WORT ZUM SONNTAG: Die Welt – das Wartezimmer Gottes

Liebe Leser,

am 10. Sonntag nach Trinitatis ist im Kirchenjahr der Israelsonntag verankert. Aus den Vorbereitungsmaterialien zu diesem Sonntag der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ entnehme ich folgende Geschichte mit der Überschrift „Im Wartezimmer Gottes“:
Ganz zuletzt, am letzten Tag, sitzen die würdigsten Vertreter aller Religionen und Konfessionen in einem Wartezimmer, wie bei einem Arzt, und die Tür ist noch verschlossen.

Jeder sitzt für sich und hat, statt der sonst üblichen Illustrierten, die eigenen Schriften dabei. Ja, auch die Thora, das Neue Testament, den Koran ... Darin blättern sie und heben immer wieder den Blick, lassen ihn kurz über die anderen hinwegschweifen und fragen sich: Wer wird wohl der Erste sein, der Zweite, wen ruft er als Letzten hinein? Wird die Zeit überhaupt reichen – es sind ja so viele – oder werden einige von uns hier nicht eingelassen werden? So sitzen sie da in diesem letzten Wartezimmer. Fast könnte man meinen, trotz all der Stille und des friedlichen Eindrucks, sie belauerten sich. Sie tun es ja auch. Dann, nach langer, langer Zeit, geht die Tür auf und der Ewige ruft alle zu sich herein, alle auf einmal. Gott sieht sie alle an. Mag sein, dass er dabei sogar lächelt. Vielleicht aber auch nicht. Wer weiß das schon? Doch dann stellt Gott nur eine Frage: „Warum habt ihr nicht miteinander geredet? Ihr hattet doch so viel Zeit.“

„Warum redet ihr nicht miteinander?“ spricht Gott und schickt sie wieder zurück in das Wartezimmer, noch einmal zurück in ihr Leben, verlängert noch einmal die Zeit.Wo das Wartezimmer für uns ist? Es ist doch hier, wir sind mittendrin. Soweit die Geschichte.
Der Israelsonntag hat die Aufgabe, dass wir Christen uns unserer Wurzeln bewusst werden. Unsere Wurzeln liegen nicht nur im Neuen Testament und seiner Zeit. Unsere Wurzeln liegen auch im Judentum, im Alten Testament. Dort finden wir Texte, die uns nicht immer geläufig sind, Texte, für die wir meist Erklärungen brauchen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass mir ein Teil dieser Texte nicht durch Vorlesungen im Theologiestudium, sondern erst nach dem Gespräch mit Rabbinern, aus den Besuchen in den Synagogen, überhaupt verständlich wurden.

Es war für mich die Erkenntnis, dass ein Dialog aufklären kann, dass das interreligiöse, aber auch das zwischenmenschliche Gespräch einander näher bringt, dass durch den Austausch von Erfahrungen Vorurteile überwunden werden, dass gemeinsame Wege zur Deutung des Glaubens gefunden werden können. Über der Woche des Sonntags steht der Wochenspruch aus Psalm 33, Vers 12: „Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.“ Dieses Volk ist das Volk
Israel, es sind die Juden. Und so wurde der Israelsonntag von den Kirchen auch deshalb eingesetzt, weil es uns etwas angeht, dass Gott seinem Volk die Treue hält. Das hat insofern auch mit uns etwas zu tun, da wir durch unsere Offenheit zu den Juden Gott besser verstehen und unser Leben als Christen besser verstehen, wenn wir auf Gottes Treue zu seinem Volk achten. Wenn wir miteiander reden.

Lasst uns nun zum Schluss Fürbitten halten:
Vater im Himmel wir bitten dich heute zuerst für dein Volk Israel. Lass Juden überall auf der Welt in Ruhe und Sicherheit wohnen.Wehre dem Antisemitismus unter den Völkern. Bring Leben in die Beziehungen zwischen Christen und Juden. Lass uns einander so annehmen und ehren wie wir sind, damit dein Wille in der Welt geschieht und Juden und Christen ein Segen füreinander und für andere sind. Amen.