Zeit für Hut

Symbolfoto: sxc.hu

Man hört es immer wieder: Das waren noch Zeiten, als Männer Hüte trugen! Elegant sah es aus, und unverwechselbar männlich. Ohne Hut war man einfach nicht komplett, die meisten wären lieber ohne Schuhe auf die Straße gegangen als ohne Hut. Heute ist das Huttragen selten. Das Hutziehen ebenfalls. Ich habe zumindest eine Hutsammlung, die mich von der Spitze der Bücherschränke angucken, als Relikte der Vorzeit.

Da wäre die Melone aus einheimischer Produktion, Paul Gvoitsch, Hutkönig, steht auf dem Innenfutter und Sibiu-Hermannstadt darunter. Den Bowler, wie sich die Melone in der englischsprachigen Welt nennt, hat mir meine Tante vor Jahrzehnten verehrt, meine Sammlerleidenschaft richtig einschätzend.
Daneben der Dreispitz aus Venedig. Der Dreispitz stammt aus einem magischen Laden, bei dem ich nicht einmal weiß, ob er wirklich existiert. Ich könnte den Weg zu ihm nicht erklären, jedoch habe ich ihn dreimal auf Anhieb wiedergefunden, die Rialtobrücke links und dann zwei Gässchen und drei Brücken rechts, in der Ecke einer Piazetta. Betrieben wird er von einem älteren Ehepaar, das wort- und gestenreich die ausgestellten Masken erklären kann, sodass auch ein Nicht-Italienisch-Sprecher ihre Geschichte auf Anhieb versteht. Ma certo, geht das!

Weiter rechts steht ein einst reicher, aber nun herabgekommener Verwandter, ein Zylinder aus Boston. Was muss das für ein feiner Herr gewesen sein, der ihn vor anderthalb Jahrhunderten getragen hat! Sein Futter war aus blütenweißer Seide, das Hutband aus feinem Leder mit eingestanztem Monogramm, E. K. Sein Äußeres aus pechschwarzem Samt kündet noch von den glorreichen Zeiten, die er mal gesehen haben muss. Nun hängt die Seide in Fetzen herunter, da sie sich für eine Mottenfamilie als wohlschmeckend erwiesen hat, das Hutband ist abgelöst, die Krempe stockfleckig. Aber er schweigt vornehm, wie es nur einst große Herren können.

Etwas weiter hat die Kopfbedeckung eines orthodoxen Mönches den Platz. Bei einer der zahlreichen Reisen ins Buchenland geriet ich auch in einen Klosterladen, der Pfarrer- und Mönchskleidung feilbot. Ich deutete auf die einfachste Kopfbedeckung (die anderen waren viel zu teuer), als die Nonne plötzlich fragte:
„Was wollen sie denn mit dem Hut?“
Auf die Frage nicht gefasst, antwortete ich der Wahrheit gemäß: „Er ist für meine Sammlung.“
Die Nonne war nicht überzeugt. Ob ich gedenke, ihn für irgendwelche Rituale einzusetzen?
Rituale? Ich versuchte die Bedenken der Nonne so gut wie möglich zu zerstreuen. Ich erzählte vom venezianischen Dreispitz, was sie sichtlich kalt ließ. Sie verkaufte ihn mir dann trotzdem, denn Geld ist Geld. Jetzt sehe ich ihn manchmal an, und frage mich, an was für Rituale wohl die Nonne dachte, als sie die Frage stellte...

Schließlich der Fez, der kleine Fez aus rotem Samt, erstanden auf den Straßen Istanbuls. „Only one dollar! Only one dollar!“ hatte mich der Händler gelockt. Und ich habe angebissen. Nebenbei bekam ich noch eine Lektion in orientalischer Seelenkunde. Gratis. Als ich den Handel abwickelte, bremste plötzlich ein Wagen, mitten auf der Fahrbahn. Der Fahrer stieg aus und ging seelenruhig zum Brezelverkäufer, der seinen Stand neben dem Hutverkäufer aufgeschlagen hatte. Sofort bildete sich eine lange Autoschlange, wer den Moloch Istanbul kennt, weiß, wovon ich spreche. Beeilte sich der Fahrer? Keinen Deut. Er hielt sogar noch ein kurzes Schwätzchen mit dem Verkäufer. Die Autofahrer warteten brav in der Schlange, keiner hupte. Allah wollte es, Allah wird es auch lösen. Und tatsächlich, der Mann stieg ein und fuhr weg, der Stau löste sich langsam auf...

Jeder Hut – eine Geschichte. Gestern traf ich einen bekannten Arzt, der missbilligend auf mein bares Haupt sah. „Sie wissen aber schon, dass der Körper 30 Prozent der Wärme über den Kopf verliert?“ Vielleicht wäre es an der Zeit, einen Hut zu besorgen.