Schatzsuche auf Griechenlands größter Insel

Von Kreta kann man sich eine dicke Scheibe abschneiden

Einfahrt in den sicheren Hafen ist etwas Wertbeständiges

Abendrot auf einer Insel hat was Besonderes für sich.

1580 war die von Venedig geplante Festung in Rethymno fertig, und doch fiel sie 66 Jahre später an die Türken.

Mit dem Linienschiff die Insel Gramvoúsa am nordwestlichen Zipfel von Kreta anzusteuern und zu erreichen, ist spektakulär. Aber man erhält nicht gemütlich viel Zeit für das Erkunden der venezianischen Festung zum Schutz vor Piraten auf 116 Metern Seehöhe. | Fotos: Klaus Philippi

Plastikbeutel sind gut, sauber verschließbare Schachteln besser und Schutzfolien mit Luftbläschen perfekt: Wer den mediterranen Süden Europas mag, sollte vor der Hinreise unbedingt einige Bögen davon in den Koffer packen. Mitbringsel mit Pfiff sind es allemal wert, den Rückweg schadlos zu überstehen. Sonst nämlich könnte es zu einer schmierigen oder klebrigen Angelegenheit geraten, das Auspacken nach der Heimreise auf dem Luftweg und mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Aus dem Gläschen gelaufener Honig? Nein, muss mit genügend schützender Verpackung zusätzlich zur kleinen Tüte nicht befürchtet werden. Am leichtesten auf Kreta natürlich machen es sich Urlauber, die ohne Kostprobe der geschleuderten und süßen Delikatesse wieder nach Hause abdüsen. Das zähflüssige Erzeugnis kretischer Bienenvölker und Imker legt man nicht mehr gerne wieder aus der Hand, hat man erst einmal davon probiert – weil die Chancen auf kräftiges Thymian-Aroma besonders hoch sind. Nichts gegen heimischen Akazien-Honig in Rumänien beispielsweise, klar, doch warum eigentlich sollte man Griechenlands größter Insel und ihrem Geschmack nicht für ein paar Wochen nachhängen können? Verboten ist es nicht.

Gültig genauso auch für alle kretischen Käsesorten von butterweich bis steinhart, wo die fünftgrößte Mittelmeer-Insel zwar weder stark bewaldet ist noch sich zur Rinderzucht eignet, jedoch ihren Schafen, Ziegen und Bienen eine Nahrungsauswahl stellt, die verlässlich viel mehr als nur Karges hervorbringt. Richtiggehend Festmahl-Zutaten wuchsen und wachsen noch immer in der Urheimat der minoischen Kultur um das Jahr 2000 vor Christus, und statt der Menge ist es die Qualität, die nach wie vor den Unterschied macht. Einzig und allein beim Olivenöl-Verbrauch halten Kretas Einheimische im Schnitt mit 80 ml pro Tag und Person – vier gut gefüllte Schnapsgläschen – die einsame Spitze in gesamt Hellas und dem übrigen Europa sowieso. Immerhin stehen auf ihrer Insel die ältesten Olivenbäume des alten Kontinents und womöglich der ganzen Welt. Die allerbesten Oliven in Kretas Supermärkten? So klein wie nur möglich, in Salz eingelegt und eingeschweißt!

Das schließlich wäre Vergleichsreferenz für den Fall der Fälle, sollte es auch Rumänien beschieden sein, Klimakrise und Erderwärmung nichts mehr entgegensetzen können. Auf der Linie nachteilig wäre es – ausgenommen das Anbauen und Abernten von Olivenbäumen binnen der eigenen Landesgrenzen, wogegen kaum jemand was zu nörgeln hätte. Einen triftigen Grund weniger, nach Griechenland in den Sommerurlaub zu reisen, gäbe es allemal. Bleibt somit nur noch die Frage nach Schaf und Ziege, wovon Rumänien beileibe nicht zu wenige auf die Weide schickt: Es gibt Produkte aus der Milch beider Nutztiere im Großhandel, doch muss man ziemlich genau Bescheid von ihren Regalen wissen, und noch viel schwieriger kann es beim Einkaufen von Fleisch werden. Dabei würde das „Tsigariastó“, der kretische Lamm- oder Ziegenbraten, auch und gerade in Rumänien nicht nur zu Ostern lecker munden. Und warum nicht einmal auch Eis aus der Milch von Schaf statt Kuh zum Dessert? Kreta macht es erfolgreich vor.

Leider nur ist Kretas prominentes Verkaufsgebäude, die Markthalle von Chaniá, aktuell eine Großbaustelle und weder für Einheimische der zweitgrößten Insel- und Hafenstadt noch ihre Gäste zugänglich. Dass Ende 2021 ihr Dach abgetragen wurde, soll Bauingenieure mit dem genauen Blick für die nicht mehr ausreichende Standsicherheit der 1913 fertiggestellten „Dimotikí Agorá“ kein bisschen überrascht haben. Archäologen aber fanden unter dem Marktplatz-Fundament venezianische Stadtmauer-Ruinen, weswegen vor wenigen Wochen eine umso optimistischere Nachricht Kreta aufschauen ließ: Freitag, am 26. Juli, wurden mit einem Kran erste metallene Dachbalken auf Grundmauern gesetzt. Bürgermeister Panagiotis Simandirakis hofft auf den Abschluss der Markthallen-Baustelle im Frühjahr 2025. Das kreuzförmige Baudenkmal wird es vom ersten Öffnungstag an sehr schmackhaft wieder in sich haben, und sollte es noch ein paar Jahre länger dauern.

Erstaunlich groß sind die Ausmaße der Markthalle und bescheiden klein die meisten orthodoxen Kirchen von Chaniá. Kreta schließlich war gut 450 Jahre lang venezianische Provinz, und die katholischen Herrscher passten auf, sich von den ostkirchlichen Kultstätten keine Konkurrenz bieten lassen zu müssen. Verhandelt wurde überhaupt gar nichts, sondern alles befohlen und durch Fronarbeit erzwungen, wofür die Altstadtmauer Beweis steht. Dass nach und nach ab Mitte des 17. Jahrhunderts die Türken ihren Gebietsanspruch ohne Wenn und Aber geltend zu machen vermochten und sich noch viel mehr Argwohn der Kreter als ihre Vorgänger aus Venedig einhandelten, schwächt das Koloniale der großen Vergangenheit unter Hoheit der Serenissima nicht ab. Griechisch ist man denkbar unfreundlich auf die Türkei zu sprechen und verzeiht es Italien, gelegentlich durch venezianische Härte zur Räson gerufen worden zu sein. Denn der alte Hafen von Chaniá einschließlich seines Leuchtturms macht es leicht, die längst säkularisierte Moschee mit abgetragenem Minarett am zentralen Platz der Uferpromenade übersehen zu wollen. Er ist architektonisches Zeugnis des Greifens von Venedig nach Schätzen Kretas.

Unter den Inselbewohnern ab der Blütezeit des Römischen Reiches hatten auch Juden ihre urbanen Standorte behauptet. Aus Ägypten und Palästina waren sie nach Kreta gekommen, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts neun Synagogen für bis zu 1600 jüdische Dörfler und Städter zählte. Erhalten ist heute nur noch die „Etz Hayyim“-Synagoge im ehemals jüdischen Viertel der Altstadt von Chania, das von Griechenlands nationalsozialistischer Okkupation kein bisschen verschont wurde. Ein halbes Jahrhundert lang stand sie leer, die Synagoge in einer der verwinkelten Gassen von Chaniá, ehe sie Herbst 1999 nach dreijähriger Restaurierung wieder ihrer Bestimmung übergeben wurde. Nach jüdischer Ordnung gebetet wird darin jeden Freitagabend zu Beginn des Sabbat, auch Nicht-Juden sind ausdrücklich willkommen, und eine noch glücklichere Abwechslung vom Gewimmel der Souvenir-Shops und Tavernen könnten kulturell orientierte Urlauber im „Evraiiki“ kaum finden. Warum übrigens noch eine Gaststätte suchen, wo doch Tische und Stühle des Seitengassen-Lokals „To Xani“ direkt an der Synagogen-Hofmauer für Gäste bereitstehen? Auch Jüdisches bietet die Karte – kein Wunder, weil unter einem halbrunden Fenster wie jenen vom romaniotischen „Etz Hayyim“-Gebetshaus der Tavernen-Wirt ein- und ausgeht.

Wobei man auch in Chaniá wie auf ganz Kreta speisen kann, was und wo einen der Kohldampf im Augenblick hinführt. Unbedingt ausgekostet haben sollte man aber den Weitblick auf die Altstadt und ihr bergiges Hinterland vom Leuchtturm und seinem Damm aus, was nicht nur kostenlos, sondern sprichwörtlich unbezahlbar ist. Kreta ist ja auch nicht von ungefähr 1204 n. Chr. im Nachgang des Vierten Kreuzzugs Venedig angepriesen und verkauft worden, und Reisende, denen beim Leuchtturm-Spaziergang der politische Tiefgang fehlt, spüren ihn garantiert oben im Burgviertel „Kastelli“, dem venezianischen Altstadt-Kern, von dessen Panorama-Mauer aus sich ein fast noch schöneres Hafenbild bietet. Weniger schön, aber wichtig für das Begreifen des mehr als wahrscheinlich betont anarchistischen Klimas in den Altbauten rings um den Panorama-Vorplatz: Graffitis als Lobby für die palästinensischen Ansprüche im zerstrittenen Westjordanland und für den NATO-Austritt. Ein rauer Umgangston, der sich mit der freundlichen Synagoge beißt. Nein, derart unerbittlich oppositionell ist Chaniá dann wohl doch nicht. Zumal der Parcours im Schifffahrts-Museum am westlichen Ufer der venezianischen Altstadt eindrücklich mit Griechenlands pro-atlantischer Verortung schließt. Im Seefahrerland Hellas weiß und versteht man, dass auch der Westen nicht immer alles richtig machen kann, ja. Aber es gibt nun einmal nichts Ausgefeilteres als die freie Welt, die er verwaltet.