Den schwarzen Storch soll es wirklich geben. Gleich vier Mal, also zwei Paare. Nur sind sie sehr scheu und nisten zurückgezogen irgendwo im Ajta-Tal, wo es keine Straßen gibt und wohin sich kaum jemand verirrt. „Wir sind hier hinter Gottes Angesicht“, sagt Levente Gazdag manchmal seinen Gästen, vor allem wenn diese aus dem Ausland, hauptsächlich aus England, nach Aita Medie angereist sind. Das stört sie nicht, das haben sie sich geradezu gewünscht. Denn sie sind hier der ungestörten Natur viel näher als zu Hause.
Für viele ist es auch eine Reise in vergangene Zeiten, so wie sie vielleicht ihre Großeltern noch gekannt haben, sagt Levente, dessen als Autodidakt erworbenes Englisch sich nun viel besser bewährt als das Russisch aus der Schule. Und sie sind im Urlaub oder in Rente, wobei sie beim Gästehaus „Black Stork“ so gut wie nichts vermissen müssen: Noch hat das Dorf kein Kanalisationssystem und keine Erdgasversorgung, aber in der Pension gibt es Warmwasser und eine mit Brennholz betriebene Zentralheizung. Jedes der drei Doppelzimmer verfügt über ein eigenes Badezimmer (weitere Einzelheiten auf www.blackstork.ro).
Im gemeinsamen Aufenthaltsraum gibt es sogar einen Fernseher und Kabelfernsehen. Der kommt aber selten zum Einsatz, denn es gibt in der Umgebung Vieles zu sehen und selbst zu erleben.
Zu Fuß, mit dem Fahrrad oder im Jeep
Wer wandern will, hat die Baraolt-Berge vor der Tür und Levente zum Reiseführer, denn markierte Wege sind erst im Entstehen begriffen. Birdwatching, also Vogelbeobachtung, scheint eine britische Vorliebe zu sein. Levente (43 Jahre und vormaliger Turnlehrer) war beeindruckt, wie begeistert und exakt Biologen aus England im Vârghiş-Tal bei Baraolt die Vielfalt an Blumen, Gräsern, Schmetterlingen, Käfern und Vögeln untersuchten. Wer es alpiner mag, der setzt sich in den Geländewagen – und auf geht es zum Königstein, wobei man in Draculas vermeintlichem Schloss bei Törzburg einen Zwischenstopp einlegen kann, oder zum Hohenstein in Richtung Kronstadt oder Richtung Osten zum Sankt-Annen-See und den Schwefelhöhlen rund um Balvanyos.
Das ist der Vorteil von Aita Medie – zentrale Lage und viele Ziele in Reichweite eines Tagesausflugs: Kronstadt mit der Schwarzen Kirche, Schäßburg als bewohnte mittelalterliche Burg, die sächsischen Kirchenburgen im nahen Burzenland oder in Deutsch-Weißkirch, wofür Kronprinz Charles höchstpersönlich Werbung macht. Weniger bekannt ist, dass der englische Thronfolger auch im näher gelegenen Zalanpatak/Valea Zălanului ein Anwesen besitzt, verwaltet von einem Nachkommen der Kalnoky-Adelsfamilie, die in der Nachbargemeinde Micloşoara/Miklosvár ein Herrenhaus rückerstattet bekommen haben und es zum Teil auch als Nobelherberge für Touristen benutzen. Andere Reiseziele sind Schloss Peleş in Sinaia, Fogarasch/Făgăraş oder Baraolt/Barot mit Kirchen und Adelshäusern z. B. in Vârghiş aber auch mit nahe gelegenen Sehenswürdigkeiten für an alter Technik Interessierte: eine Wassermühle und ein Hochofen, wo 1848 Kanonen gegossen wurden. Levente Gazdag gestaltet das Programm flexibel nach den Wünschen seiner Kunden und richtet es in der Regel so ein, dass es dabei zu Rundfahrten kommt, dass also ein Weg nicht wiederholt wird.
Wenn Levente als Szekler über sein Volk und dessen christliche Konfessionen im engeren Umkreis von Aita spricht, kann man sich ein Bild über die Vielfalt aber auch über die religiöse Toleranz im Siebenbürgen der vergangenen Jahrhunderte machen. In Aita Medie gibt es Reformierte; im Gemeindevorort Aita Mare und in der südlichen Nachbargemeinde Belin/Bölön/Blumendorf gehören die Szekler der unitarischen Kirche an; in Micloşoara, die nächste Gemeinde in Richtung Baraolt, stellen die Katholiken die Mehrheit.
Jenseits des Alts, im Kreis Kronstadt, leben in Apa]a nicht Szekler, sondern Tschango-Ungarn, und die sind evangelisch-lutherisch. In Aita Medie gibt es auch eine kleine orthodoxe Kirche, wo rumänisch gepredigt wird aber … Überraschung, nicht von allen auch problemlos verstanden wird, da manch Orthodoxer besser Ungarisch als die Landessprache beherrscht.
Bereits beim Eingang ins Gästehaus können sich die Besucher ein einprägsames Bild über die Szekler Volkskunst machen, die Holzschnitzerei: das große Szekler Tor beeindruckt durch die Vielfalt an Motiven und Symbolen. Levente spricht über den „Spiegel“ des Tores mit dem Wappen Siebenbürgens, über die „Augenbrauen“ mit einer Inschrift, die den Dank der Eigentümer (Levente und Ehefrau Katalin) an Gott beinhaltet, über den „Lebensbaum“, der Pfosten der Erde mit Himmel verbindet.
Die alte, Runen-ähnliche Schrift der Szekler ist auch zu sehen. Auf der Hofseite ist ein lateinischer Spruch zu lesen, der das aussagt, was der Hausherr, ohne pathetisch aufzufallen, auch klar vermittelt: „Nemo patriam amat, quia magna aut pulchra est, sed quia sua.” Was also besagt, dass man sein Vaterland nicht wegen dessen Größe oder Schönheit liebt, sondern einfach weil es das eigene Vaterland ist.
Die sprechenden Stühle in der unitarischen Kirche
In der Nachbargemeinde Aita Mare können wir, dank Levente, seinen Namensvetter, den unitarischen Pfarrer Levente Fekete kennenlernen der uns eine ausführliche und engagierte Führung durch Kirchenburg, Kirche sowie ein kleines, aber sehenswertes Museum bietet. Diese Szekler Kirchenburg aus dem 16. Jahrhundert gehört zu mehreren derartigen Wehranlagen aus dieser Region, die auf dieser Seite von Holger Wermke vorgestellt wurden.
In der alten Kirche, die aus dem 14. Jahrhundert stammt, sind noch Spuren aus der katholischen Zeit erhalten und auch bewahrt worden: der Torbogen zur ehemaligen Sakristei, sowie eine 1832 wiederhergestellte lateinische Inschrift. In der, wie in allen unitarischen und reformierten Kirchen, schlichten Kirchenhalle ohne Altar, aber mit dem zentral platzierten „Tisch des Herrn“ fällt die alte, inzwischen sorgfältig restaurierte Steinkanzel aus dem 17. Jahrhundert auf; die in der Orgelwerkstatt Otto Rieger aus Budapest hergestellte Orgel feiert heuer ihren hundertsten Geburtstag.
Hervorzuheben ist die neue Bemalung des Gestühls mit Blumenmotiven nach Szekler Tradition durch den Maler Bela Sütö. Pfarrer Fekete macht auf eine Besonderheit aufmerksam: Früher gab es Stühle, deren Lehne eine seitliche Verlängerung (ähnlich einem Zopf) aufwiesen. Der eine Stuhl gehörte dem Ehemann, der andere seiner Frau. In normaler Stellung waren sie, wie in einem Gespräch, einander zugewandt. Gab es Streit und Ärger zwischen den Eheleuten, wurden die Stühle vertauscht, so dass die Stuhllehnen auseinander wiesen. Wenn er oder sie den eigenen Fehler erkannt hatte, wurden, als Zeichen zur Entschuldigung und ersten Schritt zur Versöhnung, die Stühle wieder zurecht gerückt. So sprachen die Stühle zu Hause; in Aita hat man, vielleicht als Hochzeitsvorbereitung, an diesen Brauch auch in der Kirche erinnert.
Die Kirchenburg ist nach dem Vorbild der sächsischen Wehranlagen gebaut und hatte früher auch Vorratskammern und Gänge entlang der Mauern, die aber hier wegen der Form des Innenhofes nicht rund oder oval, sondern viereckig sind. Ein eineinhalb Kilometer langer Fluchttunnel, der zum Alt führte, wurde vor wenigen Jahren während der Suche nach einem Brunnen in der Kirchenburg entdeckt, erzählt der Pfarrer, der in der alten Kirchenburg viele Veranstaltungen plant, aber immer wieder auch die Zeit findet, Besucher zu empfangen und zu führen. Begeisterung, Stolz und Heimatliebe lassen dabei keine Spur von Müdigkeit, Routine oder Langeweile aufkommen.
Sehenswert ist der Museumssaal, der dem unitarischen Bischof von Siebenbürgen und Sammler szeklerischer Volksdichtung János Kriza (1811-1875) gewidmet ist, wie auch der benachbarte Raum mit alten Haushaltsgegenständen, Werkzeug, Töpfen, ja sogar Stelzen aus Holz, auf die man zurückgriff, wenn die Straßen infolge des Regens zu verdreckt waren, um so Schuhe oder Stiefel und Hosen zu schonen.
Fürs leichtere Ausziehen der Stiefel gab es sogar eine einfache Form aus Holz mit zwei Öffnungen – eine kleinere für Frauen- oder Kinderstiefel und eine größere Männervariante.
Levente Gazdag betreibt zusammen mit seiner Frau seit 2006 den „Schwarzen Storch“. Allein davon könne man hierzulande noch nicht über die Runden kommen, sagt er, sodass er auf seinen zweiten Job nicht endgültig verzichten kann. Im Sommer habe er bei einer Wanderung zusammen mit einigen Studenten der Fachhochschule für Tourismus Luzern einen schwarzen Storch im Flug sehen können. Man müsse darauf warten und hoffen können. Zu viel Rummel vertreibe diesen seltenen Gast endgültig und dann bleibt nur noch die ausgestopfte Variante.
In Aita Medie und Umgebung kann man, Gott sei Dank, den Touristen noch vieles Unverfälschtes vorzeigen.