Dafür, dass er 20 Polikliniken und sechs Krankenhäuser in Rumänien besitzt, wirkt Dr. Wargha Enayati erstaunlich entspannt. Ein moderner Ibn Sina, so mag man auf den ersten Blick denken, denn seine persischen Wurzeln stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Doch wenn er den Mund aufmacht, spricht auf einmal ein typischer Deutscher, geboren und aufgewachsen in Frankfurt. Seit 28 Jahren lebt er nun in Rumänien und hat eine Bilderbuchkarriere hinter sich, die er sich selbst nicht in den leisesten Träumen so vorgestellt hat. Im Gegenteil – was ihn damals in das kommunistische Land zog, waren Gedanken fernab von Business und Geld. Mit einem Koffer voll Lebensmitteln reiste der Student aus der Geborgenheit einer gutsituierten Familie in einem freien, sicheren Land ins absolute Ungewisse, wo ihn eine andere Mentalität erwartete, materielle Unsicherheit und vor allem keinerlei berufliche Perspektive. „Alles war grau“, erinnert sich der Mediziner an seine Ankunft. „Die Leute waren deprimiert. Es gab kein Toilettenpapier, Repressalien waren an der Tagesordnung.“ Viele haben ihn für verrückt erklärt, hierfür einen deutschen Studienplatz zu verlassen. Ja - wofür eigentlich? Wargha Enayati lächelt geheimnisvoll. „Es ist nicht zu fassen, wie Gott die Sache schließlich umgedreht hat“, beginnt er zu erzählen...
„Ich bin ein Bahai“
Wenn ein Mensch eine solche Entscheidung trifft, muss mehr dahinterstehen als das Kalkül für ein auf begrenzte Zeit angelegtes, materiell orientiertes Leben. Für Wargha Enayati eine Selbstverständlichkeit, denn als überzeugter Bahai denkt er stets über den Tellerrand des persönlichen Wohlergehens hinaus. Für den Studienplatz in Klausenburg/Cluj hatte er sich beworben, weil Rumänien eine ganz besondere Bedeutung in seiner Glaubensgemeinschaft genießt. „Von der Mongolei über Bolivien bis Zentralafrika wissen alle, dass sich Königin Maria als erstes Mitglied eines Königshauses offen zum Bahai-Glauben bekannte und dessen Anhänger unterstützte“. Erst im Kommunismus wurden die Bahais unterdrückt und in ihren Aktivitäten eingeschränkt, so dass sich der junge Student sagte, wenigstens für ein paar Jahre wolle er herkommen und helfen.
Doch wer jetzt einen religiösen Eiferer erwartet, irrt. „Die Bahais haben keine Missionare“ erklärt Dr. Enayati und fügt hinzu: „nicht einmal religiöse Funktionen gibt es bei uns“. Die eigenständige Suche nach Spiritualität, die Einheit aller Menschen in Mannigfaltigkeit und das Erreichen dieser Einheit durch Liebe - das ist die Botschaft des Religionsstifters Baha'u'llah, der 1817 im Iran geboren wurde und 1892 in der damals türkischen Gefängnisstadt Akka starb. Die Gottesbotschaft, so Baha'u'llah, werde, dem spirituellen Entwicklungszustand der Menschen entsprechend, fortlaufend durch verschiedene Übermittler überliefert. Zu diesen zählt er Jesus, Mohammed, Buddha, Zarathustra... In seinen Briefen an die bedeutendsten Herrscherhäuser und religiösen Oberhäupter der Welt warb Baha'u'llah für eine Vereinigung aller Religionen mit dem Ziel eines dauerhaften Weltfriedens.
Zu moderne Gedanken für den Iran des 19. Jahrhunderts, so verwundert es nicht, dass die Bahais dort verfolgt und unterdrückt wurden. Auch Warghas Vater war 1954 aus diesem Grund nach Deutschland geflohen, wo er seine drei Söhne frei im Sinne seines Glaubens erziehen konnte. Während des Erzählens steht Dr. Enayati plötzlich auf und kramt in einem Schrank. Er stößt auf eine CD, die er mir spontan in die Hand drückt: Klavierstücke, komponiert und gespielt von seinem Bruder Erfan – heute Teppichgroßhändler in Offenbach und Gründer des bekannten „Peoples Theather“, das mit Kindern therapeutische Theaterstücke zu Themen wie Konflikt, Vorurteile und Gewalt aufführt. Auch ein Bahai, der sein Wirkungsfeld jenseits der rein materiellen Seite des Lebens fand. Dann fördert er das eigentlich Gesuchte zutage - eine Broschüre mit Königin Maria als Titelbild und ihrem Bekenntnis zu Bahai: „Es ist die Botschaft von Christus, wieder aufgenommen mit fast denselben Worten, doch angepaßt an den Unterschied von tausend Jahren und mehr, die zwischen dem Jahr Eins und heute liegen“. Regina Maria. So heißen auch die Kliniken von Dr. Enayati. Ein roter Faden zieht sich durch sein Leben.
Sinnsuche – Tabuthema in der etablierten Geschäftswelt
Heute wird er oft zu Vorträgen in Kreise internationaler Geschäftsleute geladen. Er spricht dann gerne über Arbeit und Geistigkeit. Denjenigen, die nur seine materielle Erfolgsgeschichte hören wollen, sagt er: „Es gibt Leute, die reicher sind als ich. Geht mal deren Bücher lesen, dann wisst ihr, wie das funktioniert – aber nicht darauf sollte man stolz sein, sondern nachdenken, wie man den Menschen helfen und ihr Herz öffnen kann“. Der Sinn des Lebens ist für viele ein Tabukonzept, berichtet er aus Diskussionen mit der etablierten Geschäftswelt. Ein Mechanismus, nur getrieben vom Geld.
„Warum bricht jetzt alles zusammen in der Wirtschaft?“ fragt er provozierend und beantwortet seine Frage gleich selbst: „Weil jeder nur an seine paar Erdenjahre denkt und nicht auf lange Sicht plant. Theoretisch sind wir zwar ein globales Dorf geworden, doch praktisch wird der Mensch immer egoistischer.“ Obwohl technisch-materiell auf dem höchsten Stand, hinkt die Gesellschaft geistig hinterher. Es sei dieses Ungleichgewicht, das dazu führe, dass nun alles auseinanderfällt, meint der Kardiologe und fügt nachdenklich an: „Vielleicht müssen wir jetzt ein bisschen leiden, um zu sehen, dass dieser Weg falsch ist!“
Auch wenn viele seine unbequemen Worte nicht hören wollen, verleiht ihm der materielle Erfolg zumindest die Plattform zu reden. Im eigenen Hause ist es ihm längst gelungen, die Einstellung seiner Angestellten zur Arbeit zu verändern. „Wenn du deine Arbeit machst, in vollem Gewissen für das Beste deiner Mitmenschen, hat das denselben Wert wie Beten“, sagt der Bahai überzeugt.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Wie kam der einstige Student im armen Rumänien zu diesem unglaublichen Erfolg? Nach Beendigung seines Studiums in Klausenburg spezialisierte er sich in Bukarest auf Kardiologie. Sofort nach der Revolution erwarb er günstig ein bescheidenes Häuschen, das er renovierte und wenige Jahre später zum zehnfachen Preis verkaufen konnte. Überraschend hatte sich ein lukrativer Geschäftszweig aufgetan. So kam es, dass er sich eine Zeit lang auf die Sanierung alter Häuser konzentrierte und sich damit eine solide finanzielle Basis schuf.
Doch irgendwann überwog der Wunsch, wieder als Arzt zu arbeiten. Er eröffnete eine Praxis, die bald vor allem von Ausländern besucht wurde. Die Deutsche Botschaft ernannte ihn zum Vertrauensarzt. “Es gab damals noch einen englischsprachigen Arzt in Bukarest, doch zu meinem Glück war der dauernd betrunken” scherzt Dr. Enayati. 1998 konnte er die erste Poliklinik eröffnen, 2001 die zweite. Heute kann er von sich behaupten, einen wesentlichen Beitrag für das Gesundheitssystem in Rumänien geleistet zu haben. Der Service der Regina Maria Kliniken – darunter die modernste Geburtsklinik Rumäniens mit Stammzellenbank – kann über ein Abo als Zusatz zur staatlichen Krankenversicherung abgerufen werden. Viele Firmen erwerben diese Pakete, die es in verschiedenen Preiskategorien gibt, für ihre Mitarbeiter. Allein in Bukarest hat das System etwa 120000 Mitglieder – für einen rumänischen Angestellten mit Durchschnittsgehalt ist es freilich kaum erschwinglich...
Kinder liegen ihm am Herzen
Wo bleibt bei all der Verantwortung der Mensch, der Familienvater, der Ehemann? Wargha Enayati hat in Rumänien auch sein privates Glück gefunden. Mit seiner ebenfalls persischstämmigen Frau, einer Physikerin, hat er drei Kinder im Alter von 10, 14 und 16 Jahren. Die Familie ist in Rumänien integriert, die Kinder sprechen die Landessprache. An Rückkehr denkt er derzeit nicht, obwohl er Deutschland immer noch als Heimat betrachtet und sich dort alle paar Monate eine Auszeit gönnt.
Der Bahai Glaube spielt auch im Familienleben eine große Rolle. “Meine Großeltern waren jüdischer Abstammung, meine Frau hat muslimischen Hintergrund. Ohne Bahai könnte es diese Verbindung niemals geben!” erklärt er. Beide engagieren sich in Studienkreisen, organisieren Andachten und Meditationen. Seine Frau leitet Gruppen für Kinder und Jugendliche, die spielerisch Werte vermitteln, frei von Indoktrination. Gemeinsam malen, singen und basteln sie in rumänischer Sprache und jeder ist willkommen, unabhängig von der Religion.
“Man muss zu diesem Glauben nicht übertreten” erläutert Dr. Enayati. “Ein Mensch kann Bahai sein, ohne es zu wissen, wenn er schon nach den Prinzipien Baha'u'llahs lebt”. Die Kindergruppen liegen ihm besonders am Herzen, denn “Kinder werden in dieser Gesellschaft so kaputtgemacht - doch wenn sie sehen, dass auch andere gegen den Strom schwimmen und sich eine eigene Meinung zutrauen, fassen sie Mut!”
Wie beschreibt er sein Verhältnis zu den Rumänien nach 28 Jahren im Land? “Eine Hassliebe” lacht Dr. Enayati auf und relativiert sofort, er nehme sich nicht das Recht, zu kritisieren. “Ein komisches Volk”, sagt er ein wenig hilflos, im vergeblichen Bemühen einer allgemeinen Charakterisierung. Dann fügt er nachdenklich hinzu: “Doch in Rumänien spürt man noch dieses Prickeln für Geistigkeit, das es anderswo nicht mehr gibt. Es ist wohl kein Zufall, dass Königin Maria den Bahai Glauben angenommen hat. Es musste in so einem Land passieren!”