Zerstörte Lebensräume

Wie Natur und Tierwelt vom Krieg in der Ukraine beeinträchtigt werden

Auswirkungen weit über die Ukraine hinaus: Vergeblich warten Vogelschützer in Kaschmir auf die Ankunft der Zugvögel aus Europa. Ihre Routen haben sich geändert, schwächere Arten schaffen die längeren Wege nicht...

Nicht nur Haustieren raubt der Krieg ihren gewohnten Lebensraum...

Tote Delfine im Schwarzen Meer: Forscher vermuten, dass die Tiere durch die Echolotsysteme der Kriegsschiffe ihre Orientierung verlieren. | Symbolfotos: Pixabay

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat zahlreiche und vielseitige Auswirkungen auf das Land und seine Bewohner – aber ebenso und vielleicht viel langfristiger auf die Natur und die darin lebenden Tiere, deren Lebensraum und Überleben dadurch gefährdet werden, insbesondere da die Ukraine als eine der Drehscheiben für Zugvögel weltweit gilt. In über einem Drittel der Naturschutzgebiete in der Ukraine wird derzeit gekämpft. Über 600.000 Hektar Wald wurden bereits zerstört und rund ein Drittel der ukrainischen Landoberfläche ist vom Krieg betroffen, was die Ökosysteme schwerwiegend beeinträchtigt. Das ukrainische Umweltministerium spricht von Schäden im Wert von rund 37,8 Milliarden Euro – nur was die Umwelt betrifft, ohne Haus- oder Zootiere mit einzubeziehen. Doch „die Umweltschäden eines Krieges sind nur eine andere Art von menschlichen Schäden“, erklärt Carroll Muffet vom Center for International Environmental Law.


Rund 4900 Quadratkilometer sind in der Ukraine Naturschutzgebiete, die über 45.000 unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten, von denen 354 vom Aussterben bedroht sind, beherbergen, geht aus einem Bericht des Fachjournals „Conservation Frontiers“ hervor, welches in Zusammenarbeit mit der Universität Michigan he-rausgegeben wird. Eine Analyse der Zeitschrift „The Economist“ zitierend, unterstreicht die Fachzeitschrift die langfristigen Auswirkungen des Krieges auf die Tierwelt in der Ukraine und weit darüber hinaus. 

Lärm, Brände, Umweltverschmutzung, Not-Wilderei

Auch wenn in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche bedrohte Tierarten in der Ukraine einen sicheren Zufluchtsort gefunden haben und deren Anzahl zu wachsen scheint – beispielsweise der Euro-Asiatische Braunbär, der Euro-Asiatische Luchs oder der Büffel, insbesondere in der verlassenen Tschernobyl-Region – scheinen die Lebensräume der Tiere durch den Krieg dennoch schwerwiegend zu leiden. Nicht nur durch den durch den Waffenkonflikt entstandenen Lärm, verfehlte Geschosse, zerstörte Lebensräume, durch den Absturz von Flugzeugen, Inbrandsetzungen oder Wilderei... Hinzu kommt, dass, aufgrund der Einstellung der Lieferketten, sowohl Soldaten als auch die übergebliebenen Bewohner oft genötigt sind, einfach auf die Jagd zu gehen, um zu überleben. Hinzu kommen diverse Projekte der Westmächte im Bemühen, Energielieferungen aus Russland zu umgehen, wie der Bau neuer Gas- und Öl-Pipelines, welche einen indirekten weiteren Druck auf die Natur ausüben.

Die Sanktionen gegen Russland haben aber auch zum Stocken der Kooperation im Bereich des Naturschutzes geführt, was zahlreichen Experten, welche Interesse an der Erhaltung der Brutplätze und den Lebensräumen der Zugvögel in und um Russland haben, zu denken gegeben hat,  geht aus einem Bericht von Dr. Eduardo Gallo-Cajiao in der Fachzeitschrift „Conservation Frontiers“ hervor. 

Die britische NGO „Action Against Armed Violence“ (AOAV) hat nicht nur direkte Folgen der Kriege weltweit analysiert, wie zum Beispiel Bombeneinschläge, sondern auch die langfristigen Folgen durch die Änderung der Lebensräume der Tiere und durch die menschliche Umsiedlung sowohl während der Konflikte, als auch im Nachhinein. In der Ukraine seien seit dem ursprünglichen Ausbruch des Konflikts mit Russland im Jahr 2014 über 1,6 Millionen Bürger umgesiedelt, was entsprechende Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit auch auf die Umwelt und die Natur hatte. Verlassene Fabriken oder Bergwerke und nicht mehr entsprechend überwachte Anlagen, aber auch der Verlust jeglicher Umweltkontrollen, haben oftmals zu langfristigen Luft- und Wasserverschmutzungen geführt. Auch wenn sich in Bereichen, aus denen sich der Mensch zurückgezogen hat, wie beispielsweise in der Tschernobyl-Region, die Natur weiter entwickelt und unterschiedlichen Tierarten ein neues und sicheres Zuhause bieten konnte – beispiels-weise für Braunbären, Luchse oder Büffel – wie aus den Daten des Fachjournals „Conservation Frontiers“ hervorgeht – scheint der Krieg insgesamt dennoch die Lebensräume aller Tierarten stark zu beeinträchtigen. So zum Beispiel wurde im Naturschutzgebiet Kamyani Mohyly die einzige ukrainische Kolonie Dalmatinischer Pelikane durch Explosionen zerstört. Soldaten hätten in der Gegend Fische, Hirsche, Wildschweine und sonstige Tiere exzessiv gejagt. Gleichzeitig sei die Anzahl Wölfe gestiegen, was für die in der Region verbliebenen Landwirte und deren Tierzuchten ein großes Problem darstellt.

Auch die Brutplätze des Europäischen Bibers oder des Steppenstinktiers, weitere geschützte Tierarten, die in der Ukraine beheimetet sind, aber auch ständig durch Wilderer wegen ihres wertvollen Fells gejagt werden, sind durch den Krieg bedroht – und somit das Überleben der Spezies selbst, schreibt die „Society of Conservation Biology“. 

Zugvögel: Bruträume zerbombt, Flugrouten geändert

In der Ukraine fliegen jährlich über 434 Vogelarten, wobei 18 vom Aussterben bedroht sind, geht aus einem Bericht von Martin Harper, Regionalleiter der Organisation „BirdLife Europa & Zentralasien“, in Zusammenarbeit mit Oleg Dudkin,dem Leiter der Ukrainischen Vogelschutzbehörde, hervor. Nun haben Bombenangriffe, die Nutzung von Drohnen und sonstigen fliegenden Objekten, aber auch unkontrollierte Waldbrände infolge der Bombenangriffe oder abgestürzte Flugzeuge auch die Vogelwelt durcheinandergebracht. Lebensräume und Brutplätze sind verschwunden, Wilderern und Holzdieben schaut niemand mehr über die Schulter. Allein im Biosphärenreservat des Schwarzen Meeres, welches an der südlichen Küste der Ukraine liegt, versammeln sich im Winter über 120.000 Zugvögel in einem „bunten Spektrum rarer Spezies“, schreibt die „New York Times“. Nun droht der andauernde Konflikt, diese Zufluchtsstätte zu zerstören. 

Und die Auswirkungen sind nicht nur lokal. Naturschützer aus Kashmir, Indien, vermissen zahlreiche Zugvögel aus Europa, laut einem Bericht vom Januar 2023 des Fachjournals „Science & Health“. Höchst-wahrscheinlich habe der Krieg die Flugrouten der Zugvögel geändert, weswegen es schwächere Vogelarten überhaupt nicht oder nur mit großer Verspätung nach Indien schaffen würden. Experten erwarten mit großer Neugier die nächste Zählung der Zugvögel, um zu sehen, in wieweit der Konflikt in der Ukraine zu einer Minderung der europäischen Zugvögel (z. B. des Schwarzstorchs oder des Rosapelikans) geführt hat. Der Krieg „gefährdet nicht nur die ukrainische Vogelpopulation, sondern die Biodiversität selbst“, erklärte  Dudkin.

Explosion toter Delfine

Auch an den Gewässern lassen sich die Auswirkungen des Krieges spüren. Das Schwarze Meer ist dafür bekannt, dass es unter ca. 150 Metern Tiefe komplett tot ist – das bedeutet, dass grundsätzlich alle Lebewesen an unmittelbarer Meeresoberfläche leben und somit vom erhöhten Schiffs- und U-Bootverkehr stark beeinträchtigt sind. Ivan Rusev, Leiter des Tuzly-Nationalparks im Süd-Westen der Ukraine, erklärte für BBC, dass während des Krieges zwischen Februar und August 2022 über 35 tote Delfine an die Küste geschwemmt wurden, im Vergleich zu einem normalen Jahr mit vielleicht drei bis vier Exemplaren. Nach Gesprächen mit Vertretern anderer Nationalparks am Ufer des Schwarzen Meeres (mit Ausnahme derer aus Georgien und Russland), hat er die Anzahl der so verstorbenen Delfine in den ersten Monaten des Krieges auf 2500 geschätzt. Auch Marian Paiu, Exekutivleiter der NGO Mare Nostrum, welche sich mit dem Studium und dem Schutz des Lebensraums Schwarzes Meer beschäftigt, hat die Zunahme der Todesfälle unter Delfinen in rumänischen Gewässern besorgt. Da die toten Tiere keine äußerlichen Verletzungen aufweisen, meint Rusev, die Todesursache sei höchst-wahrscheinlich auf die erhöhte Unter- und Überwassertätigkeit zurückzuführen. Insbesondere die häufige Nutzung von Ultraschallgeräten würde das Orientierungssystem der Delfine beeinträchtigen, weswegen diese kein Futter mehr finden und orientierungslos einfach sterben, vermutet Rusev. Es gäbe jedoch keinen eindeutig bewiesenen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Sonargeräten der Kriegsschiffe und dem Tod der Wassertiere, geht aus einem Accobams-Bericht  (Abkommen zur Erhaltung der Wale im Schwarzen Meer, Mittelmeer und der angrenzenden Atlantischen Zone) hervor. Ein Mangel, der aber auch auf den vertraulichen Charakter der Kriegsmanöver zurückzuführen ist. Dennoch hält Rusev die dramatische Erhöhung der Delfinkadaver im Schwarzen Meer seit Beginn der russischen Kriegsmanöver für alles andere als einen Zufall.

„Die Natur ist das stumme Opfer der Konflikte“, schlussfolgert Doug Weir, Forschungsleiter der britischen NGO „Conflict and Environment Observatory“. „Es wird sich auf uns alle auswirken“, fügt Yevgeniy Medvedovskiy, Leiter der Umweltbehörde für die ukrainische Region Zhytomyr, hinzu. Das volle Ausmaß des Schadens an der Natur hinter den Kulissen dieses schrecklichen Krieges wird sich wohl erst lange danach enthüllen.