„Mit Gottes Hilfe wurde dieses Tor errichtet” steht dort eingekerbt, auf Ungarisch, gefolgt von Namen und Datum. Ringsum geschnitzte Ornamente oder naive Malereien in den Farben Blau, Grün, Rot und Weiß: Blumengirlanden, Blätterdickicht; Tulpen, Sonne und Mond – die typischen Szeklersymbole. Trotzdem könnte man beim Anblick der geschnitzten hölzernen Tore mit Wagen-Einfahrt und separatem Fußgänger-Türchen glauben, man sei in der Maramuresch gelandet...
Wären da nicht die Taubenhäuser auf dem Dach! Ein seltsames lokaltypisches Dekorelement, das die ganze Torbreite einnimmt. Zunächst denkt man: Schlau, den Taubenschlag fern vom Haus ins Einfahrtstor zu verlagern! Doch warum sind sie alle unbewohnt? Nirgendwo ist Vogelmist zu entdecken, bei einigen sind sogar die Einfluglöcher mit Drahtgeflecht blockiert. Und was haben die aparten dunkelblauen Vögelchen, die auf fast keinem der Tore fehlen, zu bedeuten? Entweder zieren sie das Taubenhaus oder sind ins Schnitzwerk zwischen Blätter und Blüten hineingemalt.
Land der geschnitzten Holztore
Satu Mare nennt sich das Dorf in Harghita, in dem es noch an die 100 solcher alter Holztore gibt. Elf davon stehen unter Denkmalschutz, das älteste stammt aus dem Jahr 1858. Vereinzelt findet man hölzerne geschnitzte Tore auch in anderen Dörfern im Szeklerland, in Bradeşti, Simioneşti, Zetea - das älteste der Region soll aus dem Jahr 1709 stammen.
Satu Mare ist eine der Etappen der Journalistenreise durch das Szeklerland, organisiert vom Departement für Interethnische Beziehungen an der rumänischen Regierung (DRI), auf der Suche nach dem touristischen Potenzial der Minderheiten. Zur gleichnamigen Stadt, die im Norden an die Maramuresch grenzt, gibt es keine Verbindung, erklärt die Fremdenführerin. Der Name des Dorfs soll sich entweder von der Heiligen Maria oder dem Erbauer einer nahen Burg namens Mare ableiten. Auch die geschnitzten Tore seien nicht aus der Maramuresch inspiriert, sondern typisch für das Szeklerland, schüttelt sie bedauernd den Kopf. So typisch, wie auch die hölzernen Gedenkstelen, die man in Harghita und Covasna vielerorts bewundern kann.
Eine Verbindung gäbe es schon eher zu den Siebenbürger Sachsen, von denen sich die Szekler den Bau der gewaltigen Hoftore als Verteidigungsanlage abgeguckt haben könnten, fährt sie fort und verweist auf einen Brauch, der auf sächsische Nachbarschaften zurück geht: An einem Tor vor dem Museum des Dorfs prangt ein kleines metallenes Schild mit dem Symbol einer Axt darauf. Es zeigt an, mit welchem Werkzeug der Besitzer zu einem Brand zum Löschen zu erscheinen hat: Eimer, Besen, Axt oder Schaufel. 1858 hatte es zuletzt einen großen Brand in Satu Mare gegeben, daher sind keine Tore älteren Datums erhalten.
Die Tore bestehen in der Regel aus Tannenholz, einzelne Teile aus Eiche. Die Methode der Verbindung ist dieselbe wie in der Maramuresch: Die Schwalbenschwanz-Technik kommt auch beim Bau von Holzhäusern in beiden Regionen zum Einsatz. Das älteste bekannte Szeklertor stammt aus dem Jahr 1673 und ist nur noch in Teilen erhalten. Ein Foto befindet sich im Ethnografiemuseum Haaz Rezsö in Oderhellen/Odorheiu Secuiesc.
Geschnitzte Holztore mit frappierend ähnlicher Architektur – wenn auch zum Teil mit regional unterschiedlichen Symbolen dekoriert - gibt es übrigens nicht nur im Szeklerland und der Maramuresch, sondern auch in Oltenien, vor allem im Landkreis Gorj.
Grabstele mit Seelenvogel
Auch die geschnitzten Grabstelen sind keinesfalls nur für das Szeklerland typisch: Mehrere Quellen verweisen ihren Ursprung in die vorchristliche Zeit. Bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts sollen sie im gesamten Subkarpatenraum verbreitet gewesen sein. Die Friedhöfe in Vaidei und Cioara (Kreis Hunedoara), in Orlat, Purcăreti, Cugir, Nucet, Saliştea, Rachita, Laz, Şugag, Căpalna und Sibişel (Kreis Alba) waren vor nicht allzu langer Zeit mit geschnitzten Stelen übersät, einige davon bunt bemalt, schreibt Claudiu Târziu im Artikel „Stâlpii morăilor şi Pasarea Suflet” (Grabstelen und Seelenvogel) in Formula AS. Die geschnitzten Symbole zeigen Alter und Familienstand des Verstorbenen an. Gheorghe Pavelescu verrät in seinem Buch über rumänische Totenkulte in Siebenbürgen („Pasarea suflet”), dass hölzerne Tauben die Stelen von Kindern und unverheirateten Jugendlichen zierten.
Wie im Friedhof von Loman, wo auf mehreren Stelen statt Blume, Kreuz oder Glocke eine Taube mit ausgebreiteten Schwingen thront. Die Alten im Dorf erklärten, so Târziu weiter, es handele sich um Kindergräber und der Vogel sei früher dunkelblau bemalt gewesen. Einige sähen den Ursprung der hölzernen Stelen in der Kultur der Daker, andere behaupten, die Römer hätten den Brauch mitgebracht: Römische Legionen sollen die Gräber ihrer Toten so gekennzeichnet haben, wobei der Vogel an der Spitze mit dem Schnabel nach Rom wies, um der Seele den Weg nach Hause zu zeigen.
Die Idee des Seelenvogels reicht weit zurück, bis ins Alte Ägypten. Im Christentum kennt man das Täubchen als Symbol des Heiligen Geistes: In so mancher siebenbürgischen Kirchenburg ziert es den Himmel unter der Kanzel (z.B. Rothberg/Roşia oder Wurmloch/Valea Viilor) oder die Unterseite des Taufbecken-Deckels (Deutsch-Kreuz/Criţ).
Der Bogen zum Taubenhaus
Im Museum Haaz Rezsö befasst sich eine Ausstellung mit dem Thema Szekler Grabstelen und Tore, basierend vor allem auf Zeichnungen und Studien des Forschers Szinte Gabor. Eines der bevorzugten Symbole auf beiden Bauelementen ist im Szeklerland die Tulpe. Bildet sie – oder eine andere Blume – das Dekorelement an der Spitze einer Grabstele, handelt es sich um eine weibliche Verstorbene, erklärt der Museumsführer. Weitere typische Szekler-Symbole sind Sonne und Mond, die Zeichen des Sternenprinzen Csaba (siehe ADZ, 22. Oktober 2017: „Im Reich des Sternenprinzen Csaba”), oder die gewundene Blumengirlande, die für das Auf- und Ab im Leben steht, man findet sie auch auf den Toren in Satu Mare. Sie erinnert wohl nicht von ungefähr an das gewundene Seil, das Maramurescher Tore und Holzkirchen ziert, manchmal mit rot-weiß bemalten Windungen, und die Symbolik ist dieselbe. Auch das Maramurescher Sonnenrad, in Speichen unterteilt, findet man in sehr ähnlicher Form in Satu Mare wieder, auch dort als Teil des Fußgängertürchens.
Waren geschnitzte Tore und Stelen, sowie bestimmte Symbole darauf, einst viel weiter verbreitet – vielleicht auch durch Transhumanz - und sind heute nur als regionale Inseln erhalten geblieben? Haben die Szekler diese Bräuche übernommen – oder gehören sie selbst, wie manche Forscher vermuten, zur erst später magyarisierten Urbevölkerung des heutigen Rumänien?
Im Museum können wir dann endlich den Bogen schlagen, vom Seelenvogel, der Grabstelen ziert, zu den Szeklertoren von Satu Mare. Der Museumsführer bestätigt: Die Vogelhäuschen auf den Toren waren tatsächlich nie als Taubenschlag gedacht. Ihr Zweck bestand darin, die Leichen von ungetauften Kindern aufzunehmen, die dort „zur Reinigung von der Ursünde” vor dem Begräbnis einige Zeit liegen mussten. Sollten sich ihre Seelen auf den Schwingen des blauen Vogels in den Himmel erheben? Betrachten wir ihn als charmanten Gruß unserer Vettern aus vorchristlicher Zeit...