Auf der Zugfahrt in Richtung Budapest ist nach dem Grenzübergang bei Curtici-Lökösháza Békéscsaba der erste Halt. Von der rund 64.000 Einwohner zählenden Stadt kann man aus dem Zugfenster kaum etwas erkennen. Die ersten Jahre nach der Wende von 1989, als es hierzulande noch keine Discount-Ketten oder Großeinkaufszentren gab und eine Auslandsreise nicht so einfach wie heute war, wurde Békéscsaba zum Reiseziel für jene, die von dort, vom riesigen Flohmarkt, alles Mögliche in großem Maße einkauften, um es jenseits der Grenze mit einem mehr oder weniger großen Preisaufschlag wieder zu verkaufen. Mancher Eisenbahnwaggon führte damals mehr in riesigen Einkaufstaschen verstaute Ware als Reisende mit sich.
Jene Zeiten sind nun vorbei und Békéscsaba dürften viele zunächst mit der Csabaer Wurst in Verbindung bringen. Aber selbst unter den von der Corona-Pandemie verursachten erschwerten Reisebedingungen gibt es viel mehr in dieser Stadt zu erkunden.
Die Entwicklung kam mit der Eisenbahn
Vom Bahnhof bis ins Stadtzentrum gelangt man zu Fuß in rund 20 Minuten, wenn man der Andrássy-Straße folgt. Diese wird zur Fußgänger-Zone, nachdem man den Petöfi-Boulevard überquert hat. Schatten spendende Bäume, Eisdielen und auch Springbrunnen bieten an heißen Sommertagen, wie sie in der ungarischen Tiefebene nicht selten sind, willkommene Abkühlung. Ein erster Ort, der meine Neugierde weckt, ist ein auf den ersten Blick ungewöhnliches Denkmal. Es sieht nicht nur wie eine Guillotine aus, es stellt tatsächlich ein solch abschreckendes Hinrichtungs-Instrument dar. Bald ist mir auch klar, dass damit symbolisch der bedeutende Gebietsverlust nach dem Ersten Weltkrieg in Folge des Vertrags von Trianon mit einer Verstümmelung Großungarns gleichgestellt wird. Gut hundert Jahre nach diesem Abkommen, das dennoch als Friedensvertrag in die Geschichte eingehen sollte, bleibt Trianon für viele Ungarn ein Symbol eines schwer hinzunehmenden Verlustes. Es ist paradoxerweise ein geschichtliches Ereignis, das indirekt zur Entwicklung dieser so nahe an der rumänisch-ungarischen Grenze liegenden Stadt geführt hat. Denn durch das Wegfallen von Arad und Großwardein/Oradea kam Békéscsaba eine größere regionale Bedeutung zu.
Die erstmals in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zunächst unter der Bezeichnung Csaba (ein männlicher Vorname, der angeblich aus dem Türkischen abstammt und „Geschenk“ bedeuten soll) bekannte Siedlung galt lange Zeit als „größtes Dorf“ Ungarns, wenn nicht sogar Europas. Auch heute erinnern lange, enge und wenig befahrene Nebenstraßen mit schönen Wohnhäusern und Gärten eher an die Ruhe und Gemütlichkeit vom Lande als an die Hektik einer Stadt. Den Wendepunkt in der Entwicklung zur Stadt hat Békéscsaba der Anbindung an das Eisenbahnnetz zu verdanken. 1858 war es zunächst die Eisenbahnlinie, die von Budapest kam und über Arad nach Siebenbürgen führte. Einige Jahre später wurde Békéscsaba zum Eisenbahnknoten, da sich dort die von Debrecen nach Fiume (das heutige Rijeka in Kroatien) führende Eisenbahnstrecke mit jener aus Budapest kreuzte. Die Begeisterung in der Stadt war so groß, dass das im Stadtzentrum gelegene Hotel, das an Stelle eines ehemaligen Gutsherren-Wirtshauses errichtet wurde, kurzerhand auf den Namen „Fiume“ getauft wurde.
Einige der Sehenswürdigkeiten
Durch die Innenstadt führt der Elöviz-Kanal (der lebendige Wasserkanal), ein Ende des 18. Jahrhunderts angelegter Kanal an einem Arm der Kreisch/Körös/Criș, der später auch für den Holztransport genutzt wurde. An beiden Ufern wurden Rosskastanien, Platanen, Hainbuchen, Weiße Pappeln und Silberweiden gepflanzt. 1970 wurden entlang dieser Promenadenallee Büsten bedeutender Persönlichkeiten der Stadt aufgestellt. Am bekanntesten ist Mihály Munkácsy (1844 – 1900), der seine Kindheit und Jugend in Békéscsaba verbracht hat, eine Zeit, an die er sich auch als weltweit berühmter Maler stets gerne erinnerte. Ein nach ihm benanntes Museum, wie auch ein Gedenkhaus liegen nicht weit von dieser Promenade entfernt. Ohne Büste, aber in Verbindung mit Kronstadt/Brașov zu nennen, ist der Maler und Grafiker jüdischer Herkunft Oswald Adler (1912 – 2005), in Békéscsaba geboren und bereits als Kind mit seinen Eltern in die Stadt am Fuße der Zinne umgesiedelt. Flussaufwärts grenzt das Kanalufer an das Heil- und Freibad „Árpád“ (Baujahr 1922). Es kann zwar nicht die Besucherzahl und den Bekanntheitsgrad des benachbarten Badeortes Gyula aufweisen, lädt aber von Mai bis September ins Strandbad ein, während das Gesundheitszentrum „Jasmin“ mit Thermalbad das ganze Jahr über geöffnet ist. In der Gegenrichtung widerspiegelt sich im Kanalwasser die imposante Fassade der István-Mühle, einst die größte Mehl-Dampfmühle des Landes. Ein Stück Eisenbahnlinie mit einem historischen Waggon erinnert daran, dass von dort erstklassiges Mehl in weite Teile Österreich-Ungarns gebracht wurde. 2019 entkam dieses Industriedenkmal knapp einem Großbrand; nun soll das im Privatbesitz befindliche Gebäude eventuell als Museum und Eventcenter zu neuem Leben erwachen. „Wir haben zwar kein Schloss, aber wir haben die Mühle“, wird ein Stadtbewohner zitiert, der so den Stolz seiner Mitbürger für dieses Objekt mit Symbolwert für die Stadt zum Ausdruck bringt.
Im Stadtzentrum gibt es gleich mehrere Kirchen. Die große evangelische Kirche heißt zu Recht so und nicht nur, um sie von einer kleineren Schwesterkirche zu unterscheiden. Sie ist nämlich die größte in Ungarn und sogar in diesem Teil des Kontinents. Bis in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts war Békéscsaba fast zu gleichen Teilen von Ungarn und Slowaken bewohnt. Letztere sind ab 1718 vom österreichischen Hofkammerrat Johann Georg von Haruckern, der auch in der Geschichte des Banats seinen Platz findet, angesiedelt worden, wobei sie ihren lutherischen Glauben behalten durften. Ihnen ist auch zu verdanken, dass die nach der türkischen Herrschaft verwüstete Ortschaft zu neuem Leben erweckt werden konnte. Ein slowakisches Heimatmuseum in der Garay-Straße erinnert heute an den Beitrag zur Geschichte und Kultur von Békéscsaba.
Ein „Geheimrezept“
Wer diese Tage nach Békéscsaba reist, sollte nicht die Gelegenheit verpassen, das Csabaer Wurstfest zu besuchen. Wegen Corona musste es im Vorjahr ausfallen. Am Wochenende vom 29. bis 31. Oktober läuft es voraussichtlich in etwas eingeschränktem Format (ohne die Wurstfüllwettbewerbe) ab. Vorgeführt wird bei dieser Wurstmesse die traditionelle Wurstherstellung, einschließlich dem Schweineschlachten, alles begleitet von einem attraktiven Kulturprogramm samt Jahrmarktsstimmung.
Die Csabaer Wurst gilt als „Hungarikum“ – eine typisch ungarische Hochleistung, in diesem Fall gastronomischer Natur – eine ausschließlich aus Schweinefleisch hergestellte sommerliche Dauerwurst. Für jene, die es selbst probieren wollen, geben wir ihr „Geheimrezept“ an, so wie es auf der Webseite der Stadt erscheint.
Csabaer Wurst
Zutaten:
10 kg Schweinefleisch, gemischt, aus verschiedenen Teilen (Schinken, Kotelett, Nacken und Bauchfleck), wenn es nicht fett genug ist, dann wird ein wenig fleischiger Speck dazugegeben, 200 g süßes, gemahlenes, hausgemachtes Paprikapulver, 50 g scharfes, gemahlenes, hausgemachtes Paprikapulver, 240 g Salz, 30 g Knoblauch kleingeschnitten sowie 20 g Kümmel (ganz).
Zubereitung:
Es folgt das Abkühlen, das Füllen in den Schweinedickdarm, das Aufhängen auf ein Wurstgestell, das Zwei-Tage-Durchlüften bei höchstens sechs Grad Celsius und das sechs Tage lange Räuchern mit trockenem Buchensägemehl. Geduld ist auch gefragt, denn nun folgt der drei Monate lange Reifeprozess bei 18 Grad. Die Mühe lohnt sich, denn das Endprodukt ist „weder bröckelig noch hart, vielmehr saftig, scharf und grellrot und vom Aroma her leicht rauchig und lange haltbar.“