Gespenstisch hallt der Ruf des Käuzchens über die bewaldeten Hügel. Nebelschwaden wabern über das weite Land. Ioan wirft sich seine raue Kutte über und eilt in die steinerne Kirche inmitten der trutzigen Mauer, die seine kleine Welt umfängt. Aus allen Richtungen strömen Mönche herbei: Zeit, sich zum Gebet zu versammeln, denn bald dringen erste Sonnenstrahlen durch das Ostfenster in den Altarraum. Ihre Stimmen erbeben vor der goldenen Ikonenwand, erheben sich in den Turm und weit in die Lüfte hinaus...
„Horch“, sagt der alte Victor im Dorf zu seiner Eufrosina. Gleich ist es Zeit, das Feuer zu schüren und die Töpferscheibe anzuwerfen. Wir schreiben den Tag Irgendwann zwischen 1709 und 1714: Hoch im Bergmassiv der Südkarpaten thront die Klosteranlage von Horezu (auch Hurezi), vermutlich benannt nach dem Käuzchen (rum. huhurezi), dessen unheimlicher Schrei die nächtliche Stille zerreißt. Im Tal schmiegt sich ein Dorf an die Hügelkette. Erste Rauchfäden lösen sich aus kalten Schornsteinen. Auch im Kloster beginnen emsige Hände ihr Tagwerk: Alles muss für die Ankunft des Wojewoden vorbereitet werden. Die kleine Kapelle, in der er mit seiner Familie zum Gebet niederkniet, die Kammern, das Herdfeuer, die Bäckerei. Mönche polieren emsig buntglasierte Keramik, klopfen farbenfrohe Webteppiche aus. Jeder Handgriff ist eingespielt, denn Fürst Constantin und Fürstin Marica mit ihren vier Söhnen und sieben Töchtern besuchen das Kloster oft.
Gleich zweimal im Welterbe der UNESCO
Auch heute ist das Kloster Horezu, 1690-1693 erbaut von Constantin Brâncoveanu, dem Fürsten der Walachei, ein beliebtes Ausflugsziel. Drei Kilometer liegt es von der gleichnamigen Kleinstadt des Landkreises Vâlcea entfernt und gehört seit 1993 zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Eine zusätzliche Attraktion stellt das bis heute lebendige lokale Töpferhandwerk dar, das ebenfalls auf Brâncoveanu zurückgeht. Weil feine Keramik damals für teures Geld aus dem Orient eingeführt werden musste, wollte sich dieser ein eigenes Produktionszentrum schaffen und brachte Meister aus Athen nach Horezu. So wurden traditionelle Elemente mit Einflüssen aus Griechenland und der Levante verbunden. Die lokale Töpferei nahm eine völlig neue Richtung. Keramik aus Horezu zeichnet sich durch höchste Qualität und farbenfrohe Glasuren aus. Berühmtestes Motiv ist der Hahn von Horezu, nach dem der seit 1971 jährlich stattfindende Töpfermarkt benannt ist. Seit 2012 zählt auch die Keramik von Horezu zum Welterbe der UNESCO.
Glaube, Arbeit, Kultur
Beeindruckend präsentiert sich die gewaltige Klostermauer mit Schießscharten und metallbeschlagenem Tor. Sie war als Verteidigungsanlage gegen politische Aufstände und Racheakte gedacht. Ringsum blüht es üppig: Tulpen, Rosen und Flieder säumen Mauerwerk und Wege. Der Komplex, der dem des heiligen Berges Athos nachempfunden sein soll, ist in Kreuzform mit Ost-West Hauptachse angelegt. Im Zentrum liegt die Mauer mit Hauptkirche, Kapelle, Fürstenwohnungen, Bibliothek, Küche, Bäckerei und Speisesaal . Rechts befindet sich die Kirche der Kranken, gestiftet von Fürstin Marica 1696, die sich durch ein besonderes Fresko auszeichnet: die Kirche als Schiff, gesteuert von Jesus und den 12 Aposteln. Links liegt die Skite des Hl. Stefan (1703), dem Sohn des Wojewoden. Oberhalb befindet sich die Skite der Hl. Apostel (1698), gestiftet vom Planer und ersten Abt des Klosters, Ioan Arhimandritul, unterhalb die Kirche der Hl. Engel sowie die alte Skite, heute die Dorfkirche.
Hunderte von Mönchen bewirtschafteten einst das autarke Kloster, das wegen seiner Größe nicht dem Erzbischof des Landes unterstellt war, sondern direkt dem orthodoxen Patriarchen in Konstantinopel. Ihr Leben spielte sich weitgehend in den Klostermauern ab: Dreimal täglich zwischen Sonnenaufgang und Mitternacht versammelte man sich zum Gebet. Gegessen wurde im Speisesaal, während religiöse Texte vorgelesen wurden. Die übrige Zeit verbrachten sie mit Haus- und Feldarbeit, dem Kopieren von Büchern, Kunsthandwerk oder Verwaltung. Es gab Obsthaine, Felder, Ställe, eine Mühle, eine Bibliothek mit ca. 400 Büchern, Werkstätten für die Fertigung von Kerzen, Ikonen, Geweben und Holzarbeiten. Horezu galt als bedeutendes Zentrum der Kultur. Die Mönche pflegten auch Arme und Kranke und kümmerten sich um Waisen.
Der Geist Brâncoveanus
Horezu ist nicht nur die größte Klosteranlage Munteniens, sondern auch die am besten erhaltene. Sie gilt als Musterbeispiel für den Brâncoveanu-Stil, ein Mix aus lokalen architektonischen Elementen mit Einflüssen aus Venedig, Konstantinopel und dem barocken Europa. Die Gebäude sind mit gut erhaltenen, restaurierten Fresken und teils originalen Möbeln, Gold und Silber, Reliquien und Webstoffen ausgestattet. Die Gegenstände aus Edelmetall bestellte der Fürst stets bei sächsischen Goldschmieden in Hermannstadt/Sibiu und Braşov/Kronstadt.
An der westlichen Fassade der großen Kirche springt zuerst das wandfüllende Fresko des Jüngsten Gerichts ins Auge. Links zeigt es himmlische Gefilde, rechts öffnet der große Verschlinger sein Feuermaul für die gequälten Seelen, denen sadistische Teufel Spieße in den Leib stechen.
Im Pronaos hat sich der Stifter mit seiner Familie verewigt: Auf dem Votivbild halten Constantin und Marica eine Miniatur der Kirche in die Höhe, hinter sich die Kinderschar: Constantin, Stefan, Radu, Matei, Stanca, Maria, Ilinca, Safta, Ancuţa, Bălaşa und Smaranda. Eine Porträtgalerie der Familien Brâncoveanu, Basarab und Cantacuzino verrät, wie die Vorfahren des Wojewoden ausgesehen haben mögen.
Die zwischen 1692 und 1694 entstandenen prachtvollen Fresken entstammen einer von Brâncoveanu gegründeten Malerschule, die 200 Jahre in der Walachei und in Siebenbürgen wirkte. Geführt wurde sie von den beiden Griechen Constantinos und Ioan und den einheimischen Meistern Andrei, Stan und Ioachim. Besondere Merkmale sind ausgeprägte Details und sichtbare Gefühle. Die Bilder erzählen über Orte der heiligen Geschichte. Bemerkenswert ist außerdem die monumentale vergoldete Ikonenwand aus Lindenholz, eine Stiftung von Fürstin Marica.
Ursprünglich hatte die Stifterfamilie die Kirche als Ort für ihre Gräber auserkoren. Das Schicksal wollte es anders: Am 15. August 1714, dem Geburtstag Constantin Brâncoveanus und dem Maria Himmelfahrtstag, wurden er und seine Söhne in Istanbul geköpft, ihre Leichen ins Meer geworfen. Christliche Fischer sollen die sterbliche Hülle des Fürsten geborgen und auf einer nahen Insel begraben haben, bis es Fürstin Marica gelang, den Leichnam nach Bukarest zu holen und in der Kirche des Heiligen Georg zu bestatten. In Horezu fand nur der erste Abt des Klosters, Ioan, die ewige Ruhe. Doch der Geist Constantin Brâncoveanus schwebt immer noch über dem Ort.