Wort zum Sonntag: Die ersten Plätze

Wir Menschen werden von einer uns innewohnenden Macht immer wieder aufs neue zu Tätigkeiten angetrieben. Wer noch nichts ist, will etwas werden und wer schon etwas ist, will noch mehr werden. Was ist die Triebfeder, die uns nie zur Ruhe kommen lässt? Uns beherrscht das Begehren: Es soll uns gut gehen! Heute besser als gestern und morgen noch besser als heute. Wir werden von einer „Unruh“ getrieben wie in einer tickenden Uhr. Viele meinen, das Lebensglück könne nur mit einer hohen sozialen Stellung verbunden sein. Das menschliche Glück lasse sich auf die simple Formel reduzieren: „Herr sein“ über andere. Deshalb entbrennen oft erbitterte Kämpfe um die ersten Plätze in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen. Wie viele Intrigen wurden schon gesponnen, wie viele Schandtaten ausgeführt, wie viele Morde angezettelt, um Rivalen aus dem Weg zu räumen. Hat nun einer die angestrebte Stellung auf weiß Gott welchen krummen Wegen errungen, kann er sich dann sorglos seines vermeintlichen Glückes erfreuen? Kein Haus ist in einem notorischen Erdbebengebiet auf so unsicherem, trügerischem Boden gebaut, wie eine menschliche Machtposition. Die Geschichte bezeugt dies in Tausenden von Fällen.

Der römische Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.) erhob einen Günstling namens Sejanus zum Prätorianerpräfekten. Dieser lenkte und leitete von 21-31 n. Chr. die Geschicke des großen römischen Weltreiches. Der Kaiser selbst verbrachte die meiste Zeit auf der Insel Capri, um sich zu erholen. Sejanus schaltete und waltete ganz nach eigenem Gutdünken. Er war ehrgeizig, hab- und herrschsüchtig und behandelte die übrigen Würdenträger des Reiches von oben herab. Durch sein hochfahrendes Benehmen schuf er sich viele Feinde, die an seinem Sturz arbeiteten. Er hielt seine Position für unangreifbar, besaß er doch die Gunst und das Vertrauen des Kaisers. Aber das unaufhörliche Ränkespiel der Hofbeamten führte schließlich zum Erfolg. Es gelang ihnen, den Kaiser, der von Natur aus misstrauisch war, davon zu überzeugen, dass Sejanus nach der Kaiserkrone strebe. Einige Zeilen von des Kaisers Hand an den gefügigen Senat genügten, um Sejanus zu verderben. Er wurde verhaftet, vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Man schleifte den Unglücklichen an einem eisernen Haken johlend durch die Straßen Roms zum Tiber. Dort wurde der Halbtote von der entmenschten Menge buchstäblich zertrampelt. Das war das schreckliche Ende des Sejanus. In der Geschichte wiederholt sich immer das Gleiche: Je höher einer steigt, umso tiefer kann er fallen.

Im Evangelium sind die Apostel Jakobus und Johannes in Sorge, sie könnten im Reiche Christi zu kurz kommen. Sie wollen dem Glück etwas nachhelfen. So bitten sie Christus, er möge ihnen in seinem kommenden Reich die zwei ersten Plätze reservieren. Sicherlich hat Christus über diese Bitte den Kopf geschüttelt. In seinem Reiche, das nicht von dieser Welt ist, dürfen nicht die Spielregeln der Reiche gelten, die von dieser Welt sind. In einem Reich von dieser Welt richtet man sich nach dieser Devise: Es soll mir gut gehen, womöglich besser als den andern. Je höher man steht, umso besser geht es einem. Im Reiche Christi aber gilt eine andere Devise: Ich soll gut werden! Je tiefer man vom Stolz, Eigendünkel und Ehrgeiz herabsteigt,umso besser wird man. Die ersten Plätze im Reiche Christi sind nicht für die Machtgierigen bestimmt, sondern für solche, die in Liebe dienen. Macht verdirbt den Menschen. Kein Wein- und Sinnenrausch hält so lange an, wirkt sich so unheilvoll aus, wie der Machtrausch. Macht nützt andere aus - Liebe macht sich ihnen nützlich. Macht beugt die Menschen - Liebe richtet sie auf. Macht will herrschen - Liebe will dienen. Macht gebiert den Egoismus - Liebe erzeugt Selbstlosigkeit.

Wer im Geiste Christi leben will, richtet sein Leben danach ein, unabhängig von der Position, die er im Leben einnimmt.

Wir werden wohl niemals Günstlinge hochgestellter Persönlichkeiten werden. Das soll uns wenig anfechten. Dennoch ist etwas Größeres möglich. Wir können dem höchsten Herrn der Welt, Gott, ganz ganz nahe kommen. Wir benötigen dazu keinen hohen Rang und keinen erlesenen Titel, sondern ein mit Gottes- und Menschenliebe erfülltes Herz!