WORT ZUM SONNTAG: Quelle der wahren Erkenntnis

Alexander der Große war auf dem Weg, Indien zu erobern. Plötzlich kehrte er um. Nach einer Legende, ritt er einmal allein durch einen Wald. Da türmte sich vor ihm plötzlich eine goldene Mauer auf. Stundenlang ritt er an ihr entlang. Die Mauer musste doch eine Öffnung haben. Sie hatte eine Pforte. Dahinter stand eine hohe Gestalt mit einem Flammenschwert in der Hand. „Wer bist du?“ fragte der König. „Ich bin der Hüter des Paradieses“, war die Antwort. „Gib mir Einlass“, forderte der König. „Wer hier eintreten will“, sprach der andere, „muss mit mir kämpfen und mein Schwert entzweischlagen“. Alexander kämpfte mit dem Wächter und schlug sein Schwert entzwei. Da sprangen die Pforten der anderen Welt auf und Alexander durfte einen Blick in ihre Herrlichkeit werfen. Dann trieb ihn eine unsichtbare Gewalt fort. Er ritt nach Hause und legte sich zum Sterben nieder.

Was will uns diese Legende sagen? Auch wir hoffen auf eine bessere und schönere Welt. Unsere jetzige Welt ist ein „Jammer- und Tränental“. Wir hoffen: Es muss doch eine andere, bessere Welt geben. Wo ist sie zu finden? Fragen wir die Philosophen. Die müssten doch mehr darüber wissen als wir, einfache Menschen. Ihre Antwort ist deprimierend. Die Philosophen des Materialismus belehren uns: Es gibt nur diese materielle Welt. Sie ist noch kein Paradies. Das müssen wir schaffen. Aber die Resultate dieser Bemühungen waren grausame Diktaturen, harte Arbeit, karger Lohn, Eiserner Vorhang, Unfreiheit. Wir jubelten, als diese materialistische Seifenblase zerplatzte.

Vielleicht können uns die Philosophen des Idealismus mehr darüber sagen. Der Philosoph Kant (1724-1804) ist der prominenteste Vertreter dieser Richtung. Was sagt er uns? Er behauptet, wir könnten nicht einmal die Dinge dieser Welt, „das Ding an sich“, erkennen, geschweige eine andere Welt. Er lehrte, unser Erkennen bestehe aus Empfindungen, die wir mit den uns angeborenen Erkenntniskategorien umkleiden. Diese seine „Erkenntnis“ verglich er mit der Entdeckung des Kopernikus, der herausfand, dass sich die Sonne nicht um die Erde, sondern umgekehrt, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Das stimmt auch. Aber die Behauptung Kants, dass sich die Dinge nach unserer Erkenntnis richten und nicht unsere Erkenntnis nach den Dingen, kann nicht stimmen. Dann wäre allen Naturwissenschaften der Boden der Forschungen entzogen. Und was noch schlimmer ist: Laut Kant kann die Vernunft keine Schlüsse ziehen, die die Erfahrungswelt überschreiten. Deshalb müssen wir, laut seiner „Kritik der praktischen Vernunft“, daran zweifeln, dass es einen Gott, eine unsterbliche Seele und ein ewiges Leben gebe.

Ist das der Weisheit letzter Schluss? Ein Mann ging auf Reisen. Als es dunkel wurde, zündete er seine Laterne an. Doch das Licht verlosch. Er zündete die Laterne wieder an und wieder ging sie aus. Das geschah bei jedem Versuch. Schließlich sagte sich der Mann: „Wie lange soll ich mich mit dieser Laterne abplagen? Ich warte, bis die Sonne scheint, dann brauche ich die Laterne nicht mehr.“ So ist es auch mit uns. Unsere Verstandeslaterne reicht mit ihrem Licht nicht bis in die andere, so ersehnte Welt. Sie kann kaum unsere nächste Umgebung beleuchten. So müssen wir auf das Licht der Sonne Gottes warten. Das erkannten die Menschen schon frühzeitig. Deshalb erscholl aus ihrer Herzensnot der Adventsruf: „Tauet, ihr Himmel von oben! Ihr Wolken regnet den Gerechten! Die Erde tue sich auf und sprosse den Retter hervor!“
Mit all unseren Geisteskräften können wir Menschen die Pforte der anderen Welt nicht öffnen. Gott aber kann die Pforte unserer Welt umso leichter öffnen. Deshalb ist Christus aus der anderen Welt auf unsere Welt herabgestiegen. Aus eigener Erkenntnis und Kraft finden wir nicht den Weg zum wahren Gott. Deshalb sandte Er seinen Sohn, dass Er uns finde. Er hat uns gefunden. Die selbstherrlichen Philosophen und auch wir einfachen Leute sollen wie die Hirten zur Krippe eilen. Dort finden wir alle gemeinsam die Quelle der wahren Erkenntnis.