Zwischen neokommunistischer Amnesie und Erinnerung

Tagung in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen

Dr. Corneliu Pintilescu vom Institut de Cercetări Socio-Umane Sibiu (Institut für sozial-humanistische Studien), inhaltlicher Mitveranstalter der Tagungsreihe

Dr. Tamás Lönhárt von der Babe{-Bolyai-Universität Klausenburg zeigte am Falle Ungarns auf, wie die Instrumentalisierung von Geschichte zur illiberalen Demokratie führen kann. Fotos: der Verfasser

Dr. Dalia Bathory (Institut de Investigare a Crimelor Comunismului {i Memoria Exilului Românesc, IICMER) referierte über Ceau{escu in Reimen nach 1989.

„Das Volk wird viel leiden, denn ihr habt den Leiter getötet / Ihr habt zwei Menschen in den Tod befördert, denn im Himmel wird alles gerichtet / Ceaușescu ist in der Erde und von dort rächt er sich / Am Heiligen Tag habt ihr ihn erschossen und das wird nicht vergessen.“

Es ist kaum zu glauben, dass diese Zeilen einem rumänischen Lied von April 2018 zu entnehmen sind. Das Lied: „Ceaușescu se răzbună“ ( Ceaușescu rächt sich), gesungen von Dida Agache und der Band Trio Royal wurde seit dem 6. April 2018 auf YouTube bis dato 86.028 Mal abgespielt.

„Ceaușescus Balade“ (Balada lui Ceaușescu) von Constantin Angheluță, Antoanela Nănuță und Nelu Miron schaffte es in neun Monaten (das Lied wurde auf YouTube am 31. Januar 2022 veröffentlicht) sogar auf 237.900 Klicks. Hört man sich die beiden Lieder an, glaubt man für keinen einzigen Augenblick, die Sänger würden den rumänischen kommunistischen Diktator auf die Schippe nehmen. Nein, sie meinen es ernst. Als Held und Rächer wird der „Vater des Volkes“, wie er vor 1989 gepriesen wurde, erneut besungen.

Handelt es sich dabei um eine „neokommunistische Amnesie“, hat die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Rumänien versagt, ist die Demokratie dem Volk zu viel oder befinden sich die Demokratisierungsprozesse in Rumänien noch in Kinderschuhen?

Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigten sich Forscher und Historiker aus Rumänien und der Republik Moldau während der Tagung „Erinnerungskultur und Demokratisierungsprozesse in post-diktatorischen Gesellschaften: Rumänien und Republik Moldau im Fokus“, welche am 28. und 29. September 2022 im Tagungs- und Konferenzzentrum „Hans Bernd von Haeften“ in Hermannstadt/Sibiu stattgefunden hat. Die Tagung war die neunte einer Reihe, die 2016 von der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Partnerschaft mit der Hanns Seidel Stiftung ins Leben gerufen wurde. Die Veranstaltung in diesem Jahr wurde auch vom österreichischen Bundesland Kärnten und dem Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt finanziell unterstützt. Die Tagungsreihe beschäftigt sich mit Themen der jüngeren Geschichte Rumäniens sowie des gesamten ehemaligen Ostblocks, zum ersten Mal wurde die Veranstaltung mit Fokus auf die genannten beiden Länder durchgeführt.

Ursprünglich sollte die Tagung der Anfang eines Drei-Länder-Projekts darstellen (Rumänien, Republik Moldau und die Ukraine), doch musste das Projekt in Folge des Ukraine-Kriegs auf die beiden genannten Länder reduziert werden.

Inhaltlich war die Tagung in sechs thematische Einheiten eingeteilt. Die erste beschäftigte sich mit Erinnerungspolitiken und der Problematik der Archive in den beiden Ländern. Die Referenten stellten die Herausforderungen der Forschung, der Zugang zu relevanten Archiven (in beiden Ländern teilweise politisch eingeschränkt, was in vielen Fällen die Erforschung und die Aufarbeitung erschwert), aber auch Good-Practice-Beispiele (aus internationalen Projekten) vor. Die zweite Einheit setzte sich mit dem Thema „Erinnerung, geschichtliche Debatten und Quellen“ auseinander. Anhand von Fallbeispielen wurden Methoden und Problemzonen im Umgang mit und der Konzeption von Erinnerungspolitiken und -maßnahmen vorgestellt und besprochen.

Die Thematik des Zugangs zu den Quellen prägte auch in diesem Fall die Gesprächsrunden. In beiden Ländern wurde nach der Genehmigung eines ursprünglichen eher freien Zugangs derselbe erneut reglementiert, und eine Einschränkung muss in manchen Bereichen festgestellt werden. Es wurde von verschiedenen Seiten der Mangel an Transparenz bemängelt, welcher die Einstufung gewisser Dokumente als geheim oder staatsgefährdend ermöglicht (im Falle Rumäniens gehören in diese Bereiche unter anderem diejenigen Akten, die die Kirchen betreffen).

Die dritte Einheit thematisierte die Konfrontation mit der eigenen jüngeren Geschichte. Das notwendige Feingefühl in der Deutung der Forschungsergebnisse lag dabei im Fokus der Debatten. Da in beiden Ländern von Opfern zweier Diktaturen (rechtsradikal, gefolgt von einer kommunistischen) gesprochen werden muss, müssen Forscher mit Fingerspitzengefühl einem „Wettbewerb zwischen den Opfern“ entgegenarbeiten.

In der vierten thematischen Einheit wurde der Brückenschlag in andere Länder des Ostblocks getätigt. Analysiert wurden die Folgen verpasster Aufarbeitungs- und Demokratisierungsprozesse (z. B. am Fall Ungarns und der Instrumentalisierung der Gestalt von Imre Nagy).

Thematisch wurde diese Einheit in dem fünften Block weitergeführt. Dieser setzte sich mit der Verarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Filmen nach 1989 auseinander. Es wurden Beispiele sowohl aus der BRD wie auch aus Rumänien und anderen Ostblockländern verglichen. Im Zentrum der Gespräche stand, unter anderem, die „Ostalgie“, welche sich in manchen Kreisen bemerkbar macht.

Die letzte thematische Einheit analysierte verschiedene Orte und Formen der Erinnerung. In den vorgestellten Vorträgen wurde das Thema der „Ostalgie“ anhand von Bildern, Liedern, Straßennamen usw. untersucht und erweitert.

Abgeschlossen wurde die Tagung durch eine doppelte Buchvorstellung: Es wurden die von Dr. Liliana Corobca als Herausgeberin koordinierten Publikationen „Panorama comunismului în Moldova sovietică (Panorama des Kommunismus im sowjetischen Moldawien, Polirom 2019) und „Panorama comunismului în România“ (Panorama des Kommunismus in Rumänien, Polirom 2021) vorgestellt.

Beide Bücher gelten zur Zeit als die komplettesten Publikationen zur kommunistischen Diktatur in dem jeweiligen Land und haben in kurzer Zeit den Status von Standardwerken erreicht, deren Umfang und Vielfalt schwer zu übertreffen sein wird.

Als Fazit der Tagung kann festgestellt werden: Sowohl in Rumänien wie auch in der Republik Moldau sind Forschende am Werk, welche sich, trotz Hürden unterschiedlichster Natur, unvoreingenommen mit den traumatischen Erfahrungen der jüngeren Geschichte und ihren Auswirkungen in der Gegenwart auseinandersetzen.

Es wurde viel geleistet, doch es muss noch viel getan werden. Denn, um mit den zynisch-ironischen Worten des Liedes: „Ceaușescu n-a murit“ ( Ceaușescu ist nicht gestorben) von Ada Milea zu schließen: „Ceaușescu ist eine Krankheit / Er ist in mir, er ist in dir / (…) Ceaușescus sind wir alle“.