Zum Thema „Geliebte Stadtpfarrkirche“

Die Hermannstädter Stadtpfarrkirche – der Ausdruck einer gesellschaftlichen, geistigen und kulturellen rund 700-jährigen Entwicklung

Abb.1 – Ansicht der Stadtpfarrkirche von Südosten vor der Restaurierung (um 1975)

Abb.2 –Verwitterte Hausteine an Giebeln, Profilen und der Abdeckung der Strebepfeiler (1970)

Abb. 3 –Der östliche Giebel der Südfassade nach der Restaurierung

Abb. 4 –Zeichnung mit dem Vorschlag für die Gestaltung der Dachhaut mit glasierten Ziegeln. Projekt LK und DMI (1975)

Abb. 5 –Spenderziegel 1984

Unter dem Titel „Geliebte Stadtpfarrkirche“ sind auf der Nordseite der Hermannstädter Stadtpfarrkirche sieben Tafeln auf dem Zaun befestigt worden, die zu den an der Kirche laufenden Restaurierungsarbeiten Stellung nehmen. Unter dem Titel  „Großprojekt  Stadtpfarrkirche“ wird darauf hingewiesen, dass jede Generation vor Herausforderungen gestellt wird, die der Pflege und dem  Erhalt des Baudenkmals dienen. Auf  einigen Tafeln werden Fotografien mit Arbeitern auf der Baustelle, von kirchlichen Veranstaltungen, historische Darstellungen und Zeichnungen aus Restaurierungsprojekten gezeigt.

In einer Chronik werden Ereignisse und Fakten aus der Geschichte der Kirche aufgeführt, von denen einige kommentiert werden können, so zum Beispiel der Text zum Jahr 1672: „Die große Orgel wird errichtet... Ihr Prospekt ist erhalten und stellt den ältesten Orgelrest in Siebenbürgen dar.“ Es gibt wohl noch ältere „Orgelreste“ in Siebenbürgen (dazu Hermann Binder, „Orgeln in Siebenbürgen“, GMV Hermannstadt 2000, Vorsicht mit Superlativen!).

Auch die Charakterisierung der Restaurierung des Innenraums der Kirche1853 -1855 mit den Worten: „Der mittelalterliche Prunk weicht protestantischer Schlichtheit“ kann man nur begrenzt akzeptieren. Das sächsische Verständnis von der Umgestaltung katholischer Kirchenräume im Zuge der Reformation hat sich rund 300 Jahre früher gebildet; man kann es besser an den Umbauten und der Gestaltung von sakralen Räumen im 16. Jahrhundert definieren. So gesehen, kann man beim Zustand der Kirche vor 1853, die damals Ergänzungen der Renaissance und des Barock enthielt (denken wir hier nur an die Grabsteine und Epitaphien, die fast durchgehend in diesen drei Jahrhunderten entstanden sind), nicht vom mittelalterlichen Prunk sprechen.

Zu der Feststellung 1905-1914: „Der Innenraum wird weiß getüncht und mit einem neuen Altar, mit neuer Kanzel und Bänken ausgestattet...“ ist zu bemerken, dass Kanzel, Altar und Kirchenbänke nicht Anfang des 20. Jahrhunderts, sondern im Zuge der Restaurierung 1853 - 1855 neu hergestellt worden sind. Auch war der Innenraum der Kirche bis 1905 weiß getüncht, wie das übrigens auch auf der ausgestellten Fotografie des Innenraums zu sehen ist (Foto Auerbach, um 1880). Bei der Restaurierung 1905-1914 ist der Verputz der Wände (leider!) abgeschlagen und ein Verputz aufgetragen worden, der als Edelputz sichtbar gedacht war; dieser bestimmt auch heute das Aussehen des Innenraums der Kirche.

Für mich wichtig, da sie meine Person betrifft, ist die Eintragung von 1975, sie lautet: „Die Dacheindeckung wird nach einem Entwurf von Dr. Hermann Fabini erneuert.“ Diese Aussage kann zweifach hinterfragt werden. Erstens habe ich den Entwurf nicht als Doktor – den Titel hatte ich damals noch nicht – sondern als Architekt gemacht, und zweitens wurde die Dachdeckung nicht 1975 sondern 1983-1984 erneuert.

Ich möchte diese Informationen zum Anlass nehmen, um über die Arbeiten an der Stadtpfarrkirche in der Zeitspanne von 1973-1995 zu berichten. 1971 bin ich von der staatlichen Denkmalpflege (Direcţia Monumentelor Istorice Bukarest, DMI) aufgefordert worden, als Projektleiter auf Baustellen in Südsiebenbürgen zu arbeiten. 1973 wurden auch Arbeiten an der Hermannstädter Stadtpfarrkirche in Aussicht genommen und 1974 ein Detailprojekt für die Konsolidierung und Restaurierung des Südvorbaus der Stadtpfarrkirche erstellt, das bis 1976 durchgeführt worden ist. Ebenfalls im Auftrag der staatlichen Denkmalpflege und des Landeskonsistoriums (LK) wurde 1975 ein Projekt für die Neueindeckung des Daches und die Restaurierung der Fassaden der Kirche ausgearbeitet. Zu der Umsetzung dieses Projektes ist es nicht mehr gekommen, da 1977, nach einem Erdbeben, das in Bukarest große Zerstörungen verursacht hat, die staatliche Denkmalpflege, die sich kritisch zu dem Abriss von Bukarester Baudenkmälern geäußert hatte, von Ceau{escu kurzerhand aufgelöst wurde.

Direkter Anlass für den Beginn der Arbeiten 1983 waren Schäden im südlichen Seitenschiff, verursacht durch eindringendes Wasser in den Dachkehlen zwischen den Satteldächern auf der Südseite der Kirche. Die Holzverschalung dieser Kehlen war mit verzinktem Blech ausgekleidet, das an verschiedenen Stellen durchgerostet war. Größere Schäden gab es auch an den Hausteinelementen der Fassaden, besonders an Giebeln und Profilen der Südfassade, aber auch auf der Nordfassade befanden sich die Strebepfeiler des Seitenschiffs in schlechtem Zustand. Auch der Verputz an den Fassaden war durch das Eindringen von Wasser an vielen Stellen beschädigt (Abb. 2).

Das Projekt für die Erneuerung der Dachhaut ging davon aus, dass die Kirche früher eine Dachhaut aus glasierten Ziegeln gehabt hat, was durch die Erwähnung glasierter Ziegel in verschiedenen Urkunden und durch noch vorhandene glasierte Ziegel an einzelnen Stellen der Dachhaut (Abb. 1) bekannt war. Farbe und Anordnung dieser verbliebenen Ziegel waren Ausgangspunkt für die Erstellung des Projektes, bzw. der später durchgeführten Lösung. Bei der Herstellung der Ziegel konnte die Kirche auf die Unterstützung des Kreiskommunalunternehmens rechnen, dessen Direktor Simon Schorsten, der sich einige Jahre früher mit viel Elan für die Restaurierung der Aula des Brukenthalgymnasiums eingesetzt hatte, auch die Arbeiten am Kirchendach mit beeindruckender Bereitschaft unterstützt hat. Es wurde ein Brennofen für das Glasieren der Ziegel eingerichtet. Später stellte sich heraus, dass besonders bei weißen oder cremefarbenen glasierten Ziegeln die Qualität, die hier in Hermannstadt erzielt werden konnte, nicht entsprechend war. Im weiteren Verlauf der Arbeiten wurden dann hauptsächlich Ziegel aus Hatzfeld/Jimbolia verwendet.

Die schadhaften Dachkehlen auf der Südseite der Kirche sind frisch verschalt und mit Kupferblech ausgekleidet worden. Aus Kupferblech wurden auch die restlichen Hohlkehlen der Kirche erstellt. Dachrinnen und Abfallrohre, ebenfalls aus Kupferblech, sind über Vermittlung von Architekt Ulrich Keicher, Eschenbach, von der HG Hermannstadt aus Deutschland angeliefert worden. Um das Eindringen von Wasser über Hausteine in den Giebeln der Fassaden und der Abdachung der Pfeiler zu verhindern, wurden diese Flächen mit Kupferblech abgedeckt, das auf einem Gerüst aus Betoneisen befestigt wurde, was auf der Unterseite für eine entsprechende Lüftung sorgt. Der direkte Kontakt von Kupfer und Eisen wurde durch Isolierung unterbunden (Abb. 3).

Auf alten Darstellungen sind die Giebel der Stadtpfarrkirche, noch im 19. Jahrhundert, von Kreuzblumen gekrönt; sie sind im Lauf der Zeit der Witterung zum Opfer gefallen. Da es zu dem Zeitpunkt nicht möglich war, die Kreuzblumen aus Natursteinen herzustellen, nahm man das Angebot der Firma Mineros dankbar an, die Kreuzblumen aus Kunststein in Deutschland herstellen zu lassen. Acht Kreuzblumen sind so geliefert und während der Restaurierung der Fassaden eingebaut worden (Abb. 3).

Man fragt sich heute, wie diese Investition möglich war, wie das Geld für Materialien und Lohnkosten beschafft werden konnte. Die Kosten beliefen sich, wenn ich mich richtig erinnere, auf  etwa 1,2 Millionen Lei, eine Summe, der rund 100.000 DM entsprachen. Man konnte damals über Bukarester Firmen im Bauwesen einen günstigeren Wechselkurs für DM erhalten. Wie bei der Restaurierung der Schwarzen Kirche in Kronstadt sind auch bei diesem Vorhaben Mittel von Kirchen aus dem Westen eingesetzt worden. Anderseits muss gesagt werden, dass annähernd die Hälfte der Investition durch Spenden von Mitgliedern der  Kirchengemeinde gedeckt werden konnte. Es gab wiederholte Spendenaufrufe, auch konnte man für Spenden eine Bestätigung oder einen kleinen Dachziegel (Entwurf Wilhelm Fabini, Abb. 5) mit dem Text „Dem Spender für das Dach der Stadtpfarrkirche Hermannstadt“ bekommen. Ich erinnere mich, dass damals zahlreiche Spenden von je eintausend Lei eingegangen sind. Die Arbeiten sind nach der Neueindeckung der Kirche an den Fassaden fortgesetzt worden. Der Verputz ist mit Kalkmörtel repariert und Mauer- und Steinflächen mit einer Tünche aus Grubenkalk mit Zusatz von Kasein und Farbstoffen gestrichen worden. An den Fassaden wurde auch nach der Wende von 1989 gearbeitet.

1995 wurde von der Kirchenleitung in der Person des damaligen Stadtarchitekten Szabólcs Guttmann ein neuer Projektleiter beauftragt. Unter seiner Leitung wurde die Kirche neu vermessen und ein Vorschlag  ausgearbeitet, nach dem in der Sakristei und im Chor gearbeitet worden ist. Sein Vorschlag, den Innenraum mit Sandstrahl zu reinigen, ist wahrscheinlich aus Kostengründen nicht umgesetzt worden, sicher nicht zum Nachteil des Baudenkmals. 2007 erstellte der Ingenieur Szabó Bálint aus Klausenburg, der seit 1990 die Arbeiten an der Bistritzer Kirche koordiniert und bis heute nicht abgeschlossen hat, ein Projekt, dem ein Szenario von der imminent drohenden Einsturzgefahr der Kirche vorangegangen war. Von dieser Planung ist nur ein aufwendiges hölzernes Gerüst im Mittelschiff der Kirche hergestellt worden. Der Brandenburger Architekt Achim Krekeler und das Berliner Statikbüro Krämer, die 2008 mit der Planung beauftragt wurden, konnten ihre kompetenten Vorschläge, wegen bürokratischen Querelen in Bukarest, nicht umsetzen. Später sind die Architekten Liviu Gligor und Mihai Ţucă sowie ein Ingenieurbüro aus Bukarest mit weiteren Planungen beauftragt worden. 

Eine erste Anmerkung zum Wohl unserer anfangs erwähnten „geliebten Stadtpfarrkirche“: Es wäre sinnvoll, die an den laufenden Restaurierungsarbeiten beteiligten Fachleute und die zuständige Bauaufsicht dazu zu motivieren, ihre Arbeiten möglichst genau für spätere Generationen zu dokumentieren.   

Wenn man dieses Baudenkmal als Ausdruck einer gesellschaftlichen, geistigen und kulturellen rund 700-jährigen Entwicklung betrachtet, die in immer neuen Varianten dem Zeitgeist entsprechende Formen gefunden hat, stellt sich zum Zweiten die Aufgabe, diese Formensprache durch wissenschaftliche und ästhetische Studien zu untersuchen, um festzustellen, welche bildnerischen Mittel eingesetzt wurden, um bestimmte Geistesströmungen in der Kirche und in der siebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft darzustellen.

Es handelt sich dabei um Elemente der christlichen Verkündigung durch das Wort, durch christliche Symbole, durch das Bild als Wandgemälde und Skulptur und durch die Musik. Zusammen mit der Führung und unterschiedlichen Streuung des Lichtes, dem Verwenden bestimmter Raumverhältnisse, Formen und Farben an den Flächen des Raumes und an der Bauplastik und den dekorativen Teilen des Innenraums ergeben sich schier unendliche Möglichkeiten, bestimmte geistliche und geistige Strömungen wahrnehmbar zu machen. Die gotische Kathedrale wurde aus dieser Sicht von ihrem Äußeren her mit dem sichtbaren statischen System, verkörpert durch die Strebebögen, als Ausdruck der Scholastik, jedoch im Innern, mit ihrem lichtdurchfluteten, schwerelosen Raum, als Darstellung der Mystik verstanden. In Hermannstadt kann man die Vielfalt bei der Gestaltung sakraler Räume gut an den Kirchen der verschiedenen Konfessionen erkennen; zum Beispiel von dem Bilderreichtum der orthodoxen St. Lukaskirche in der Langgasse bis zum schmucklosen, strengen Innenraum der reformierten Kirche in der Fleischergasse.

Bezogen auf den Innenraum der Stadtpfarrkirche stellt sich die Frage: Entspricht die Gestaltung des Raumes von 1853-1855 mit den Änderungen von 1904-1911 (das Ersetzen der weißen Tünche mit Sichtverputz) unserem heutigen Verständnis eines evangelischen Kirchenraumes? Oder sollen wir uns die Mühe machen zu versuchen, diesen Raum sowohl seiner ursprünglichen Formgebung als auch unserem heutigen Verständnis entsprechend zu gestalten. Dazu braucht es ein gewissenhaftes Studium der ursprünglichen gotischen Fassung, des anfangs erwähnten „mittelalterlichen Prunks“, und der verschiedenen späteren Umgestaltungen, der „protestantischen Schlichtheit“ von 1855 aber auch die Hinterfragung der Fassung von 1911, die heute noch den Innenraum bestimmt. Allerdings kann auch die beste wissenschaftliche Vorarbeit eines nicht ersetzen: den Willen zur Gestaltung und das Bekenntnis zu einer christlich-evangelischen Existenz in der heutigen Zeit in ihrer siebenbürgisch-sächsischen Prägung. Diese Existenz sollte ihren Ausdruck unter anderem in einer unserer Zeit entsprechenden Gestaltung des Innenraums der Hermannstädter Stadtpfarrkirche finden.