚCD nach ihrer Regierungsperiode 1996-2000: das Untergehen und Verschwinden von der politischen Bildfläche.

Zu alldem kommt noch die extrem kritische Wertung der Entwicklungen, Richtung Illiberalität, im rumänischen Justizwesen, durch die EU in ihrem jüngsten Länderbericht hervorgehoben, die, unisono mit der rumänischen Zivilgesellschaft, dringende Korrekturen fordert – was „offiziell“, also mit Parlamentsmehrheit, schier unmöglich ist. Die Isolation und Brandmarkung, in die Rumänien innerhalb der EU reinmanövriert wurde, muss dringend zurückgenommen werden. Unmoralisch wäre es, wenn das in Ignorierung des eigenen Wunschdenkens und des Referendumsergebnisses geschähe.

Wäre es aber auch illegitim? Mit welchen Kosten betreffs Wahlergebnisse 2020 kann das geschehen? Schneidet das Messer, das Johannis der PNL schenkte, ins eigene Fleisch?