Das besondere Ambiente eines Steinbruchs

Oper, Konzert und Tanz im Felsentheater von Fertörakos

Blick auf einen Teil der Hohlräume beim Steinbruch von Fertörákos

Ein Urhai erinnert an an die Meeresfauna vor Millionen von Jahren.

Sedimentschichten, Fossilien und Einschusslöcher
Fotos: der Verfasser

Über von Ochsen gezogene Schlitten wurden anfangs die Steinbrocken abtransportiert.

Als offene Wunden, die der Mensch der Natur zufügt, gelten in der Regel Steinbrüche. In Fertörákos am ungarischen Ufer des Neusiedler Sees ist ein seit 1948 aufgegebener Steinbruch im Jahre 2001 aber Teil des UNESCO-Welterbes, genauer, der grenzübergreifenden österreichischen und ungarischen Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See geworden. Dort wurden durch EU-Förderung die Hohlräume zu einem multimedialen Themenpark umgestaltet und weitere unterirdische Innenräume für Konzerte und Theater mit modernster Licht- und Tontechnik ausgestattet.

 


Wer einen Ausflug plant, kommt bei einem Rundweg oberhalb des Steinbruchs auf seine Kosten und erhält zudem auf Lehrpfaden einen Einblick in die besondere Pflanzen- und Tierwelt am Ufer eines der größten Steppenseen Europas. Und wer dort eine nicht zu vergessende Hochzeit feiern oder einen Empfang der besonderen Art bieten will, findet ein einzigartiges faszinierendes Ambiente vor.

Eine „feenhafte Nacht“

Für Sonntag, den 27. Juni 1937, gegen 21 Uhr, hatte der Bariton Ferenc Koh erstmals zu einer großen Freilichtaufführung im Steinbruch eingeladen. Er und vor ihm der Komponist und Dirigent Ernö Dohányi erkannten, dass unter den riesigen Felswänden Opernarien ihre Wirkung auf die Zuhörer steigern würden. Die Sänger standen mit dem Rücken zur Halle; ihnen gegenüber, an einem Hang, befand sich im Halbkreis das Publikum – so kam eine besondere Akustik zustande. Fackelschein, buntes Licht von Scheinwerfern oder auch allein das Sternenlicht, alles vor einem schwarzen Hintergrund, eine Rekordzahl von Statisten aus Fertörákos/Kroisbach sorgten für einen großen Erfolg unter den aus dem nahen Sopron mit Bussen angereisten zahlreichen Gästen, so dass in den „Ödenburger Nachrichten“ von einer „feenhaften Nacht“ berichtet wurde und von den Aussichten eines wachsenden Fremdenverkehrs. Viel später, 1970, wurden die Vorführungen in einer Halle möglich, so dass man nicht mehr den Wetterlaunen ausgesetzt war. Heute hat man es noch gemütlicher. Bodenheizung, bequeme Sitze, eine erweiterbare Bühnenfläche stehen im 743 Plätze bietenden Theatersaal zur Verfügung.  Oper, Operette, Kammermusik, Jazz stehen regelmäßig im Programm des Höhlentheaters, das aber höchsten Komfort und modernste Bühnentechnik vorweist.

Fertörákos hat in unmittelbarer Nähe starke Konkurrenz, was Musikfestivals betrifft. In der Nachbargemeinde Mörbisch am See, jenseits der Grenze im österreichischen Burgenland gelegen, finden im Sommer die Seefestspiele Mörbisch statt auf einer Bühne, von der behauptet wird, sie sei die „größte Open-Air-Operettenbühne der Welt“. Und wenige Kilometer weiter, in Sankt Margarethen, eben-falls in einem Steinbruch aus der Römerzeit, finden alljährlich die Passionsspiele  statt.

Vor 15 Millionen Jahren

Der Steinbruch bietet heute die seltene Möglichkeit, einen weiten Blick zurückzuwerfen bis in das Mio-zän. An der Höhlendecke beim Treppenabstieg Richtung Eingang zum unterirdischen Themenpark sind mit einem Festfernrohr große Mengen von Muschelfossilien zu erkennen. Informationstafeln, Grafiken, Animationsfilme und Nachbildungen informieren in mehreren Räumen und in einem rund 20 Meter langen „Zeittunnel“ - eine mit bläulichem Licht versehene Installation, die einen „Gang unter Wasser“ suggeriert – über das Urmeer und seine überaus diverse und spektakuläre Pflanzen- und Tierwelt. Damals erstreckte sich vom Wiener Becken bis Südpolen, von der Westukraine bis nach Transsilvanien, über Serbien und das nördliche Kroatien das mittlere Paratethys genannte Urmeer mit einer wahrscheinlichen Verbindung zum Mittelmeer im heutigen Slowenien. Es herrschte subtropisches Klima, was die reiche Flora und Fauna erklärt, wie auch die Ablagerungen in diesem seichten Binnenmeer, die zur Bildung der als Leithakalk-Formationen bekannten Sedimente geführt haben. Urhai, Urwal und Urdelfin sind nachgebildet. Viereinhalb Meter lang und mit einem Durchmesser von eineinhalb Metern ist eine lebensgroß nachgestellte Seekuh (Metaxytherium). Unter ihr sieht man ihren Lebensraum auf zwölf Quadratmetern -  der seichte, lichtdurchflutete, sandige Meeresboden mit Seegräsern und Muscheln. Das andere Extrem, die weniger als ein Zehntelmillimeter großen Foraminiferen und Bryozoen (Einzeller mit Kalkskelett) sieht man dank hundertfacher Vergrößerung von Elektronenmikroskop-Aufnahmen.

In einem zweiten Bereich dieses Themenparks geht es um den Steinabbau und die Nutzung des Leithakalks als Baumaterial. Obwohl bereits die Römer und vielleicht vor ihnen die Kelten Steine von kleineren Steinbrüchen verwendeten, erlangte der Leithakalk ab dem 18. Jahrhundert seine wahre Bedeutung. Er wurde als Baumaterial bis Ende des Ersten Weltkriegs verwendet, für den Bau monumentaler Gebäude, aber auch einfacher Häuser in Wien, Bratislava und Sopron. Ein vier Tonnen schwerer Steinquader auf einem Transportschlitten wurde in früheren Zeiten in bis zu einem Monat von Fertörákos nach Wien befördert, erfährt man in einer 1:2 Rekonstruktion eines Transportschlittens. Bis zu 100 Arbeiter waren um 1865 im Steinbruch beschäftigt. Nicht verschwiegen wird die jüngere und düstere Vergangenheit dieser Orte. An einer Stelle, wo heute eine Gedenktafel angebracht ist, sind in der Felswand Einschusslöcher zu erkennen. Die Nazis hatten dort kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter hingerichtet, unmittelbar bevor sie von der Roten Armee zum Rückzug gezwungen wurden.

Lehrpfad mit Aussichtspunkten

Bis zum Felsentheater und zum Themenpark kann man für 1800 Forint (rund fünf Euro) einen schönen Rundgang auf dem Lehrpfad „Felsen-Kreuzdorn“ unternehmen. Er führt oberhalb des Steinbruchs entlang, um eine Fläche von rund fünf Hektar, und informiert über verschiedene Stationen auf Infotafeln über die besondere Pflanzen- und Tierwelt in diesem Naturschutzgebiet. Möglich ist auch, die Infos über QR-Codes abzurufen oder als Audioguide über einen MP3-Player zu verfolgen. Der Name des Lehrpfades bezieht sich auf den Felsen-Kreuzdorn (Rhamnus saxatilis) – ein kleinwüchsiger und wenig auffallender Strauch, der in Ungarn nur in der Gegend von Sopron anzutreffen ist, wobei die steilen, praktisch unerreichbaren Felswände des Steinbruchs ihm den besten Schutz bieten. Genau so guten Schutz finden auch die vielen Fledermausarten, die in Kolonien in Grotten und Winkeln der Felsen ihren Unterschlupf haben und die man eigentlich nur mit viel Glück mit dem Fernrohr entdecken kann.

Oben gibt es auch Aussichtsplattformen, von denen man hinunter in den Steinbruch blicken kann, sowie auf den Neusiedler See mit seinem charakteristischen Schilfgürtel - nach dem Donaudelta die zweitgrößte kompakte Schilffläche Europas, wobei allerdings der ungarische Teil viel kleiner als der österreichische ist. Diese Schilffläche ist der so wichtige Lebensraum für viele Zugvögel, deren Be-obachtung wahrscheinlich die Hauptattraktion für die zahlreichen Naturfreunde, die diese Region besuchen, darstellt.

Umso unverständlicher und besorgniserregender ist ein Großbau-Projekt, das gerade bei Fertörákos umgesetzt werden soll. Dazu gehören ein Vier-Sterne-Hotel und ein Yacht-Hafen über insgesamt 60 Hektar am Seeufer. Dieses Megaprojekt in der gerade mal knapp 2000 Einwohner großen Gemeinde, das von der ungarischen Regierung gefördert wird, sorgt für Verstimmung bei den Umweltaktivisten sowie bei den österreichischen Behörden, die nun von der EU-Kommission erwarten, dass eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen wird.