Wort zum Sonntag: Feuer vom Himmel

Nehemia, ein deportierter Israelit, wurde nach der Befreiung der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft vom persischen König Artaxerxes zum Statthalter von Jerusalem ernannt. Er baute die Stadtmauern und den Tempel wieder auf. Es wird berichtet: Als Nehemia den neuerbauten Tempel einweihen wollte, sandte er Priester zu der Zisterne, in welcher nach der Zerstörung Jerusalems das Feuer verborgen war, das im Tempel bis zu seiner Zerstörung unaufhörlich gebrannt hatte. Sie fanden aber nur trübes, schlammiges Wasser. Dennoch brachten sie es herbei und gossen es über den Opferaltar. Als die Sonne aus den Wolken trat, entzündete sich eine mächtige Flamme und verzehrte das dargebrachte Opfer. Wissenschaftler werden dieses Ereignis auf natürliche Weise erklären: Der schlammigen Masse entströmten brennbare Gase, die durch die Sonnenstrahlen entzündet wurden. Das mag sich tatsächlich so zugetragen haben. 

Aber am Pfingstfest entzündete ein Feuer Menschenherzen, das nicht von der Erde, sondern vom Himmel kam. Es war das Feuer des Heiligen Geistes. Wie durch das Feuer im Schmelzofen das Metall von der Schlacke gereinigt wird, so wirkte das Pfingstfeuer in den Herzen der Apostel. Sie waren Menschen mit Schwächen und Fehlern und hatten auf ein irdisches Reich Gottes gewartet, in dem sie sich hohe Ehrenposten erhofften. Noch kurz vor der Himmelfahrt Christi richteten sie an ihn die Frage: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich Israel wieder her?“ Das Feuer des Heiligen Geistes verzehrte die Schlacke der rein natürlichen Hoffnungen, wie einst das Nehemia-Feuer die Opfergabe verzehrt hat. Gestärkt und durchglüht von diesem Himmelsfeuer wurden die Apostel dazu befähigt, die Botschaft Christi in die Welt zu tragen. Sie ist Weltreligion geworden. Jordan von Sachsen, der erste Nachfolger des Ordensstifters Dominikus, gebrauchte zum Verständnis des Pfingstfestes ein anderes, aber einleuchtendes Bild. Seine Mitbrüder baten, ihnen am Pfingstfest eine Predigt zu halten. Er war aber sehr krank und konnte nicht lange reden. Nun ließ er sich einen mit Wasser gefüllten Becher reichen. Den leerte er aus und füllte ihn mit Wein. Dazu gab er die Erklärung: „Soll der Becher den Wein aufnehmen, so muss das Wasser ausgeleert werden. Am Pfingsttag wurden die Apostel mit dem Heiligen Geist erfüllt, aber erst, nachdem sie dem eigenen Geist völlig entsagt hatten. Macht auch ihr es so wie sie!“ 

Alle Religionen bis zum Christentum waren „Diesseitsreligionen“. Sie wollten den Menschen zu einem sorglosen, friedlichen und leidlosen Leben auf Erden verhelfen. Deshalb sollten böse Geister durch Beschwörung und Opfer gutgesinnt, gute Geister hilfsbereit gemacht werden. Es ging um Freisein von Not und Leid. Das Christentum, das von den Aposteln verkündet wurde, ist eine „Jenseitsreligion“. Hier geht es nicht um Befreiung von materieller Not und irdischem Leid, sondern von Sünde und Schuld, damit der befreite Mensch würdig werde, in die ewige Gemeinschaft mit Gott zu treten. Im Christentum wird das Hauptgewicht nicht auf dieses kurze vergängliche irdische Leben gelegt, sondern auf das verheißene zukünftige ewige Leben.

Eltern können die christlichen Werte nicht als geistiges Erbgut weitergeben wie körperliche Merkmale, wie etwa Gestalt, Gesichtsform, Augen- und Haarfarbe. Hier gilt nicht das Evolutionsgesetz wie in der materiellen Natur: Aus dem Niederen entwickelt sich Höheres. Es wird also nie so sein: Die Eltern sind gute Menschen, die Kinder werden noch bessere und die Enkel ultragute Menschen sein. Nein. Jede Generation steht am Anfang. Jeder Mensch aus jeder Generation muss in sich selbst den christlichen Werten zum Durchbruch verhelfen. Das war in den Anfängen des Christentums nicht leicht, das ist auch heute nicht leicht. In uns muss der gute, Gott zugewandte Mensch gegen den sinnlichen, genusssüchtigen Menschen ankämpfen. Eines ist sicher: Werden in der Familie und in der Gemeinschaft die christlichen Werte gepflegt, so werden die Kinder und die Mitmenschen die christlichen Werte leichter in ihr Leben einbauen. Stemmen wir uns gegen den gottwidrigen Zeitgeist. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Möge das Pfingstfeuer vom Himmel unser Herz entzünden und so durchglühen, dass es von der Schlacke des Unedlen befreit wird und wir als neue geisterfüllte Menschen suchen, „was droben ist“.