„Die Shopping Mall nahe dem Kurfürstendamm bietet neben originellen Boutiquen auch Platz für temporäre Pop-up-Stores und Kunstausstellungen.“ Mit diesen Worten wird das „Bikini Berlin“ auf der Seite des Reiseportals „Visit Berlin“ beworben.
Als im November 2019 in Hermannstadt die „Promenada Mall“ eröffnete, hatten weder das Gebäude selbst noch die allermeisten Geschäfte sämtliche Genehmigungen zum Betrieb. Trotzdem waren zahlreiche Lokalpolitiker gekommen, um eine der größten Shopping-Malls des Landes zu eröffnen. Während die Bürgermeisterin erklärte, dass es sich bei dem Einkaufszentrum um eine Notwendigkeit für die Hermannstädter handle, machte der Direktor des Hauses deutlich, dass insbesondere auch Touristen zur Kundschaft gehören sollen.
Das „Kaufhaus des Westens“ (KaDeWe) am Wittenbergplatz in Berlin und die Königsallee in Düsseldorf stehen in Deutschland als Synonym für den Shoppingtourismus. Kunden aus Nicht-EU-Ländern setzten in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr rund 2,5 Milliarden Euro um. Und nur rund die Hälfte der jährlich etwa zehn Millionen Kunden des Berliner Luxus-Kaufhauses wohnt in der Metropole an der Spree.
Dass die Hermannstädter Shopping-Mall eine Notwendigkeit für die Einwohner sei, ist natürlich eine Lüge. Die Stadt durchzieht ein dichtes Netz von Bekleidungsgeschäften und in der Oberstadt befinden sich zahlreiche Restaurants und Cafés, aber auch die Unterstadt wird zunehmend attraktiver für Einheimische und Touristen. Darüber hinaus haben in den vergangenen Jahren in allen Stadtvierteln zahlreiche Lebensmittel-Discounter eröffnet und erweitern das Angebot der kleinen Eckläden. In der Promenada-Mall deckt lediglich ein Supermarkt den täglichen Bedarf der Menschen.
Eine Shopping-Mall ist in den gewachsenen europäischen Innenstädten auch gar nicht notwendig. Der Architekt Victor Gruen (geboren als Victor David Grünbaum) entwickelte sie vor rund 70 Jahren, um in den rasant wachsenden amerikanischen Vorstädten ein Stadtzentrum nach europäischem Vorbild zu schaffen. Der Österreicher sah dabei den enormen Zuwachs des Autoverkehrs voraus, dem er eine Mischung aus Kommerz und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen entgegensetzen wollte. In den Einkaufszentren sollte der Mensch von seinem Automobil getrennt werden.
„Gruens grundlegende visionäre Kraft lag in einem Denken, das von einer Mischung aus Gigantomanie und Kreativität geleitet wurde, die stets die Zukunft vorwegzunehmen versuchte“, erklärt Anette Baldauf, Autorin des Buches „Shopping Town: Memoiren eines Stadtplaners 1903-1980“.
Die erste moderne Shopping-Mall ließ Gruen von 1954 bis 1956 im Bundesstaat Minnesota errichten. Das klimatisierte „Southdale Center“ in Edina, einem Vorort der Twin Cities Minneapolis–Saint Paul, sollte eine „Mall“ in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes sein, also eine Promenade wie die Wiener Ringstraße. Es hatte eine Postfiliale, eine Aula sowie Sportanlagen im Außenbereich und war vom „Glauben an die integrative Macht des Marktplatzes als Ort der sozialen Integration“ geleitet.
In den folgenden Dekaden wurden in ganz Amerika tausende Shopping-Malls errichtet. Doch ihre Investoren erkannten schnell, dass Gruens Konzept auch ohne die gesellschaftliche Komponente funktionierte. „Kommerz als Motor brachte keine vielschichtige Urbanität hervor, so wie er das vorgesehen hatte, sondern lediglich mehr Kommerz“, konstatiert Anette Baldauf. „Gruen hat die Shopping-Mall erfunden, um Amerika mehr wie Wien zu gestalten. Stattdessen wurde Wien mehr wie Amerika“, schrieb Malcolm Gladwell in einem Artikel für „The New Yorker“ im Jahr 2004.
Vor dem Zweiten Weltkrieg aus Wien aufgrund seines jüdischen Glaubens geflohen, kehrte Victor Gruen 1968 zurück in die österreichische Hauptstadt. Dort musste er mit Ansehen, wie am Wiener Stadtrand eine der größten Shopping-Malls Europas errichtet wurde. Gruen wurde sogar für die Planung der „Shopping City Süd“ in Vösendorf angefragt, lehnte allerdings ab. Stattdessen führte er mit seinem „Zentrum für Umweltplanung“ Experten verschiedener Fachbereiche zusammen, um Strategien für eine umweltverträgliche Entwicklung der Städte zu erarbeiten. Großen Einfluss hatte er dabei auf die Umsetzung der Fußgängerzone in der Kärntner Straße, die heute neben dem Graben die bekannteste Fußgängerpassage der Stadt ist – insbesondere für Touristen.
Wie das „Bikini Berlin“ wird auch die „Promenada Mall“ von den lokalen Tourismusagenturen beworben. Doch die einzige tatsächliche Neuheit ist das Großkino mit mehreren Sälen. Denn nach der Schließung des „Cinema Arta“ wurden Kinofilme in Hermannstadt lediglich in dem umfunktionierten Gewerkschaftskulturhaus gezeigt. Hingegen wartet das Berliner Einkaufszen-trum mit Geschäften auf, die man eher in den Szenevierteln der Stadt vermuten würde. „Shop different“ lautet einer der Slogans des „Bikini Berlin“, in dem es wechselnde Kunstausstellungen, Live-Konzerte und einen überdachten Streetfood-Markt gibt. Etwa die Hälfte der Besucher sind Touristen.
In Amerika sind die goldenen Jahre der Vorstadt-Shopping-Malls bereits vorüber. In den vergangenen Jahren wurden mehr als ein Viertel der zweitausend größten geschlossen. Die Hermannstädter „Promenada Mall“ wurde allerdings direkt in der Stadt errichtet und macht mit ihrem Restaurantbereich, aber insbesondere auch durch die zahlreichen Cafés dem Konkurrenz, was sie innen nachbaut: der Stadt, ihren Läden und Plätzen.
Shoppingtourismus kann ein Faktor der regionalen Tourismusentwicklung sein. Denn in der Konsumgesellschaft ist Einkaufen eine Freizeitbeschäftigung geworden. Im Rahmen der „Ästhetisierung des Alltagslebens“ wird dem Erlebnischarakter beim „Shopping“ eine immer größere Bedeutung zugemessen. Vielleicht ist die „Promenada Mall“ mit ihren Ausrüstungsgegenständen für die Individualität unter diesem Gesichtspunkt tatsächlich eine Ergänzung. Immerhin konnte es eine massive Abwanderung aus der Hermannstädter Oberstadt gar nicht geben, wird diese doch von mittelmäßigen Restaurants dominiert. Bei „Narcoffee Roasters“ im „Food-Court“ der Shopping-Mall gibt es nun zumindest einen guten Espresso.