An einer Kreuzung der Nationalstraße 14, etwa auf halbem Weg zwischen Schäßburg/Sighișoara und Mediasch, zweigt eine kleine Straße in die Dörfer Großlasseln/Laslea, Rauthal/Roandola und Neudorf/Noul Săsesc ab. Sie wird später zu einem Schotterweg und führt bis nach Agnetheln/Agnita. Am Straßenrand an der Kreuzung stehen an diesem heißen Vormittag zwei Gruppen von jeweils drei Personen. Offensichtlich warten sie auf ein Auto, das sie nach Mediasch mitnimmt. Die Wartenden befinden sich nicht in der typischen Autostopper-Pose, wie man sie aus Deutschland kennt, also mit ausgestreckter Hand und gespreiztem Daumen. Wahrscheinlich wissen vorbeikommende Autofahrer trotzdem, dass hier eine günstige Mitfahrgelegenheit gesucht wird. Tatsächlich dauert es keine fünf Minuten, bis ein Auto hält, in das sich eine Dreier-Gruppe hineinzwängt.
Diese Art der Fortbewegung ist in ländlichen Gebieten in Rumänien noch weit verbreitet. Wie sonst sollen die Bewohner der Dörfer, die kein Auto besitzen, in nahegelegene Städte gelangen, um Einkäufe, Amtsgeschäfte oder sonstige notwendige Dinge zu erledigen? Flächendeckende Busverbindungen gibt es nicht. Im beidseitigen Einverständnis wandern dafür ein paar Lei Benzingeld in das Portmonnaie des Fahrers. So hilft man sich gegenseitig.
Viel Zeit, Abenteuerlust und ein bisschen Mut
Was vielen Rumänen dem Zweck der Fortbewegung im Alltag dient, ist für mich eine aufregende Art des Reisens! Ein solides geografisches Verständnis, genügend Zeit, falls mal nicht gleich jemand stehen bleibt, und eine Portion Mut sind nötig, um kostengünstig auch in die entlegensten Ecken des Landes zu gelangen. Eine Reise als Autostopper von Kronstadt über Schäßburg und Mediasch nach Hermannstadt, mit Nächtigungen in kleinen, entlegenen Dörfern in den Tälern des Kokelgebiets, bietet Einblicke in bäuerliches Leben und landwirtschaftliche Tradition. Hier kann man auf Tuchfühlung mit Menschen und Natur gehen und – sofern man zupacken kann – auch mit harter landwirtschaftlicher Arbeit.
Permakultur-Experiment und rustikale Herberge
In Kronstadt ist es keine Schwierigkeit, eine Mitfahrgelegenheit nach Schäßburg zu finden. Dazu stellt man sich am Ortsausgang an den Straßenrand und hält den Daumen raus. Mein erstes Ziel ist Trappold/Apold, ein kleines Dorf, etwa 15 Kilometer südlich von Schäßburg. Nach drei Stunden Fahrt, einmal Umsteigen inklusive, erreiche ich den malerischen Ort.
Im Schatten der gut erhaltenen Kirchenburg liegt ein kleines Anwesen. Das „casApold“, wie es der Hausherr Daniel genannt hat, ist das alte Pfarrhaus der Kirche. Der junge schlaksige Deutsche mit schulterlangen Haaren hat sein Studium abgebrochen, um einige Jahre in Rumänien zu leben. Das Haus hat er vom gemeinnützigen Verein „Corona“ in Berlin zur Verfügung gestellt bekommen. Als Gegenleistung muss er es erhalten. An dem kleinen Stück Land, das dem Pfarrhaus eigen ist, versucht er sich am landwirtschaftlichen Prinzip der Permakultur. Was das bedeutet, erklärt er mir beim abendlichen Mămăligă“-Schmaus: Man könne ein kleines Ökosystem erschaffen, das sich von selbst reguliert, erzählt er. Alle Pflanzen erfüllen eine Funktion, die man so ausnutzt, dass sich das System selbst reproduziert. „Man hat also Ertrag aber kaum Arbeit“, freut sich Daniel.
Neben dem landwirtschaftlichen Experiment betreibt Daniel ein kleines Gästehaus. Ein großer Raum mit urigen, handgemachten Stockbetten und einem backsteinernen Holzofen dient als Gästezimmer. Meist sind es überlandreisende Tramper, die bei Daniel absteigen. Manchmal sind sie schon viele Hundert Kilometer mit dem Fahrrad unterwegs, manchmal kommen sie mit dem Motorrad und manchmal als Autostopper. Daniel verlangt kein Geld für die Übernachtung, kümmert sich aber auch nicht speziell um die Gäste. In einer Spendenbox kann man einen freiwilligen Obolus entrichten. Daniel weiß nicht genau, wie lange er noch bleiben darf, denn die Organisation plant anderes mit dem alten Gebäude. Ob Daniel mit seinem Permakultur-Experiment langfristig Erfolg haben wird, weiß er selbst nicht. Das wird die Zukunft zeigen.
Am nächsten Morgen setze ich meine Reise durchs Kokelgebiet fort – natürlich wieder per Anhalter. Wenige Kilometer nach Schäßburg zweigt die Straße nach Rauthal ab. Unter den wenigen Autos, die in dem Tal unterwegs sind, ist es schon schwieriger, eines zu finden, das Autostopper ein Stück mitnimmt. Es kann durchaus vorkommen, dass man die sieben Kilometer von der Nationalstraße bis ins Dorf zu Fuß zurücklegen muss. Rauthal ist eine kleine sächsische Ansiedlung in einem Tal zwischen Mediasch und Schäßburg. Wer ein einfaches Leben sucht, ist hier genau richtig.
Landwirtschaft - noch wie zu Uromas Zeiten
Familie Göres ist vor acht Jahren aus Franken in Bayern in das kleine Dorf gezogen und betreibt nun eine Selbstversorger-Landwirtschaft und ein kleines Gästehaus. „Es sind nicht mehr viele Deutsche im Dorf übrig geblieben“, erzählt Gerhard, der Familienvater, „nur noch vier.“ Dann zählt er die Namen auf. Die Abwanderung hat auch vor Rauthal nicht Halt gemacht. Nun gibt es hauptsächlich Pensionisten und Sommersachsen. „Unendlich viele Sommersachsen“, meint Gerhard, „da kannst du direkt genug davon haben“. Gerhard ist ein hagerer Mann mittleren Alters. Seine Haut ist von der Sonne braungebrannt, das Gesicht versteckt er hinter Bart und Brille. Er ist kein Siebenbürger Sachse und hatte früher keinerlei Bezug zu Rumänien. Mit der kleinen ursprünglichen Landwirtschaft im Herzen Siebenbürgens haben sich Gerhard und seine Frau Elvira einen Traum erfüllt. Ein paar Kühe, Hühner, ein Hund, ein Pferd und ein kleines Stück Land – damit erwirtschaften sie fast alles, was sie zum Leben brauchen. Ein bisschen Geld verdienen sie durch den Verkauf ihrer landwirtschaftlichen Produkte. Dabei kommt ihnen zugute, dass viele Dorfbewohner ihre kleinen Höfe schon aufgegeben haben. Sie freuen sich über die Lebensmittel, die sie direkt im Dorf am Hof der Familie Göres kaufen können. „Harte Arbeit und wenig finanzieller Ertrag“, so fasst Gerhard den Arbeitsalltag zusammen. Im Sommer beginnt sein Tag kurz nach fünf Uhr morgens. Zuerst werden Pferd und Hühner versorgt und die Kühe zum Melken von der Nachtweide in den Stall geholt. Nach dem Melken folgt ein kurzes Frühstück, dann geht es weiter mit der Arbeit am Hof oder auf dem Feld. Um sechs Uhr abends wird die Melk-Prozedur ein zweites Mal vollzogen – natürlich von Hand – und dauert etwa eine Stunde. In der Zwischenzeit steht die Kundschaft schon Schlange und wartet auf die frische Milch. Beim Abfüllen in Plastikflaschen wird dann der neueste Tratsch ausgetauscht und mit dem einen oder anderen ein Gläschen Țuica geleert.
Sehnsucht der Urlauber nach Abgeschiedenheit
Das Leben auf Gerhards Hof ist mit viel Aufwand verbunden. Anstatt eines Wasserhahns muss man sich mit dem hauseigenen Brunnen begnügen. Es gibt zwar Trockentoiletten, aber Gerhard empfiehlt, für kleine Geschäfte der Einfachheit halber die Kühe im Stall zu besuchen. Auch wenn man keine hohen Ansprüche stellt, ist für ausländische Touristen vieles sicher gewöhnungsbedürftig. Momente ländlicher Idylle, wie man sie sich als Stadtmensch so vorstellt, sind in der Realität selten. Doch wenn man Gerhard morgens um sieben aufs Feld zum Mähen begleitet, kann man so einen Moment erleben. Der Morgentau liegt dann noch über den saftig-grünen Wiesen. Wer sich für ein paar Tage ins Gästeheus einmietet, kann all dies hautnah miterleben, denn Gerhard bindet seine Gäste gerne in den Arbeitsalltag ein. Zu tun gibt es genug.
Die Touristen, die Familie Göres in dem abgelegenen Dorf beherbergt, sind meist Menschen, die das einfache Leben suchen. Es kommen aber auch Leute, die gezieltes Interesse an traditioneller Landwirtschaft haben – ohne Traktor, Melkmaschine oder Mähdrescher. „Es ist bemerkenswert, wie groß das Bedürfnis nach Urlaub in Abgeschiedenheit ist“, meint Gerhard. Viele Gäste wollen mehr erfahren über das Leben im Dorf und traditionelle Landwirtschaft. „Die Leute wollen Arbeit ganz und gar körperlich erleben. Die allerwenigsten haben ein Problem mit den einfachen Lebensumständen“, stellt Gerhard fest. „Es ist erstaunlich, wie wenig Luxus man eigentlich braucht.“