WORT ZUM SONNTAG: Vorbild und Zeichen

Gott offenbarte sich Abraham unmittelbar (1. Mose 15,1-6), er redete mit ihm, wie er einst mit Adam und Noah geredet hatte, später mit Jakob, Mose und den Propheten und wie Jesus es tat mit seinen Aposteln: Im Klartext, ohne Gleichnisse, ohne Bilder wurden diese Männer eingeweiht in den göttlichen Heilsplan. Es war jedes Mal eine sehr persönliche Zwiesprache mit Gott, für andere nicht einsichtig. Objektiv, also wissenschaftlich, war gar nichts gesichert; es hätten genausogut Hirngespinste sein können, doch Abraham war davon überzeugt und wandelte mit Gott. Sein Glaube trieb ihn aus seiner Verwandtschaft und aus seiner Heimat, er machte ihn einsam, aber erfolgreich und geachtet bei den Menschen aus seinem Umfeld. 

Für uns ist bemerkenswert, dass Abraham über seiner direkten Beziehung zu Gott nicht zum Theologen wurde, der anderen Gott erklären wollte, sondern er behielt seine Erfahrung für sich, so dass die anderen nur die positiven Folgen seines Gesegnet-Seins mitbekamen. Er wurde den Heiden zum Vorbild, aber nirgends steht, dass er zur Nachahmung aufgerufen hätte. Aus der Geschichte der Kirche ist ebenfalls bekannt, dass in Zeiten der Unordnung und des moralischen Niedergangs der vorbildliche Lebenswandel der Christen mehr Interesse für das Evangelium weckte, als es der Predigt gelang. Aber ob jemand mit Gott wandelt, ist nicht bloß eine menschliche Entscheidung; Gott muss es auch wollen.

Gott überschüttete Abraham, der anfangs Abram hieß, mit Verheißungen, deren ganze Bedeutung der kinderlose Schafzüchter mit Sicherheit nicht verstehen konnte und vielleicht auch nicht wollte, denn seine Frau war unfruchtbar, und Gott verhieß, ihn zum großen Volk in einem großen Land zu machen. Und darüber hinaus sollte er, den niemand kannte, zum Segen werden für alle Völker. Abraham blieb bei alledem nüchtern, denn er sah etwas anderes vor Augen, als Gott ihm verhieß. Ihn beschäftigte mehr die Frage des Nachlasses in Ermangelung eines leiblichen Erben. Es war ihm nicht alles eins, seinem Knecht Eliéser von Damaskus sein Vermögen zu hinterlassen, ein eigener Sohn wäre ihm lieber gewesen.

Heute denken die meisten ganz anders: da wird kein Unterschied mehr gemacht zwischen eigenen Kindern und zugewanderten Arbeitskräften, es interessiert nicht mehr die Zukunft, sondern nur die Leistung in der Gegenwart. Niemand fragt danach, wem das Erarbeitete hinterlassen wird, wer es weiterführen soll. Auf die Zukunft hin sorgt man sich mehr um das Überleben der Eisbären und Fledermäuse in artgerechten Biotopen als um den Fortbestand von Menschenfamilien. Aber Gott macht keinen Bund mit der Politik, sondern mit Personen. Und weil Abraham persönlich es will, schenkt Gott ihm einen Sohn im Alter, so dass der Segen und das Vermögen in der Familie bleiben und nicht dem fremden Knecht zufallen.

 „Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ Christen agieren auch viel mit Glauben und Gerechtigkeit, oft ohne lang darüber nachzudenken. Wir hören z.B. Leute sagen, sie glauben, und sehen dann, dass sie  leben wie die Ungläubigen. Und aufgrund ihres gefühlten Glaubens halten sie sich für gerechtfertigt vor Gott. Gerecht sein vor Gott aber heißt zurechtgerückt, -gebracht, -geschnitten, -gehämmert, je nachdem es einer nötig hat, um passend zu sein für Gott, passend zu seinem Willen, passend zur Wahrheit, zur Liebe und zum Frieden. Wenn wir uns Gerechtigkeit aus Glauben zusprechen, dann müssen wir wie Abraham Gott in allem gehorchen und ihm die Treue halten. Amen.