Alles dabei in Alba Iulia und Ampoița

Karlsburg und Westgebirge gehören auf ein und denselben Plan

So grau wie heute kann das Stadtbild 1922, als König Ferdinand I. und Königin Maria in Karlsburg gekrönt wurden, bestimmt nicht enttäuscht haben.

Baulich wurde im kommunistischen Alba Iulia vor so gut wie gar nichts zurückgeschreckt – vor dem orthodoxen und dem römisch-katholischen Kirchturm der mittelalterlichen Festung mit Spuren der römischen Antike allerdings schon.

Früh übt sich an den „Calcarele Ampoiței“, wer ein Alpinist auf den großen Wänden der Welt werden möchte.

Deftige Pilzsuppe der Gaststätte von „Mama Luță“ in Ampoița. Solange sie sich nicht zu aufdringlich verhält und die Gastgeber eingreifen müssen, ist Eselin Lola eine sympathische Hausdame.

Dieses Tor durchschreitet, wer zur Eisdiele „Lazăr“ mit ihrem Sommergarten möchte oder sich bei ihr vor dem Eintritt in die Zitadelle stärkt.

Wein wird am westlichen Stadtrand von Karlsburg/Alba Iulia nicht mehr angebaut. Obwohl die Abhänge vom „Zighele“-Laubwald ihn noch bestätigen, den Namen des dörflichen Viertels „Viile Bătrâne“ (Alte Weinberge) an der Ausfahrt ins Westgebirge/Munții Apuseni mit seinen Gassen und Straßen wie der „Frăguței“ (Walderdbeere), der „Afinului“ (Heidelbeerstrauch) oder – warum denn nicht? – der „Recaș“. Hier muss vor Zeiten reich geerntet, gelesen und gekeltert worden sein. Jeder gegenteiligen Vermutung schieben vorbildlich in den Berg gegrabene Terrassen mit Panorama-Blick auf die Stadt einen Riegel vor. 

Und heute? Kommen die edlen Tropfen meist aus regionalen Großanbauorten wie Ciumbrud oder Seiden/Jidvei auf den Tisch, und finden sich leckere Waldfrüchte ohne Geschmacks-Abstrich viel eher in Märkten statt Supermarkt-Obstregalen, wenn auch nicht ganz billig. Kein natürlicher Lauf der Welt, sobald man es streng wörtlich nimmt, richtig, aber umso mehr ein geschäftiger. Das Beste vom Besten kostet auch in Karlsburg und Umland gerne sattes Geld, falls weder Grundstücke, Gärten noch Zeit zum Selber-Pflegen, -Ernten und -Verarbeiten gegeben sind. Doch es gibt einen einfachen Trick, zumindest landschaftlich den Rahm abzuschöpfen: Spazierengehen auf steilen und kaum befahrenen Straßen wie etwa am orthodoxen Stift zum Heiligen Lazarus vorbei, die schließlich in Forstwege münden.

Alles vom Autobahn-Anschluss bis zu seiner zentralen Zitadelle hat Karlsburg, und auch mit sozialistischen Schatten, die wiederum das überreizte Verstehen von Wohlstand im ehemals kommunistischen Land besser erklären helfen können, ist die Vorzeige-Nachbarstadt von Mühlbach/Sebeș nicht zum Sparen aufgelegt. Er ist groß wie in jeder anderen Stadt Siebenbürgens auch, der Kontrast zwischen der Diktatur von Vereinheitlichung auf der unfreien Seite des Eisernen Vorhangs und dem Drang nach unbedingt protzigen Eigenheimen, die überall auf der Welt von Neureichen ungefähr gleich aussehen. Traurig, jedoch wahr und irgendwo auch nicht überraschend, dass das Freibad mit Becken olympischer Länge und zehn Startblöcken den Kürzeren gezogen hat und zum letzten Mal vor elf Jahren für Profis und Hobby-Sportler geöffnet war. Die Knete? In das Neubau-Viertel ringsum statt in die Wartung und Betreibung des „Ștrandul Schit“ gesteckt. Olympisch, mit Zuschauertribüne ausgestattet und bis heute auch überhaupt nicht von Schließung bedroht ist das 1985 eröffnete Hallenbad im klar nicht-kommunistischen Einkaufsviertel der Innenstadt.

Ausblendung unglücklicher Bilder verschafft einmal mehr die Stadt selbst, denn Karlsburg liegt dicht am Mieresch/Mureș, unmittelbar am Westgebirge und dadurch fast schon wie in einer echten Senke, die den Betongürtel gerne auch schon mal Anfang August morgens früh in einen Dunstschleier hüllt. Allein die Kuppel der orthodoxen Kathedrale und ganz besonders der Turm der römisch-katholischen Michaelskirche nach toskanischem Muster, beides Anlaufpunkte in der Zitadelle, ragen in so einer Dämmerung vor Tagesanbruch aus der Nebeldecke auf. Die „Vila Francisca“ auf der steilen Straße mit demselben Namen mag zwar eine bescheidene Pension für geübte Selbstversorger sein, überzeugt aber mit dem feinsten Morgenblick aus ihren Fenstern.

Und wer tagsüber zur Abwechslung mal nicht in der siebeneckigen „Alba Carolina“ mit ihren Museen, Bibliotheken, Palästen, Kirchen, Gaststätten und in ihrem mächtigen Wassergraben bleiben möchte, der längst schon zu einem grünen Rückzugsort für Fußgänger und Erholung Suchende umfunktioniert wurde, hat es in das erste Dorf mitten im Westgebirge um die Ecke bequem nah. Die 13 Kilometer nach Ampoița sind auch ohne Hektik rasch gefahren. Möchten Sie nach dem Parken und Aussteigen am erstbesten Platz Ihre Schuhe am Weg zu den Kalkfelsen („Calcarele Ampoiței“) abwetzen und finden ihn nicht? Keine Ursache! Klopfen Sie ruhig an ein Tor von Dörflern, fragen Sie freundlich nach einer Wegbeschreibung, und sehr wahrscheinlich wird Ihnen eine Gartentüre geöffnet, von wo aus entlang saftigster Apfel- und Birnbäume sich weiteres Suchen nach einem Weg erübrigt. Auch für Nicht-Alpinisten oder solche, die es noch werden wollen, lohnt sich genaues Hinschauen: in die Kalkfelsen von Ampoița haben Profis Kletterhaken für jede Menge Routen gebohrt.

Ganz zu schweigen vom Kohldampf, den regional sicher niemand besser bedienen kann als die Hausherrin und das Küchenteam der Gastwirtschaft und Pension „Mama Luță“. Unbedingt zu bestellen ist, was „Motzen“, also Westgebirge-Einheimische („moți“), sich zu Festtag selber zubereiten: salzig und süß gefüllte Teigtaschen, ohne Öl oder Fett auf der heißen Steinplatte ausgebacken, weil es bereits unter das Mehl gemischt wurde, und auf Rumänisch als „plăcinte pe lespede“ von Ampoița unwiederbringlich süchtig machend, die kein Karlsburger Stadtrestaurant auch nur annähernd schmackhaft hinbekommt.

Spitzenreiterin hingegen ist die Eisdiele „Lazăr“ am Ost-Aufgang zur „Alba Carolina“. Kein bisschen teurer als anderswo, in einem Familienbetrieb nach einem einfachen wie unschlagbaren Rezept aus der Zwischenkriegszeit ohne Emulgatoren zubereitet, immer frisch, auch zum Mitnehmen in Schachteln aus der Tiefkühltruhe gerüstet und eine süße Sommerdroge, die – Theologen mögen es verzeihen, das Wortspiel – vor und nach Stunden auf dem heißen Pflaster sogar Lazarus auferwecken könnte. Nach Karlsburg fährt es sich am besten mit Kühltasche im Kofferraum. Da kommt kein noch so schillerndes Eis aus dem Supermarkt ran. Und Ampoița nehme man sich besser mit nicht zu vollem Magen vor. Auch das ein Genuss wie bei Hausleuten persönlich, denen es im Traum nie einfallen würde, ihre Gäste luxuriös zu verwöhnen. Und trotzdem ist alles dabei. All inclusive.