Kaum nimmt er die Ausweise entgegen, schon brüllt der gelangweilte Grenzbeamte ein auf dem ganzen Balkan verständliches „Haide, haide“ und winkt uns durch. Eine halbe Stunde beträgt die Wartezeit am serbisch-mazedonischen Grenzübergang Preševo–Tabanovce, von der Unfreundlichkeit der mazedonischen Grenzpolizei, auf die man zu Hause hingewiesen wurde, ist nichts zu spüren.
Auf der serbischen Autobahn A1 fahren fast nur Autos mit deutschem, österreichischem oder schwedischem Kennzeichen. Westeuropäer mit Migrationshintergrund eben, auf Urlaub in den Heimatländern. Und natürlich die Rumänen, vor allem jene aus Siebenbürgen und dem Banat, die nicht über Bulgarien, sondern über Ex-Jugoslawien an die Strände Griechenlands wollen. Wer nicht mehr als zehn bis zwölf Stunden unterwegs verbringen will, der kann auf der Strecke übernachten, zum Beispiel in Mazedonien. Auf der Hinreise nach Griechenland in Ohrid und auf der Rückreise in Skopje, der Hauptstadt des Zwei-Millionen-Landes.
Über die kleinste und zugleich ärmste ehemalige Teilrepublik Jugoslawiens weiß der Durchschnittsrumäne nicht allzu viel. Dabei ist ein Zwischenstopp auf der Fahrt nach Griechenland zweifelsohne empfehlenswert, das Land bietet wunderschöne Berglandschaften, einsame Verkehrswege, freundliche Einwohner, Denkmäler aus den verschiedensten Epochen und köstliche balkanische Gerichte. Aber: An dem Verfall Jugoslawiens zehrt es bis heute. Die Identitätskrise der slawischen Mazedonier, die latente Feindschaft zur albanisch-islamischen Minderheit und der Namensstreit mit Griechenland prägen die mazedonische Gesellschaft stark. Als Tourist bekommt man nicht viel von all dem mit, aber wer aus Ost-europa kommt und ein bisschen mehr Neugierde als der Durchschnittsreisende aufbringt, der versteht leichter, wie es um Land und Leute bestellt ist.
Wechselvolle Geschichte am Ufer des Ohrid-Sees
Zunächst also Ohrid, am gleichnamigen See gelegen, unweit der albanischen Grenze. Allein die Fahrt durch den Nationalpark Mavrovo ist beeindruckend, sie führt durch dichte Wälder bis auf 1200 bis1300 Meter Höhe, vorbei an den Dörfern der albanischen Minderheit, an funkelnagelneuen Moscheen, mit den Farben Albaniens und nicht selten der Türkei beflaggt. Vor Ohrid erstreckt sich ein weites Tal, Wein- und Obstgärten erfreuen das Auge. Südlich der Stadt reihen sich kleine Dörfer direkt am See, Übernachtungsmöglichkeiten gibt es zu erschwinglichen Preisen fast überall. Der alte Inhaber der Villa Klia in Lagadin hat 12 Jahre im Raum Köln gearbeitet, er spricht ein passables Deutsch. Gebaut hat er das Vier-Sterne-Haus, das nun von Sohn und Schwiegertochter betrieben wird, seine Ehefrau grillt vorzügliche Ohridforellen mit rosafarbenem Fleisch. Sie kommen nicht mehr aus dem See, denn die endemische Forellenart steht unter Schutz. Seit die Albaner am anderen Ufer fast den gesamten Bestand gefischt haben, müssen die Mazedonier Wasser aus dem See schöpfen und die Forellen in künstlichen Becken züchten.
Die Stadt selbst, seit 1979 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, ist ein verfallen(d)es Kleinod: Enge Altstadtgassen, mit wunderschönen Bürgerhäusern aus der türkischen Zeit, sodann die Vielzahl an orthodoxen Gotteshäusern, darunter die Sophienkirche, eine byzantinische Kirche, die mehrmals erweitert wurde, um später von den Osmanen zur Moschee umgebaut zu werden. Sie übertünchten die Fresken und retteten sie somit für die Nachwelt, sie wurden erst in den 1950er Jahren wieder freigelegt. Die Moscheen, die Hammams und Türben zeugen von der über 500-jährigen osmanischen Geschichte Ohrids, damals Hauptstadt eines Sandschaks. Einige Denkmäler der islamischen Vergangenheit hatte bereits die Volksrepublik Jugoslawien abgerissen, andere wiederum werden jetzt dem Verfall preisgegeben. Rettung kommt aus der Türkei, die die Sanierung so mancher Moschee finanziert und vorantreibt. So zum Beispiel wird das etwa 25 Kilometer entfernte Kloster des Heiligen Naum, ein 893 bis 900 A. D. errichtetes byzantinisches Juwel, vornehm-lich von Russen besucht. Noch früher hatte Philipp II. von Mazedonien im antiken Lychnidos eine Festung bauen lassen, aus der hellenistisch-römischen Zeit stammt auch das Theater, auf das die Gegenwart jedoch keinen besonderen Wert zu legen scheint, die Anlage ist fast komplett vermüllt.
Skopje: Identitätskrise als urbanes Um-gestaltungskonzept
Überhaupt ist die Vermüllung ein großes Problem in Mazedonien, auf der Straße von Bitola nach Skopje sieht man nicht selten den einen oder anderen Autofahrer, der eine Plastikflasche in den Straßengraben schmeißt. Und auch in Skopje selbst nimmt man es mit der Sauberkeit nicht so genau, aber als Rumäne sollte man nicht allzu sehr die Nase rümpfen. Denn Skopje selbst bietet durchaus Beeindruckendes, auch wenn man manchmal mit einem Auge lachen, mit dem anderen weinen müsste. Zweifelsohne ist die 500.000 Einwohner große Stadt die Hauptstadt des historischen Kitschs auf dem Balkan. Denn nirgendwo sonst hat der Staat, geplagt von der Identitätskrise des Staatsvolkes, Millionen und Abermillionen Euro für die wahnwitzige Umgestaltung des Stadtbildes ausgegeben wie in Skopje. Jeder slawische Mazedonier, der im 19. Jahrhundert die Pistole in die Hand genommen hatte, um einen Türken zu erschießen, bekam ein steinernes Denkmal. Beginnend mit Alexander dem Großen, dem Landeshelden schlechthin (trotzdem, ein antiker Grieche und kein Slawe!), und dessen Vater, Philipp II. von Mazedonien, sowie den Helden des griechisch-römischen Altertums bis hin zu den Koryphäen des anti-türkischen Widerstands des 19. und 20. Jahrhunderts.
Auch die Mütter Mazedoniens, versteht sich: Überdimensionale Frauenbilder, von Löwen geschützt, stillen ihre Kinder. Die Slawenapostel Kyrill und Method fehlen selbstverständlich nicht. Sie stehen vor der türkischen Steinbogenbrücke aus dem 15. Jahrhundert, damals hieß Skopje Üsküp. In der überschaubaren Innenstadt werden alle öffentlichen Gebäude sowie die Wohnhäuser aus der sozialistischen Zeit umgestaltet, sie bekommen neue Fassaden, mit griechischen Säulen und den obligatorischen Statuen verziert. Ein Balkan-Disneyland, die Frust des kleinen Mannes auf ein ganzes Volk ausgedehnt. Seit 2010 läuft das Projekt der Umgestaltung von Skopje, bis zu 500 Millionen Euro soll das Vorhaben gekostet haben. Was sich ein armes Land alles leisten kann, denkt man. 1963 fast gänzlich von einem Erdbeben zerstört, wurde die Stadt durch Tito-Jugoslawien wieder aufgebaut, Hilfe leistete der Westen genauso wie der Ostblock, das sozialistische Rumänien finanzierte den Bau einer Poliklinik, die auf den Namen „Bukurest“ getauft wurde. Wie dem auch sei, in Skopje gibt es noch eine osmanisch geprägte Altstadt, durchaus sehenswert sind die Moschee des Mustafa Pascha und der „Kurshumli An“, eine Karawanserei.
Skopje, auf Albanisch Shkupi, ist auch der Geburtsort Mutter Teresas. Die Ordensfrau, die nach Indien ging, den Friedensnobelpreis bekam und heiliggesprochen wurde, kam 1910 in der Familie eines reichen albanischen Händlers katholischen Glaubens zur Welt. Das Geburtshaus steht nicht mehr, aber dafür gibt es auf dem Bulevar Makedonija eine merkwürdige Gedenkstätte. Und an unzähligen Häusern in der Innenstadt gibt es Sprüche der Heiligen, auf Mazedonisch und Englisch, die albanische Mutter Teresa trotzt den Denkmälern der slawischen Mehrheit: „Peace begins with a smile“, sagt sie den Völkern eines künstlich zusammengestellten Landes, die 2001 kurz vor dem Bürgerkrieg standen und sich jetzt gleichgültig gegenüberstehen. Der Tourist allerdings staunt vor den grotesken Statuen, genießt das gute Essen (das Restaurant im Makedonsko Selo, hoch über Skopje, auf dem Hausberg Vodno, empfiehlt sich ohne Weiteres) und besucht noch schnell ein Einkaufszentrum, eine kleine Buchhandlung, die hat mehr englisch- und deutschsprachige Bücher als so manches Großstadt-Buchgeschäft zu Hause.