Ein literarisches Stück europäischer Migrationsgeschichte nicht allzu weit zurückliegender Jahrzehnte, vermengt mit einer sensiblen Darstellung jüdisch-bürgerlicher Sichtweise auf die altruistische Rolle des Einzelnen im Zahnradwerk der gesamten Menschheit, wurde am Dienstag, dem 15. Mai, im Büchercafé „Erasmus“ in Hermannstadt/Sibiu geboten. Peter Rosenthal, Facharzt für Innere Medizin und zugleich geschätzter Buchautor, ist gebürtiger Rumäne jüdischer Abstammung und lebt seit 1974 in Köln-Ehrenfeld. Der Allgemeinmediziner einer Hausarztpraxis auf der Venloer Straße nutzt seine freiberufliche schriftstellerische Tätigkeit, um die eigene Identität und Vergangenheit zu reflektieren. Rein zufällig fanden sich vier Ehrenfelder Landsleute im „Erasmus“ ein, um Peter Rosenthal zuzuhören, der Auszüge aus seinem 2001 erschienenen Briefroman „Entlang der Venloer Straße“ vorlas.
In den fiktiven Briefen Peter Rosenthals an einen jüdischen, als Rabbi in Israel lebenden Freund, wird der in Jugendjahren erlebte Tapetenwechsel von kommunistischer Zeitgeschichte in die überbordende Reisefreiheit und Lebenslust des wohlhabenden Westens literarisch aufgearbeitet. Der Autor wurde 1960 in Arad in eine jüdische Familie hineingeboren, die ihren Sohn am künftigen Medizinstudium nicht rütteln ließen. Peter Rosenthal gibt zu, nicht unzufrieden in dieser jüdischen Tradition zu stehen. Den Arztberuf von Vater und Großvater ungefragt geerbt zu haben, betrachtet er weder als Zwang noch als Geschenk. Dass er in Köln lebt und arbeitet? Auch das bezeichnet er als unwichtig, schließlich täte er überall auf der Welt dasselbe.
Die im Band „Entlang der Venloer Straße“ veröffentlichten Briefe hat Peter Rosenthal im Zeitraum Januar 1997 - März 2000 verfasst. In den Briefen fährt der Autor mit dem Fahrrad die Venloer Straße im Kölner Stadtzentrum entlang, die die Adresse sowohl des Kölner Doms, der Moschee als auch der Synagoge ist. Als deutscher Staatsbürger und zugleich Jude mit Migrationshintergrund fällt es Peter Rosenthal nicht schwer, sich in dem großstädtischen Chaos des Ruhrgebiets zu orientieren: „Vom eigenen Leben auf weite Reisen geschickt zu werden, setzt immense Energien und Durchhaltevermögen frei“, so der Autor, dessen eigene Familie aufgrund ihres Banater Standortes von den Wirren des Holocaust in Nord- und Nordostrumänien verschont geblieben war.
Peter Rosenthal lässt Kindheit und Jugend im kommunistischen Rumänien Revue passieren, tut dies auch mit spöttischer Genugtuung: „Mit der Zeitung ,Scînteia´ gelangte der Conduc˛tor schnell in unsere Toilette.“ Oder: „Auf der Toilette war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass der Conduc˛tor dahin gelangte, wohin er auch gehörte.“ Intellektuell betrachtend relativiert der Autor die jugendlich wütende Optik ein paar Briefe später, ersetzt sie aber mit nüchterner Strenge, die bei einer kritischen Perspektive auf die Hals über Kopf angeordnete Hinrichtung des Nicolae Ceaușescu Voraussetzung ist. Dem Diktator wurde es schließlich nicht gestattet, zu seiner eigenen Verteidigung das Wort zu ergreifen, hätte er doch versehentlich zahlreiche, noch heute verdeckt agierende Mittäter namentlich erwähnen können.
„Es gibt keine Judenliteratur, keine Frauenliteratur und auch keine Emigrantenliteratur, es gibt nur gute und schlechte Literatur. Und ich versuche, gute Literatur zu schreiben. Ob es mir gelingt, befinden die Kritiker“, behauptet Peter Rosenthal, dessen erstes Buch „Entlang der Venloer Straße“ 2001 auf Anhieb für ordentliche Furore sorgte, wurde es doch u. a. in der „Neuen Zürcher Zeitung“ gewürdigt. Ein Dank gebührt auch Annette Frings, Deutschlehrerin am Brukenthal-Gymnasium, die den Arzt und Autor Peter Rosenthal zu einer Besuchs- und Lesereise nach Hermannstadt eingeladen hat. Die rumänische Übersetzung des Briefromans „Entlang der Venloer Straße“ ist seit 2017 unter dem Titel „De-a lungul străzii Venlo“ (Übersetzerin: Hava Oren) im Hasefer-Verlag erhältlich.