Auf dem rechten Donauarm, zur Mündung ins Meer hin, erreicht man den östlichsten Punkt Rumäniens und der Europäischen Union: Sulina. Zu jeder Jahreszeit von besonderer Schönheit, ist Sulina ein einzigartiger Ort, an dem das Süßwasser der Donau auf das salzige Wasser des Meeres trifft. Sulina ist die einzige Stadt im Donaudelta, die letzte in der Kette der 18 rumänischen Städte an der Donau und auch die einzige Hafenstadt des Landes an der Donau und dem Schwarzen Meer.
Die Stadt mit der niedrigsten Höhe Rumäniens - 3,5 Meter über dem Meeresspiegel - hat keinen direkten Anschluss an das nationale Straßennetz und ist daher nur auf dem Wasserweg zugänglich. Entweder auf der Donau oder auf dem Schwarzen Meer gelangt man nach Sulina mit dem ,,Pasagerul” von Navrom oder mit Schnellbooten, die von Tulcea, Murighiol und Mahmudia abfahren. Um die Naturschönheiten des Do-naudeltas zu bewundern, lohnt sich eine längere Fahrt auf den schmalen Kanälen. Viele Vogelarten wie Möwen, Reiher, Schwäne, Pelikane und Wildgänse verstecken sich scheu im Schilf, zwischen Weiden, weißen und gelben Seerosen.
Sulina ist ein geeigneter Ort zum Entspannen, viele Touristen kommen hier in der warmen Jahreszeit zum Angeln her, an den Strand - oder einfach nur, um die Nähe der wilden Natur zu spüren. Weitere Ausflüge in den Letea-Wald, in die von Pelikanen bevölkerte Musura-Bucht oder sogar bis zur Mündung der Donau ins Schwarze Meer werden von Sulina aus organisiert.
Eine historisch geprägte Stadt
Sulina hat eine faszinierende Geschichte, die sich immer noch in den historischen, vom Lauf der Zeit geprägten Gebäuden reflektiert. Ein Besuch in dieser Stadt lässt jeden in die Atmosphäre eintauchen, die Jean Bart in seinem in Sulina handelnden Roman „Europolis“ geschaffen hat. Die Siedlung wurde 945 während des Byzantinischen Reiches begründet und hieß anfangs Selina, Sollina, Salina oder Seline. Die meisten Informationen über die Geschichte der Siedlung stammen aus dem 18. Jahrhundert, als die Türken den Wasserweg nach Konstantinopel durch den Sulina-Arm wählten, der zu dieser Zeit am besten für die Schifffahrt geeignet war.
Erst im 15. Jahrhundert erhielt die Siedlung den Status einer Stadt. Im 19. Jhd. wurde sie allerdings mit der Gründung der Europäischen Donaukommission zu einem wichtigen Punkt des Flussverkehrs. Die Mehrheit der Bevölkerung der Stadt sprach Griechisch, die wichtigste Sprache war aber eigentlich Französisch, gefolgt von Rumänisch, Russisch, Italienisch und Türkisch. Die Jugend Sulinas wurde in zwei griechischen, zwei rumänischen, einer deutschen und einer italienischen Schule ausgebildet. Es gab auch eine jüdische Schule, ein Gymnasium und auch eine Kunstschule für Mädchen, wo auf Französisch unterrichtet wurde. Der Palast der Europäischen Donaukommission und der Leuchtturm erinnern noch heute an diese Zeit.
Hauptattraktionen
Das 1868 fertiggestellte U-förmige Gebäude der Europäischen Donaukommission mit einem Erdgeschoss und einem Obergeschoss war damals das imposanteste der Stadt. Später wieder aufgebaut, behält das Bauwerk vom Original nur noch Dekorationen an der Fassade, über den drei in Bögen ausgeführten Fenstern, unter dem Giebel und an den Seiten der halb eingegrabenen Säulen.
Der 1870 erbaute Leuchtturm wurde als Museum eingerichtet und beherbergte bis zum Beginn der Restaurierungsarbeiten, die voraussichtlich bis 2022 dauern werden, das Büro von Jean Bart und einen der Europäischen Donaukommission gewidmeten Raum.
Das Haus des Schriftstellers Eugeniu P. Botez, der sein Pseudonym Jean Bart nach dem berühmten Seeräuber aus dem 17. Jahrhundert annahm, existiert noch heute als Gästehaus unter dem gleichen Namen.
Eine weitere Attraktion, die die Erinnerung an die einstige industrielle Entwicklung der Stadt wach hält, ist die 1897 von der Königin der Niederlande finanzierte Wasserturmfabrik. Der durch seine Höhe weithin sichtbare Wasserturm ist noch heute in Betrieb und kann von Touristen bestaunt werden.
Sulina war eine multikulturelle Stadt, in der viele Nationalitäten zusammenlebten und galt als die kosmopolitischste Stadt ihrer Zeit. Innerhalb des 1864 gegründeten Friedhofs der Europäischen Donaukommission, der sich am Ausgang der Stadt in Richtung Strand befindet, entstand nach und nach ein protestantischer Friedhof mit einem englischen und einem deutschen Bereich, dann der katholische Friedhof, wo Italiener, Malteser, Serbokroaten und Montenegriner beerdigt sind, der russische Friedhof der Lipowaner, der orthodoxe Friedhof, auf dem Rumänen, Russen und Griechen ruhen, sowie der muslimische und jüdische Friedhof. Genau das macht den Friedhof der Europäischen Donaukommission in Sulina einzigartig. Viele der Grabdenkmäler sind Kunstwerke von großem Wert und die Geschichten derer, die hier bestattet wurden, werden von Generation zu Generation weitergegeben. Er ist eine letzte Ruhestätte für hohe Beamte der Europäischen Donaukommission, Fürsten, Seeleute, Menschen aller ethnischen Gruppen und sozialen Schichten und sogar für einen Piraten.
Ohne Plan des Friedhofes kann man lediglich zwischen den Grabdenkmälern umherschlendern und versuchen, sie zu identifizieren. Durch die immer bekannter gewordenen Legenden haben die dort begrabenen Persönlichkeiten Unsterblichkeit erlangt.
Die Multiethnizität von Sulina spiegelt sich auch in der Vielfalt der örtlichen Kirchen wider. Es gibt fünf repräsentative Kirchen, von denen viele den Namen des Heiligen Nikolaus tragen.
Der wilde Strand von Sulina
Überquert man die Brücke über den Busurca-Kanal, beginnt man bereits, den Meeresduft zu riechen. Der meist wilde und sehr breite Strand von Sulina bietet einen sanften Zugang zu einer beträchtlichen Meerestiefe. Das tiefblaue Meerwasser verfärbt sich stellenweise und der fließende Schlick lässt es manchmal schwarz erscheinen. Mit feinem Sand unter den Füßen wandert man in fast völliger Einsamkeit an der ruhigen Küste entlang, hier und da erblickt man die von Einheimischen freigelassenen Pferde und Kühe. Die meditative Stille wird nur durch das Rauschen der Wellen unterbrochen. Dass der natürliche Charakter des Strandes erhalten bleibt, ist der Eintragung dieses Gebietes in das Bio-sphärenreservat Donaudelta zu verdanken.
Häuser mit Blick auf den Hafen
Auf der Hauptallee von Sulina wird man mit zwei gegensätzlichen Dimensionen konfrontiert: auf der einen Seite ein architektonischer Mix aus Alt und Neu, gegenüber die mit Weiden bewachsenen Häfen. Wenn man auf die Straßen hinter der Promenade zurückkehrt, sieht man die alten, mit blau bemalten Brettern verkleideten Häuser im Lipovaner-Stil. Das Interessante an Sulina ist, dass die Straßen parallel zur Donau keine Namen, sondern Nummern haben.
Trotzdem wurde Sulina über die Jahre aufgrund der Deindustrialisierung entvölkert. Die Stadt war in der Vergangenheit für die großen Mengen an Konserven bekannt, die dort täglich in der Fischfabrik produziert wurden, aber auch für die Werft. Trotz der Isolation führen die Menschen ihre Traditionen und Bräuche weiter.