Zugebissen: Herr, gib uns deinen Segen

Während Elon Musks Weltraumprogramm Bahnbrechendes erreicht, zum ersten Mal wurde die untere Raketenstufe nach dem Start aufgefangen, und in Jassy in einer über sechs Kilometer langen Warteschlange rumänische orthodoxe Gläubige für ihr Seelenheil bei den Reliquien der Heiligen Paraskewa anstanden, planten die rumänischen Präsidentschaftskandidaten sorgfältig ihr Programm für Montag. Egal von welcher Seite des politischen Spektrums kommend, egal ob christlich-nationalistisch oder progressiv eingestellt, gab es für den Wochenbeginn einen Fixpunkt: die Teilnahme am der genannten Heiligen gewidmeten Gottesdienst. Die Beziehung der orthodoxen Kirche zur rumänischen Politik ist nicht einfach. Es ist so gut wie unmöglich zu sagen, wer wen instrumentalisiert oder ausnutzt, dass aber in und von der Kirche Politik gemacht wird, ist eine Gegebenheit.

Jenseits so mancher modernistischen Stimme, die bei wenigen orthodoxen Kirchenvertretern zu hören ist, meistens werden diese schnell unterdrückt, bestimmt die eher traditionalistische Weltsicht dieser Kirche ihren Alltag. Viel problematischer, meiner Meinung nach, sind die radikalen Tendenzen innerhalb der Priesterschaft und in den Klöstern, die meistens totgeschwiegen werden. Mich prägt noch immer eine Videoaufnahme von 2014, auch jetzt noch auf YouTube zu sehen, wo anlässlich des 90. Geburtstags des bekannten Mönchs Justin Pârvu, diesem von um ihn in tiefer Ehrerbietung versammelten Nonnen die Hymne „Sfântă tinerețe legionară“ (Heilige Jugend der Legion) gesungen wurde. Es braucht keine tiefgehende Suche, um im Netz Aufnahmen von neolegionären Veranstaltungen zu finden, bei denen fast immer auch Vertreter der rumänischen Mehrheitskirche anwesend sind. Wenn eins und eins noch immer zwei sind, dann kann man auch leicht verstehen, dass dieselben ein derartiges Gedankengut in die rumänische Gesellschaft kolportieren.

Parteien wie Simions AUR oder Șoșoacăs SOS bieten sogar ein öffentliches Ventil dafür, so kann man einerseits den großen Zuspruch erklären, dem sich die beiden Parteien in klerikalen Kreisen erfreuen, und andererseits so manche unvertretbare Aussage der beiden anders einstufen. Und die Kirchenleitung schweigt dazu. Wenigstens in der Öffentlichkeit.

Kaum in die Nähe einer Kirche angekommen, werden rumänische Politiker zu den tiefgläubigsten Christen der Welt. Es geht ihnen nur noch um ihr Seelenheil und dadurch auch um das Heil der Nation. „Anima sana in corpore sano.“ Wie das erreicht werden kann, erklärt Ex-Securitate-Spitzel Seine Hochheiligkeit Erzbischof Teodosie von Tomis. Bei einem lokalen Radiosender hat er eine wöchentliche Sendung, im Rahmen derer er auf Fragen seitens der Gläubigen eingeht. Nicht selten haben seine dort in den Äther geschleuderten Aussagen für heftige Reaktionen gesorgt. Als er vor Kurzem gefragt wurde, wie er den Besuch von Fitnessstudios einstufe, empfahl er als Sportübung den regelmäßigen Kirchgang und das richtige Durchführen der sogenannten „m²t²nii“ (tiefes Verbeugen und Niederknien beim Gebet). Dieses sei die einzige sportliche Betätigung, die ein Christ braucht. Scheinbar haben das Rumäniens Politiker schon längst erkannt. Sie rennen bei jeder Gelegenheit in die Kirche, küssen alles, was geküsst werden muss, verbeugen sich bis zur Erde, knien mit der Last ihrer Sünden auf den Schultern nieder und legen ihr politisches Schicksal in die Hände der Pfarrer. Jeder und jede unter uns kennt die alte rumänische Weisheit: „Să faci ce spune popa, nu ce face popa“ (Du sollst das tun was der Pfarrer sagt, nicht was der Pfarrer macht) und allen ist daran gelegen, dass am Wahltag der Pfarrer in der Gemeinde das für sie Richtige sagt. Und wenn am Abend die Stimmzettel das erwartete Ergebnis mit sich bringen, weiß man, dass der Kirchenbesuch und die „m²t²nii“ sich ausgezahlt haben, dass man auch Dank der Pfarrer Gottes politischen Segen erhalten hat und dabei auch noch etwas für die eigene Gesundheit getan hat.