Langsam tuckert das Motorboot durch den flachen Kanal. Die brütende Hitze lastet wie eine schwere Decke auf unseren Brustkörben. Das Bordthermometer zeigt 47 Grad und kein Lüftlein regt sich. Die Ibisse und Kormorane hocken mit aufgesperrten Schnäbeln in ihren Nestern. Hinter der Schraube wirbelt dunkler Schlamm empor und Ghiţă beschließt, lieber umzukehren.
Die Bäume am Ufer stehen auf bizarren Wurzelfüßen, dazwischen rissige, trockene Erde und verdorrte Seerosenteppiche. „Das liegt normalerweise alles unter Wasser“, kommentiert der Bootsführer. Die Dürre formt die Landschaft um, genauso wie Hochwasser, Eis, Wind, Mensch und Tier. Das Delta ist wie ein Klumpen Lehm in der Hand der Natur. Schlamm, den der Fluss in den letzten zigtausend Jahren aus dem ganzen Kontinent gesammelt und hier abgeladen hat. Kurz bevor sich die Donau im Schwarzen Meer verliert, scheint sie uns noch einmal ihre wahre Seele offenbaren zu wollen.
Seit dem Paläolithikum war Tulcea schon besiedelt, doch das Delta gab es vor 10.000 Jahren noch nicht. Erst im Laufe der Zeit schob sich der fruchtbare Schlamm aus dem Kontinent langsam in die Lagune von Tulcea vor, eroberte die Insel Caraorman, dann den Golf von Halmyris, die Lagune von Razim, drang weiter bis nach Histria vor und gebar auf seinem Weg Seen, Kanäle und Inseln. Das junge Europa wächst ins Meer hinein, wo sich sein Grün im endlosen Blau des Wassers verliert.
Wir erreichen tiefere Gewässer und tuckern zwei voll besetzten Ausflugsbooten hinterher. Fröhliches Stimmengewirr, unaufhörliches Klicken und der Geruch von Sonnenöl dringt zu uns vor. Weiße Vogelschwärme erheben sich malerisch in die Lüfte, Blesshühner tauchen vor dem Bug blitzschnell unter und wenn man gut hinsieht, kann man so manches Augenpaar zwischen den Seerosenblättern erkennen. Am Lacul Nebunii biegen wir ab zu einem Fotostopp, doch hinein dürfen wir nicht, denn der See ist streng geschützt. Der schneeweiße Fleck in der Ferne muss wohl eine Pelikankolonie sein.
Gute Planung und der richtige Ausgangspunkt
Einen Ausflug ins Delta sollte man gut vorbereiten, denn es gibt mehrere Arten, es zu entdecken. Ein Motorboot schafft zwar größere Strecken, sodass man sich eine Vorstellung von der Weite dieser Seen- und Kanalwelt machen kann, doch zum Vögel beobachten eignet es sich nicht. Hierfür muss man sich langsam und geduldig heranpirschen und immer wieder ausharren, wobei man sich schon vorher zu den Nistplätzen schlau machen sollte.
Einen guten Überblick liefern die riesigen interaktiven Wandkarten des Donaudelta-Museums in Tulcea, die über touristische Routen, Nistplätze, Pelikankolonien, geschützte Zonen und mögliche Anlaufstellen für Tagesausflüge Auskunft geben. Für Naturfreunde attraktiv ist vor allem der Letea Wald mit seltenen Pflanzen und Tieren, den berühmten, aber umstrittenen Wildpferden und den hundertjährigen Bäumen.
Im Delta kann man mit viel Glück sogar Luchsen, Wildkatzen, Wölfen, Fischottern oder Bibern begegnen. Touristische Ziele, von Tulcea aus mit Ausflugsbooten unterschiedlicher Geschwindigkeiten zu erreichen, sind auch die Ortschaften Sfântu Gheorge oder Sulina, letztere mit dem feinsten Sandstrand der rumänischen Schwarzmeerküste. Um die Fauna des Deltas zu entdecken, braucht man Zeit und eine gute Ausgangsposition.
Je nach Boot nur 15 bis 30 Minuten von Tulcea entfernt liegt Mila 35 mit einer schmucken kleinen Hotelanlage im landestypischen Stil, mit Schilfdach, blumenbepflanzten alten Holzbooten, einem riesigen Garten mit Freiluftgrill und Pool, Sportanlage, Kajaks und Fischteichen. Hier kann man sich von der Hitze erholen und im Restaurant an allerlei lokaltypischen Fischköstlichkeiten laben. Von Mila 35 aus können auch Ausflüge ins Delta mit verschiedenen Booten organisiert werden.
Das Aquarium von Tulcea
Das Aquarium, wie das „Ökotouristische Museum zum Donaudelta“ auch kurz genannt wird, ist nicht nur zur Vorbereitung eines Delta-Ausflugs geeignet, sondern bietet in drei Etagen umfassende Informationen zur gesamten Dobrudscha aus historischem, naturgeschichtlichem, geologischem und ökologischem Blickwinkel. Im oberen Geschoss demonstrieren Schautafeln die geologische Entwicklung des Deltas in mehreren Etappen.
Interaktive Wandkarten lassen die Besiedlungsstätten in der Region in verschiedenen Epochen aufblinken. Die Ansiedlung von Tulcea gab es bereits in der Steinzeit, doch auch Daker, Römer und mittelalterliche Völker ließen sich in der Hafenstadt nieder. Noch heute ist Tulcea ein Gemisch aus verschiedensten Ethnien: russische Lipowaner, Ukrainer, Türken und Tataren hinterließen ihre Spuren in Sprache und Kultur.
Frühe Siedler in Tulcea und im Delta lebten vor allem vom Fischfang, wobei der Fisch durch Trocknen und Einsalzen haltbar gemacht wurde. Über die Techniken informieren Nachbildungen entsprechender Szenen vom Fischfang bis zur Konservierung mit ausführlichen Begleittexten im Obergeschoss des Museums, wo man auch ein Originalrezept der berühmten Donaudelta-Fischsuppe (Borş de peşte) findet, bei welcher der Fisch nur in der Suppe gekocht, dann aber separat mit Knoblauchsoße verzehrt wird.
Die verbleibende Flüssigkeit wird anschließend getrunken. Weil für dieses Rezept großen Wert auf die Frische des Fisches gelegt wurde, entstand das Gerücht, Fischsuppe würde am besten gleich mit Donauwasser zubereitet. Originell sind die Schöpfer, mit denen man den Borsch servierte: ein ausgehöhlter Kürbis mit langem Hals oder ein Löffel aus einer riesigen Miesmuschel mit hölzernem Stiel.
Das Untergeschoss des Museums macht nun auch seinem Spitznamen die Ehre: hier begegnet man den Unterwasserbewohnern des Deltas auf Augenhöhe. In einemBecken, in dem ein Mini-Hai seine Runden dreht, kann man durch eine Öffnung im Sockel in eine Glaskuppel in der Mitte kriechen und sich sozusagen aus dem Inneren des Aquariums mit dem Raubfisch zusammen fotografieren lassen.
Unter bizarren Steinen verstecken sich zahnlose, gelangweilt gähnende gesprenkelte Muränen. Leuchtend bunte Kofferfische schweben schwerelos vorbei. Beeindruckend sind auch die Becken der Störe, die an Umfang und Länge dem Menschen nur um wenig nachstehen. Die Neugier ist groß, von beiden Seiten der Glaswand. Auge in Auge mit einem Riesenfisch – das kann man –nicht einmal im Delta erleben...
Die restlichen Ausstellungen informieren in Schautafeln, Landschaftsnachbildungen mit ausgestopften Tieren oder Filmen über Fauna und Flora der Dobrudscha sowie des Măcin-Nationalparks. Letzterer beherbergt die ältesten geologischen Formationen des Kontinents (530-335 Millionen Jahre) und zeichnet sich durch eine Landschaftsform aus, die in ganz Europa nur im Südenosten Rumäniens vorkommt. Die sogenannte pontosarmatische Steppe ähnelt eher asiatischen Steppenformen.
Sehenswert in Tulcea
Neben dem Aquarium empfiehlt sich unbedingt ein Besuch des Geschichts- und Archäologiemuseums mit Exponaten aus der Antike über das frühe Christentum bis zum Mittelalter. Das Kunstmuseum zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Sammlung an Bildern des Malers Victor Brauner aus. Im Ethnografiemuseum kann man einen Blick auf traditionelle Wohnräume der verschiedenen Ethnien erhaschen. Vom Hügel des Unabhängigkeitsmonuments auf den Ruinen der Festung Aegyssus bietet sich ein weiter Blick auf die Stadt, die von Kopfsteinpflaster, kleinen Gässchen, prachtvollen Brunnen, hervorragenden Fischlokalen, Kränen, Schiffen und grauen altkommunistischen Blocks geprägt ist. Doch wenn die Sonne im Hafen glutrot untergeht, schweift der Blick wieder träumerisch in Richtung Delta...