Das Evangelium des 1. Fastensonntags schickt uns mit Jesus in die Wüste. Allein der Gedanke an eine Wüstengegend ruft in uns Bilder von Trockenheit, endlosen Sanddünen, Staub, Dürre und Leblosigkeit hervor. „Wüste“ ist ein zeitloses Bild und in seiner Bedeutung seit Menschengedenken, von der Zeit des Alten über das Neue Testament bis heute unverändert. In der Wüste gibt es so gut wie kein Leben, die Wüste zählt zu den lebensfeindlichen, chaotischen Bereichen der Welt, die man möglichst meidet. Wüste steht für extreme Hitze, Trockenheit, Durst, Hunger; Bedrohung durch wilde Tiere oder Dämonen, aber auch für menschliche Einsamkeit und Verlassenheit – da sind Ohnmacht, Leblosigkeit und Tod nicht weit. Genau dieser extreme geografische Ort und menschliche Zustand wird im Alten Testament auch zum Ort des Heils. Die Wüste, hebräisch „midbar“, ist Ort der Gottesbegegnung für Mose, das Volk Israel und viele Propheten. Der Exodus, der Weg in die Freiheit, ist untrennbar mit dem Durchzug durch die Wüste verbunden. Gott verheißt seinem Volk, dass sich die Wüste in fruchtbares, blühendes Land verwandeln wird (Jes 35; 40,3; 41,19).
Nicht von ungefähr steht Johannes der Täufer am Anfang des Neuen Testaments, an der Schnittstelle zum Alten Bund, und er tritt nicht von ungefähr als „Rufer in der Wüste“ auf, „um den Weg des Herrn zu bereiten“ (Jes 40): „Kehrt um und glaubt!“ Leise ist zu vernehmen, wie die Wüste, griechisch „eremos“, auch hier zum Ausgangspunkt des kommenden Heiles wird.
Nach der Taufe am Jordan „trieb der Geist Jesus in die Wüste“ (Mk 1,12); das Matthäus- und Lukasevangelium sagen, dass „Jesus vom Geist in die Wüste geführt wurde“ (Mt 4,1; Lk 4,1). Mit dem Wissen, dass dort die Versuchung Jesu durch Teufel folgt, interpretiert man an dieser Stelle gerne voreilig die Führung durch einen umtriebigen, bösen „Geist“ hinein. Doch es ist der Heilige Geist, die göttliche „dynamis“, die den Sohn Gottes mit der harten Realität und menschlichen Abgründen konfrontiert.
Jenseits von menschlichem Hass und Feindschaft ist die Wüste ein Ort der Ödnis, der Leere, der Versuchung und des geistlichen Kampfes; während der vierzigjährigen Wanderung in der Wüste hatte das Volk Israel viele Versuchungen erlebt und ihnen auch nachgegeben (vgl. Ex 32,1-6; Num 14,1-4). Wüste ist ein extremer Ort und an genau diesem Tiefpunkt ist sie auch Ort der Begegnung mit Gott.
Wenn Jesus in die Wüste geht, knüpft er an die geschichtliche Erfahrung seines Volkes Israel an. Aber im Gegensatz zum Verhalten Israels, das sich manchen Versuchungen hingibt, überwindet er die Zeit der Einsamkeit und geistlichen Prüfung mit Hilfe des Wortes Gottes und des Gebetes. Jesu Aufenthalt in der Wüste ist nicht nur eine Episode, sie ist ein Lehrstück für ihn, für seine Jünger und für uns. Später spricht Jesus zu seinen Jüngern davon, dass Beten und Fasten notwendig sind, um die „unreinen Geister“ auszutreiben (vgl. Mk 9,29 Vulg.). Und in der dunklen Nacht von Gethsemani fordert er die verbliebenen Apostel dazu auf: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Mk 14,38).
40 Tage Wüste sind eine lange Zeit, jede Menge Gelegenheit zu verdursten, zu verzweifeln, den Verstand zu verlieren, von Gefahren getötet zu werden und zu sterben. Manchmal müssen wir dazu nicht weit weg in eine Wüste gehen, oft genug beginnt die Verwüstung bei uns selbst und in uns persönlich. Es könnte eine gute Übung für die Fastenzeit sein, meine eigenen Versuchungen und Verwüstungen zu beobachten. Dem ersten Impuls nicht zu folgen, etwas nicht zu sagen, was einem gerade auf der Zunge liegt, oder etwas nicht zu tun. Versuchungen kommen und gehen. Es liegt an uns, ob wir uns von ihnen verunsichern und treiben lassen oder kühlen Kopf bewahren und unser wahres Ziel nicht aus den Augen verlieren: „Bleibet hier und wachet mit mir...“