Völlig anders als auf den bisher von uns erwanderten Karpatenabschnitten von der Slowakei über die Ukraine bis zum Predeal-Pass stellt sich die Situation für den Weitwander- oder neudeutsch „Trekking“-Touristen in den Südkarpaten dar. Es gibt plötzlich flächendeckend Wanderkarten, wenn auch in ungebräuchlichen Maßstäben und oft ungenau mit viel zu wenig Höhenlinien, dazu Wegmarkierungen und Wanderwegweiser, vielerlei Übernachtungsmöglichkeiten in Berghütten, Pensionen und Hotels. Also eine völlig langweilige Wandergegend ohne irgendwelche technischen, mentalen, physischen oder psychischen Herausforderungen? Weit gefehlt, wie unsere Weitwanderung Ende Juli/Anfang August 2017 beweist!
Stürmischer Beginn
Geplant war, mit einem Direktbus vom Flughafen Otopeni nach Buşteni zu fahren. Die anderthalbstündige Verspätung der BlueAir-Maschine ab Stuttgart vereitelt das Vorhaben. Es bleibt nur eine Möglichkeit: Zwei Taxis zu chartern und im Hotel Maraseşti unsere späte Ankunft zu melden. Ziemlich flott geht es also hinauf ins Prahova-Tal. Die Berge sind in der einbrechenden Dunkelheit nur noch schemenhaft zu erkennen, das Hotel schwer zu finden. Schnell aussteigen und Zimmer beziehen. Auf der Strecke bzw. im Taxi bleiben Reiseunterlagen und Rückflugtickets!
Am nächsten Morgen, dem ersten Wandertag, wollen wir unseren rumänischen Wandergast an der Talstation der Seilbahn zu den Babele treffen. Pech! Die Seilbahn kann wegen des zu stürmischen Windes nicht fahren. Was tun? Nicht alle angebotenen Taxis zur Piatra Arsă sehen vertrauenswürdig aus, geschweige denn manche Fahrer. Wir hatten Glück mit unserer Wahl und konnten mit einem relativ neuen VW-Bus die lange Auffahrt auf das Bucegi-Plateau gut hinter uns bringen. In der Abfahrtshektik bleibt ein Paar Wanderstöcke im Frühstückslokal. Oben dann die Überraschung: Trotz des Sturms sind Hunderte von Wanderern jeden Alters unterwegs. Es ist bitter kalt, gefühlt um die 5°C, nach Osten dichte Wolken, die dann in Form von Nebelschwaden über das Bucegi-Plateau wabern. So ist es nichts mit der erwarteten Aussicht. Dafür eine Vielzahl von oft parallel verlaufenden Wan-derwegen, unserer gelb markiert mit zu vielen Markierungsstangen und -zeichen – obwohl man sich eigentlich nicht verlaufen kann.
Fototermin vor den Babele, dann weiter nach Norden, gelb markiert. An der Şaua Cerbului bläst der Sturm einen Mountainbiker vom Rad und beinahe in den Abgrund. Wir können uns gerade noch auf den Beinen halten. Auf dem Vf. Omu, mit 2505 Metern höchster Punkt unserer Tour dann dichter Nebel und ein fürchterlicher Dampf in der kleinen Hütte. Also schnell weiter, jetzt auf dem blau markierten Weg. Welch ein Wunder: Die Sonne scheint beim Abstieg zur Mălăieşti-Hütte, ein Adler kreist über uns, unterhalb unseres Pfades klettern Gämsen und als Krönung schließlich Edelweiß über Edelweiß. Auf der Hütte werden wir vom Eigentümer Ion Adamuţa, der aus Rosenau/Râşnov stammt, und seiner Tochter Denisa, Geografiestudentin mit Schwerpunkt Tourismus in Klausenburg/Cluj-Napoca, freundlich empfangen und bestens bedient. Wenn nur die Wasserversorgung und die sanitäre Situation besser wäre! Aber Denisa lässt hoffen.
Bärig heiß
Von der Hütte steigen wir in der Morgensonne auf dem gelb markierten Pfad kurz und steil hoch zum Grat und fast eben hinüber zum kleinen Ţigăneşti-See, wo neugierige Pferde weiden. Angenehm ist der Anstieg zur Biwakschachtel auf der Şaua Ţigăneşti, idealer Platz für eine genussreiche Rast mit umfassender Aussicht ins Burzenland, hinunter nach Törzburg/Bran und Măgura, zum Schuler, zum Hohenstein und in die Felsfluchten des Bucegi. Weiter geht es, heute bei weit über 30°C, jetzt rot markiert zum Clincea-Kamm, einem Blumenparadies. Im Wald ein Hinweis auf eine Quelle – leider trocken. Und die Markierung weist uns nach links, völlig weg von unserer geplanten Route. Aber nach etwa einem Kilometer versperrt uns ein aufgeregter Bär, der wahrscheinlich seine Mahlzeit im Dickicht verteidigen will, den Weg. Also zurück, im Schlepptau eine rumänische Gruppe mit Opa, Papa und Tochter aus Bukarest. Weitere Wanderer schließen sich uns an. Anscheinend sehen wir so aus, als ob wir den Weg wüssten? Auf Holzrutschen geht es steil hinunter zum nächsten Holzabfuhrweg, und bald sind wir wieder auf unserer GPS-Route auf dem jetzt flachen Ausläufer des Clincea-Kammes, die wohl auf Karten, aber leider nicht in der Landschaft als Wan-derweg markiert ist. So flanieren wir zunächst auf Schotterwegen, dann auf der asphaltierten Talstraße in den Ort hinein, finden in der Casa din Bran ein schönes Quartier mit „best food in town“ und einem wunderbaren Blick aus dem Fenster hinüber zur Törzburg.
Noch bäriger, noch heißer
Am ehemaligen Museum bei der alten Zollstation, direkt unterhalb der Törzburg, beginnt der teils rot, teils mit blauem Dreieck markierte Weg hinauf nach Măgura. Im Wald ist die Hitze erträglich, dennoch steigen wir still und leise bergan. Auch ohne Unterhaltung eine schweißtreibende Angelegenheit. Bald endet der Wald, wir gehen am Rand einer aufgegebenen Wiese oder Weide, viele Blumen, viele Schmetterlinge. Und plötzlich schaut uns einer aus etwa 30 Metern Entfernung an, ein richtig lebendiger, aber sehr großer Teddybär mit Plüschohren, erstaunt, als wollte er sagen: „Was wollt ihr hier bei dieser Hitze? Ich gehe lieber in den kühleren Wald.“ Und verschwindet in diesem. Wir aber schwitzen weiter hoch zur Măgura Mare, reden über Bären, pfeifen und hoffen, dass nicht noch ein, vielleicht böser, Bär unseren Weg kreuzt.
Der in den Karten als mit dem blauen Dreieck markiert bezeichnete Abstieg nach Măgura ist entweder nicht ideal oder überhaupt nicht markiert, so dass wir auf alten Hirten- und Bauernpfaden, die schon weitgehend zugewachsen sind, steil zur Streusiedlung hinunter wandern und die Einkehr in der Villa Hermani umso mehr genießen.
Auf der Dorfstraße gehen wir zunächst Richtung Peştera. Den schönen Fußpfad hinunter in die Zerneschter Schlucht (Cheile/Prăpăştile Zărneştilor) finden wir mit Hilfe eines freundlichen Anwohners. Paradiesisch kühl ist es in der Schlucht, Kletterer hängen in der Wand und eine Vielzahl von Informationstafeln klärt über alle Aspekte des Nationalparks Königstein auf. An der Weggabelung am Ende des spektakulärsten Teils der Schlucht entscheiden wir uns für den mittleren, den blau markierten Weg hinauf zur Curmătura-Hütte. Wir werden belohnt mit malerischen alten Bäumen, einem naturnahen, abwechslungsreichen Pfad und mit einer gastfreundlichen Hütte in angenehm kühler Höhenlage.
Ist das noch Wandern?
Direkt am Waschplatz der Hütte beginnt der zunächst dreifach markierte Weg zur Şaua Crăpăturii (gelb, roter Punkt, blauer Punkt) als netter Zickzackweg durch den Fichtenwald. Ab der aussichtsreichen Şaua folgen wir dem roten Punkt hinauf zum Turnu- Gipfel. Aus unserem gemütlichen Wanderpfad wird bald ein ausgewachsener, ausgesetzter, mit Drahtseilen gesicherter Klettersteig, nur für absolut schwindelfreie, trittsichere und kräftige Wanderer geeignet, weniger für Normaltouristen oder „Trekker“ mit schwerem Rucksack. An einer Stelle gibt es kaum einen Tritt, man muss sich am Drahtseil hochziehen! Die Belohnung auf dem Gipfel besteht in einer umfassenden Rundsicht ins Burzenbachtal, ins Burzenland und auf alle Gebirgsgruppen im Kronstädter Gebiet. Der Weiterweg durch die Kalkfelsen und Latschenfelder des Königstein-Kamms ist relativ einfach. Umso gefährlicher ist der Abstieg zur Diana-Biwakschachtel auf dem blau markierten Weg durch die Schutthalden der Brana Caprelor. Hier müsste dringend eine alternative Wegführung abseits der lebensgefährlichen Steinschlagzone gesucht werden!
Endlich wieder auf festem Boden: Rast. Was bleibt dieses Mal liegen? Eine teure Sonnenbrille! Warum? Wassermangel? Heute hat es zwischen 35°C und 38°C! Nachwanderern wird dringend empfohlen, mehr als die normalen zwei Liter Getränk mitzunehmen, denn im verkarsteten Kalkfels des König-stein gibt es keine Quelle! Nach einem kleinen Intermezzo mit gefährlichen Herdenhunden erreichen wir schließlich die sehr gut renovierte und gastfreundliche Cabana Plaiul Foii, von der man den schönsten Blick auf das Königstein-Massiv hat, besonders wenn es in der Abendsonne glüht.
Immer noch Bären, Sahara-Hitze, Einsamkeit
Mit Taxis ersparen wir uns einige Kilometer Forstweg im Valea Bărsa Groşetului. Wir wollten eigentlich nur bis zum Cantonul Rudărita fahren, aber die Forstautobahn ist gut befahrbar, zum Wandern ziemlich langweilig und unsere Taxifahrer willig. Wir gehen vom Ausstiegspunkt nur wenige Meter nach links hoch zum Kamm und treffen erstens auf ein Schild, das uns verbietet, hier zu wandern, da große Bärengefahr herrsche, zweitens auf einen sehr gut gelb markierten Wanderweg, den wir auf keiner Karte und in keiner Beschreibung finden. Immer abwechslungsreich auf dem Bergkamm wandern wir Richtung Norden und können sogar an einer sauberen, gefassten Quelle unsere Wasservorräte auffüllen. Leider finden wir keinen Abstieg nach Westen ins Sebesch-Tal, so dass wir unsere Tagesetappe ungewollt verlängern. Den ganzen Tag einsames Wandern in Saharahitze, ohne eine einzige Begegnung mit Menschen – und auch nicht mit Bären.
Im Sebesch-Tal dann eine Oase: Die Pension Piscul Alb der Eheleute Miloiu. Herzlicher Empfang mit selbstproduziertem ţuica, Likören, Wein, Obst, Gemüse, ein großartiges mehrgängiges Essen, zum Teil vom Grill im Garten, dazu große, komfortable Zimmer und viele ökologisch sinnvolle Details. Hier ließe sich länger Urlaub machen!
Wir setzen unseren Weg fort, finden einsame Wege hinüber zum Kloster Berivoi, müssen leider wegen einer nirgendwo verzeichneten militärischen Anlage einen großen Umweg machen, und das bei bald 40°C im Schatten. Aber in Gura de Rai bei Dannsdorf/Dejani finden wir in der Pension Roua Muntelui von Herrn Radulescu wieder eine gute Unterkunft, die uns mit kühlem Bier und gebratenen Forellen aus dem Răul Dejanilor unter einem großen, schattenspendenden Dach versorgt. Wir sind der EU-Regionalförderung dankbar, die mit solchen Quartieren die touristische Entwicklung abseits gelegener Orte möglich macht. Mangels Alternative gehen wir tags darauf auf der Betonstraße zum Kloster Dejani. Die Suche nach dem alten Verbindungsweg zum Kloster Breaza ist nicht einfach, aber erfolgreich. Unterwegs muss uns an einer Stelle ein Beerensammler – übrigens der einzige Mensch, den wir seit zwei Tagen außerhalb von Siedlungen treffen – auf den rechten Weg bringen.
Doch es ist bald vorbei mit Traumpfadwandern. Leider wurden im Raum Lisa und Sâmbăta de Sus alte Waldwege und markierte Wanderwege mit EU-Euro-Millionen in Forstautobahnen mit Leitplanken verwandelt, viele Kilometer ätzender Schotterhatsch vergällt jede Lust am Wandern. So sind wir froh, dass wir in der Pension Nicodora auch in Sâmbăta de Sus unweit des Brâncoveanu-Klosters eine gute Unterkunft finden. Und natürlich gehört eine Klosterbesichtigung zum Pflichtprogramm.
Abschluss in und um Hermannstadt
Mangels öffentlicher Verkehrsmittel transportieren uns die Wirtsleute mit ihren Privatautos zum Bahnhof Voila. Auch in Sâmbăta de Sus verlärmt und vergiftet der überhandnehmende Autoverkehr die ganze Gegend – wie in fast allen touristischen Zielen Rumäniens. Mit der Bahn erreichen wir Hermannstadt/Sibiu – und das Thermometer mit 40°C im Schatten einen neuen Höchstwert. Wir genießen das Sachsentreffen, abends das Festkonzert der Musikerfamilie Konnerth aus Ulm in der Ev. Stadtpfarrkirche und später heiße Rock’n Roll-Musik auf dem Großen Ring. Mit einer kurzen, zum Nachdenken anregenden Wanderung um Heltau/Cisnădie und Michelsberg/Cisnădioara – bei inzwischen 41°C! - beschließen wir am nächsten Tag unsere Abenteuerwanderung 2017.
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