Die Frage, wie es wohl früher im Banat gewesen ist, wird die Pension Casa Altringen im gleichnamigen Dorf nur bedingt beantworten. Sie vermittelt zumindest das romantische Bild des Schwabendorfes von einst. Ein großes Gut, angesiedelt zwischen Hügeln mit Blick auf eine pastellfarbene Landschaft im späten Winter. Ob es früher hier genauso ausgeschaut hat, ist fraglich. Es ist mehr die Interpretation des Städters, der nur die Vorzüge des Landlebens genießen möchte, ohne die harte Arbeit und den damit verbundenen Überlebenskampf. Es ist das Äquivalent einer Las-Vegas-Attraktion, allerdings geschmackvoll umgesetzt.
Schönfärberei statt Wirklichkeit
Casa Altringen ist nicht die einzige Pension, die sich der Banater Geschichte bedient, um Touristen anzulocken. Auch das Schwabenhaus in der Gemeinde Alexanderhausen/Șandra setzt auf Nostalgie. Das Zielpublikum hat meistens keine Kenntnisse von der Geschichte der jeweiligen Volksgruppen, von denen ausgeliehen wird. Was nicht unbedingt schlimm ist. Schließlich sind es keine Museen oder Kultureinrichtungen, sondern Übernachtungsmöglichkeiten und Restaurants. Aber sie unterstreichen, was fehlt: eben die besagten Institutionen.
In Rumänien herrscht seit der Wende eine Verdrängungskultur vor. Das Unangenehme wird gerne beiseite geschoben. Stattdessen übt man sich in Schönfärberei. Man möchte nicht an die Vergangenheit erinnert werden. Denn die Geschichte des Banats und Rumäniens ist oft auch eine Geschichte über Hunger, Not und Armut. Darum sind Pensionen wie Casa Altringen so anziehend für lokale Besucher: Sie schreiben mehr oder weniger die Geschichte um. Sie erinnern an den Besuch bei der Großmutter, der niemals stattgefunden hat. Sie vermischen das Fiktive mit dem Realen. Die Welt, die wir besonders aus Filmen kennen, mit der Realität. Unterbewusst ersetzen diese Momente etwas, das vielen fehlt oder gefehlt hat.
Aber gleichzeitig bleibt eine Lücke bestehen, die momentan niemand füllt. Auch die Schattenseiten der Banater Geschichte müssen näher beleuchtet werden. Touristen würde man dadurch nicht verlieren. Schließlich besuchen Millionen Menschen jährlich Orte auf der ganzen Welt, wo grausame Ereignisse stattgefunden haben. Beide Aspekte sind wichtig. Doch anscheinend ist man in Rumänien nur bedingt bereit, auch aufzuklären und nicht bloß zu unterhalten.
Zumindest im Banat herrscht ein Mangel vor. Wer über die Geschichte mehr erfahren möchte, kann Ruinen besuchen. Was man in der Region findet, sind entweder alte einsturzgefährdete Villen oder Anwesen, die sich inzwischen im Privatbesitz befinden und in Restaurants, Pensionen oder Veranstaltungsorte umgewandelt wurden.
Casa Altringen
Schon seit 1773 stand dort, wo sich heute die Pension Casa Altringen befindet, ein Dorfhaus. Die Eigentümer haben das Haus ausgebaut und die Innenräume wurden von einer Firma neu gestaltet. Es ist ein schönes Projekt, welches das Alte und das Neue harmonisch zusammenführt. Das Essen ist traditionell, es wird auf Hausmannskost Wert gelegt und auf ein eingeschränktes Menü. Besucher können zwischen zwei Suppenarten, zwei Hauptgerichten und zwei Desserts auswählen. Das Personal besteht aus Dorfbewohnern.
Man fühlt sich tatsächlich wie bei den Großeltern zuhause. Das betrifft auch die Zimmer, die ebenfalls rustikal eingerichtet sind. Besonders schön ist die Umgebung. Weit von Nationalstraßen und der Autobahn entfernt, führen die verschlungenen Straßen durch pittoreske Landschaften. Viele unternehmen lange Radtouren und machen bei der Pension Halt. Entweder um dort zu übernachten oder um zu Mittag zu essen.
Casa Altringen ist der ideale Ort, um eine temporäre Stadtflucht zu begehen, besonders in Corona-Zeiten. Wobei die Pension im letzten Jahr auch ständig geschlossen war. Auch zurzeit muss im Voraus reserviert werden.
Eine Übernachtung lohnt sich. Auch ein Besuch ist lohnenswert. Wer allerdings auch mehr über die Geschichte der Region erfahren möchte, der wird hier nicht fündig. Das ist auch nicht Sinn und Zweck, obwohl sehr stark auf den schwäbischen Aspekt gepocht wird.
Konfrontation mit der Vergangenheit
Man muss einfach differenzieren können. Das Banat hat kaum Museen. Das ist nicht die Schuld einzelner Restaurants oder Pensionen. Auch sie würden davon profitieren. Aber es tut sich nichts. Allein das katastrophale Sanierungsprojekt des Banater Museums zeigt, wie schlimm die Lage ist. Es ist auf jeden Fall inakzeptabel: Eine Stadt, die den Titel Kulturhauptstadt erhalten hat, aber kein Angebot in dieser Sparte, ist peinlich. Und es ist auch für den Kreis Temesch/Timiș peinlich. Schließlich wird der Titel seit einigen Jahren nicht nur einer Stadt verliehen, sondern auch der dazugehörigen Region.
Und die Frage lautet: Was ist das Banat eigentlich? Mit der Auswanderung der Deutschen ist ein Teil seiner ursprünglichen Identität verloren gegangen. Neue Volksgruppen sind nachgerückt und haben das alte Bild vom Banat neu gefärbt. Gegenwärtig kann man nur von zwei Entitäten sprechen: dem gegenwärtigen und dem vergangenen Banat. Das Gegenwärtige befindet sich in einem konstanten Wandel. Das Vergangene kann auf diesen Wandlungsprozess einen Einfluss ausüben. Aber nur, wenn er richtig repräsentiert wird. Allein das romantische Bild eines Banats von einst, wo alle in Harmonie zusammengelebt haben, wo die Aufklärung ein gelungenes Experiment war, reicht nicht aus. Wir müssen besonders auf die Fehler hinweisen. Auf die Deportation der Minderheiten, die harten Umstände im ruralen Alltag, die Kriege, die Verbrechen. Damit wir daraus lernen.
Dann können wir uns auch ein Mittagessen in einer schöngefärbten Version eines alten schwäbischen Gasthofs gönnen, solange wir nicht vergessen, wer wir eigentlich sind oder zumindest, wer unsere Vorfahren waren.