Auf der Landstraße, die Kronstadt/Braşov mit Hermannstadt/Sibiu verbindet, biegen wir bei Voila ab und folgen dem Schild „Mănăstirea Brâncoveanu Sâmbata de Sus“. Zuerst geht es durch verschlafene Dörfer, dann über eine weite Ebene. Vor uns erheben sich majestätisch die Fogarascher Karpaten mit ihren überzuckerten Gipfeln. Links und rechts wiegen sich Wiesenblumen im semmelblonden Gras. Die unendliche Weite der Landschaft öffnet uns die Seele! Es ist wie eine Fahrt durch die Zwischenwelt, die das Irdische vom Paradiesischen trennt.
Schließlich erreichen wir ein geschnitztes Holztor, einen Weg, mit leuchtenden Blumen gesäumt, Wiesen mit Heumännchen vor fast irrealer Bergkulisse. Dann, plötzlich, tauchen wir ein in die Oase der Ruhe: Mit weißen Mauern, gedrehten Säulen, zierlichen Ornamenten und einer fast überirdisch leichten Geometrie umfängt uns die sanfte spirituelle Kraft dieses Ortes...
Ort der Liebe und Heilung
Himmelblau. Über uns Wattewölkchen. Himmelblau ist auch der Freskengrund des Eingangs, von dem eindrucksvolle Antlitze früherer Mönche und Äbte mit kristallklaren, wasserblauen Augen herunterblicken. Ernsthaft, durchdringend, doch ganz ohne Strenge. Wie der blinde Mönch Teofil Părăian, der hier von 1953 bis zu seinem Tode 2009 lebte, und von dem bekannt ist, dass er nur liebevolle Gedanken zulassen wollte. In seinem Buch „Cine sunt eu?“ (Wer bin ich?) bekannte er: „Ich hatte so viel Freude in mir, dass ich fürchtete, mein Herz könne bersten. Ich bin ein Mensch der Freude! Ich bin ein Verbreiter der Freude! So hat mich Gott geschaffen.“ Und die Menschen liebten ihn.
Einer der berühmtesten Mönche aber, den dieser Ort hervorgebracht hatte, war der seherische Abt Arsenie Boca (1910-1989), der die Leitung des Klosters 1942 übernahm, bis ihn die Verfolgung durch die Kommunisten zwang, sich nach Prislop und später nach Sinaia zurückzuziehen. Sein Mythos ist bis heute nicht verblasst, seine Beliebtheit ungebrochen. Pilger besuchen seine ehemalige, in den Fels gehauene Klause, nur fünf Kilometer vom Brâncoveanu-Kloster in Sâmbăta de Sus entfernt. Obwohl der Aufstieg recht beschwerlich sein soll.
Nach Arsenie Boca ist auch die Quelle benannt, die auf dem Boden des Klosters sprudelt. Ihre Existenz ist allerdings schon seit der Gründung des Klosters durch Constantin Brâncoveanu dokumentarisch belegt. Kurz nachdem Arsenie Boca sie gereinigt und wieder instand gesetzt hatte, verbreiteten sich im Volk Geschichten von spontanen Wunderheilungen. Von der gelähmten Frau, an Multipler Sklerose erkrankt, die aufrechten Ganges von der Quelle zurückgekehrt war. Von dem blinden Jungen, der seine Augen mit Wasser benetzte und danach wieder sehen konnte. Die Geschichten haben Namen und Daten. Doch die Legende der heilkräftigen Quelle ist noch älter. Bereits Woiewode Matei Basarab soll von einer schlimmen Hautkrankheit genesen sein, nachdem er sich mit dem Wasser gewaschen hatte.
Ist es ein Zufall, dass nur unweit des Klosters noch heute ein Mann mit heilenden Händen lebt? Zu Ioan Lazea aus Pojorta, Hausnummer 96, reisen Menschen aus allen Ländern: Deutschland, Kanada, Japan. Gehen hinkend hinein, kommen aufrecht heraus! Telefon braucht er keines, man trifft ihn immer an – nur an Sonn- und religiösen Feiertagen „arbeitet“ der 90-Jährige nicht. Auch er hat diese durchdringenden, himmelblauen Augen...
Architektur des Himmels
Wir betreten den Innenhof des Klosters. Staunen. Links hinter dem Eingang führt eine Treppe nach oben. Bevor wir uns überhaupt der Kirche nähern, hat sie uns schon nach oben gezogen. Steinerne Blütenknospen lodern wie erstarrte Feuer von den Pfeilern der Balustrade gen Himmel. Sie endet in einem lichten Pavillion aus gedrehten Säulen mit Blätterkapitellen. Dazwischen leuchten ferne Berggipfel durch den fahlblauen Dunstschleier. Von hier aus bietet sich der beste Überblick auf die ganze Anlage.
Ein weißer Säulengang führt die gesamte Eingangsmauer entlang. Ein paar Stufen nach unten, dann gleich wieder hinauf. An der Decke schlichte Leuchter aus geblasenem Glas. Schreitet man den Gang entlang, verflechten sich Säulen, Stufen und Leuchter in einem faszinierenden Spiel der Symmetrie. Zwischen den Säulen fällt der Blick auf die massive kleine Kirche im typischen Brâncoveanu-Stil: geschwungene Portale, Arabesken. Daneben geschnitzte Holzpavillons mit entzückenden Sonnen- und Mondgesichtern als stets wiederholtes Hauptmotiv. Verschlungene Balustraden mit Sonne, Mond, Pflanzenranken und seltsamen Tieren. Welch Paradies der Architektur! Es fällt schwer, den Finger vom Auslöser zu nehmen...
Oase des Glaubens und der Kunst
Seit Jahrhunderten war der Ort eine Oase des Glaubens und der Kunst. Unterlagen aus dem 18. Jahrhundert zufolge soll hier schon in den ersten Jahren nach dem Vordringen des Christentums eine Art Kloster gewesen sein. Zuerst von den lokalen Boyaren, später von den Herrschern der Walachei unterstützt, entwickelte es sich zu einem religiösen Zentrum für Gläubige diesseits und jenseits der Karpaten. Walachenfürst Constantin Brâncoveanu ersetzte 1696 das hölzerne Kirchlein unter der schützenden Kette der Fogarascher Karpaten – genau da, wo sie unterbrochen ist, wie ein riesiges Fenster – durch einen steinernen Bau. Er selbst hatte einen Palast in der Nähe, in den er sich mit seiner Familie zurückziehen wollte. Heute stehen nur noch ein paar Mauerreste von dem einst stolzen Bau.
Die Meister, die das Kloster errichtet hatten, stammten ebenfalls aus der Walachei. Schon zur Zeit Brâncoveanus entwickelte sich an diesem Ort eine bedeutende Schule für kirchliche Malerei. Noch heute werden hier Malereien im traditionellen Stil hinter Glas realisiert. Eine Ausstellung dazu gibt es im hauseigenen Museum, wo sich auch eine von Arsenie Boca gemalte, sehr eigenwillige Ikone befindet, in der Jesus – lichtdurchflutet – eine weibliche Figur auf dem Arm hält...
Geheimnis. Mysterium. Stille. Licht und Liebe. Ja, so ungefähr muss es auch im Himmel sein.