Seit über 12 Jahren arbeitet Swantje Volkmann für die Stiftung Donauschwäbisches Zentralmuseum in Ulm. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind die kulturelle Breitenarbeit zur Bewahrung, Verbreitung und Erforschung der Geschichte der deutschen Siedlungsgebiete in Südosteuropa und die grenzüberschreitenden Kontakte zu ansässigen Ethnien in Südosteuropa. Ihre Arbeit hat das Ziel, das Zusammenwachsen Europas im kulturellen Bereich zu fördern. Im Interview erzählt Swantje Volkmann von ihrer Beziehung zum Banat, warum Jugendarbeit für die Minderheit wichtig ist und wie sie selber die Lage der deutschen Minderheiten aus Südosteuropa einschätzt. Das Gespräch führte Robert Tari.
Können Sie mir etwas über Ihren Werdegang sagen? Was hat Sie dazu bewogen, als Kulturreferentin mit Schwerpunkt Südosteuropa zu arbeiten?
Ich komme aus der DDR. Ich habe in der DDR mein Abitur gemacht, habe dann 1989 im Frühjahr einen Ausreiseantrag gestellt, der auch genehmigt wurde. Ich bin also vor dem Mauerfall noch ausgereist und es war eigentlich mein erklärtes Ziel, mich eher mal nach Westen zu orientieren, weil ich damals glaubte, den Osten bereits zu kennen. Das stellte sich im Nachhin-ein als ein Trugschluss dar, wie eigentlich so vieles. Ich habe in Heidelberg Geschichte und Kunstgeschichte studiert, war aber wirklich auf Westeuropa ausgerichtet. Ich habe zwar auch Osteuropäische Geschichte als Fach belegt, habe es aber nicht explizit studiert.
Nach meinem Studienabschluss habe ich mich dann natürlich gefragt, was ich nun damit machen soll. Es war eines meiner erklärten Ziele, auf keinen Fall in einem Museum zu arbeiten. Ich würde überall hingehen, nur nicht ins Museum. Weil ich es total langweilig fand. Aber es war sehr schwer, nach dem Magister eine Anstellung zu finden. Ich sag es ganz ehrlich, ich habe nichts gefunden. Für Geisteswissenschaftler ist das nichts Ungewöhnliches. Selbst für ein Volontariat wird schon die Promotion verlangt. Ich hatte einen sehr netten Professor, der schon meine Magisterarbeit betreut und der mir dann vorgeschlagen hat, ich solle mit der Promotion anfangen. Ich hatte gedacht: Also, ehe ich jetzt drei Jahre zuhause rumhänge, kann ich das dann auch noch machen.
Ich habe mich dann also dazu entschlossen und fand auch ein sehr spannendes Thema: Architektur im Banat.
Dazu muss man aber wissen, dass ich Verwandte habe, die aus dem Banat stammen. Ich selber komme nicht von dort, die Verwandtschaft wurde angeheiratet. Ich war darum oft als Kind im Banat, entwickelte aber nicht eine überschwängliche Ich-liebe-das-Banat-Gefühlsregung. Ich hatte meine Verwandten sehr gerne, sie hatten Beziehungen dahin und mehr war es nicht.
Und ich fing dann mit meiner Doktorarbeit an. Dafür arbeitete ich in Temeswar beim Kanzleidirektor Martin Roos, dem heutigen Bischof. Ich stöberte in den Archiven, versuchte herauszufinden, wie das eigentlich mit den Bauten im 18. Jahrhundert war, wer entschied wann, was gebaut wurde. Das hat mich am meisten interessiert. Sie wissen es ja selber am besten, wenn sie durchs Banat fahren, fällt am meisten die unglaubliche Gleichförmigkeit auf, die eine große Schönheit in sich birgt. Das hat mich sehr interessiert. Ich habe auch einiges erfahren und danach meine Nachforschungen in den Archiven in Wien fortgesetzt. Als ich dann promovierte, wurden diese Kulturreferenten-Stellen ausgeschrieben. Und ich dachte mir, dass das eigentlich etwas für mich sein könnte.
Ich bin jetzt 12 Jahre dabei und muss ehrlich sagen, ich fühle mich immer noch sehr, sehr wohl. Mir macht es noch sehr viel Spaß und im Moment gehen auch die Ideen noch nicht aus. Ich konnte in den letzten Jahren ein unglaublich großes Netzwerk bilden. Es sind mir so viele Leute in diesen Ländern begegnet, die etwas zusammen machen wollen und die selber tolle Ideen haben. Es macht wahnsinnigen Spaß und ich glaube, dass wir auch was bewegen können.
Welche Hürden müssen die deutschen Minderheiten aus Südosteuropa meistern?
Ich möchte erst auf das Positive zu sprechen kommen. Was mir am meisten aufgefallen ist und mich schon vor 20 Jahren fasziniert hat, ist das historische Bewusstsein dieser Leute. In Deutschland haben wir das nicht. Und als Historikerin fasziniert mich das. Dass man neben seiner eigenen Biografie auch noch die Geschichte von sieben Generationen nicht nur weiterträgt, sondern auch mit ihr lebt.
Das Problem besteht natürlich darin, dass die Minderheit schrumpft. Es werden immer weniger. Doch die Deutschen haben es geschafft, besonders hier in Rumänien, aber in Ungarn auch, andere ethnische Gruppen für ihre Kultur und Geschichte zu interessieren. Ich kenne inzwi-schen so viele Rumänen und Ungarn, die wirklich diese deutsche Kultur, diese Minderheitenkultur mittragen und sagen: Ja, das gehört auch zu uns und wir müssen mithalten. Besser kann es eigentlich nicht laufen, finde ich.
Denn die deutsche Minderheit wird immer älter, darum muss sie auch junge Andersabstämmige heranziehen. Es gibt genügend deutsche Schulen im Banat und auch in den Nachbarländern, um einen natürlichen Übergang zu ermöglichen. Ich finde, dass schon so viel in den letzten fünf bis zehn Jahren passiert ist. Ich bin, um ganz ehrlich zu sein, sehr optimistisch.
Sie haben die deutschen Schulen erwähnt. Bildung scheint für Deutschland das Schlüsselwort zu sein, was den Erhalt der deutschen Minderheiten außerhalb des deutschsprachigen Raumes betrifft. Das Bundesministerium des Innern setzt zum Beispiel besonders auf Bildungsprojekte. Ist das die Richtung, die man gehen sollte?
Ja, unbedingt. Obwohl, ich glaube, dass man mehrgleisig fahren muss. Das Bundesinnenministerium hat seine Aufgaben, die vor allem die Minderheiten fördern. Aber wir selber sind ja der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien unterstellt. Ich finde, dass wir auf der Kulturschiene auch ganz viel erreichen. Nichtsdestotrotz unterstützen wir natürlich das BMI in diesen Bestrebungen oder wir versuchen es zumindest, indem wir Angebote für Jugendliche machen. Ich bin zum Beispiel eine der Wenigen, die Jugendcamps und Jugendveranstaltungen grundsätzlich in deutscher Sprache macht. Ich habe mir darum nicht nur Freunde gemacht. In Deutschland wird man manchmal schräg angeschaut, wenn man sagt, man möchte es gerne in deutscher Sprache machen. Ich höre dann prompt die Gegenfrage: Ja, warum denn nicht Englisch, weil Englisch die Weltsprache ist, oder dann von mir aus Französisch.
Ich begründe das dann immer mit dem Mangel an Angeboten für die Minderheitenschulen bzw. deutschen Schulen in unseren Zielländern wie Ungarn oder Rumänien.
Diese Kinder haben keine Möglichkeit, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Sprachkenntnisse, die sie sich ohnehin nur in der Schule aneignen, eben weil die Minderheit geschrumpft ist. So können sie in einem anderen Zusammenhang mal Deutsch üben. Und ich habe immer wieder, wenn Leute aus meinen Jugendveranstaltungen rauskommen, gehört, wie toll sie es fanden, nicht nur, weil sie Gleichaltrige aus anderen Ländern kennenlernen konnten oder weil sich alle so gut verstanden haben, aber auch besonders wegen der deutschen Sprache, die sie üben konnten. Viele bereiten sich auf das Deutsche Sprachdiplom vor und darum bieten unsere Veranstaltungen die Chance, sich vorab darauf vorzubereiten.
Mich fasziniert es, weil das eigentlich gar nicht so die erklärte Absicht war. Das hat sich so ergeben. Englische Kindersprachlager gibt es genug.
Welche Projekte, die Sie in den letzten Jahren durchgeführt haben, gehören zu Ihren Favoriten?
Meine Lieblingsprojekte sind natürlich die Jugendprojekte. Und da gibt es inzwi-schen auch, Gott sei Dank, ganz unterschiedliche Formate. Es gibt zum einen die großen Jugendcamps, wie dieses Jahr wieder in Ulm, zum anderen haben wir unser Angebot auch mit kleineren Formaten erweitert. Diese liegen mir inhaltlich, um ehrlich zu sein, fast noch mehr am Herzen. Im letzten Jahr hatten wir die erste Auflage der Jungen Donaubrücken in Temeswar. Für unsere Verhältnisse war es mit 30 bis 40 Personen ein kleiner Rahmen. Dieses Jahr haben wir die Veranstaltung in Wien gemacht.
Uns ist es gelungen, ein fiktives Donaujugendparlament zu initiieren. Es war sehr spannend, weil die Jugendlichen mit diversen Aufgaben konfrontiert wurden. Ein Teil musste zum Beispiel die Minderheit vertreten, der andere Teil die Mehrheit. Sie haben sich dann gestritten. Die Mehrheit wollte was anderes, als die Minderheit, wie es halt so ist. Und dann haben sich drei Mädchen aus dieser Gruppe rausgelöst und haben gesagt: Also, die Mehrheit passt uns nicht, die Minderheit ist auch so ein bisschen militant, das wollen wir auch nicht. Dann sind sie in eine Ecke gegangen und haben ihre eigene Partei gegründet.
Ich habe bald geweint. Ich habe mir gedacht: Das ist es. Also, ich suche nach einem Weg, der für beide möglich ist. Was diese 16-Jährigen da geleistet haben, das hat mich fasziniert, und ich denke, dass ist ein wichtiger Weg, um ihnen demokratische Grundsätze beizubringen. In zwei Jahren sind sie wahlfähig und darum ist es wichtig, dass sie das System begreifen und fähig sind, den Wahlvorgang kritisch zu betrachten und zu verstehen, weshalb man eine Partei wählt und wieso es für sie wichtig ist.
Was für eine Partei haben die drei Mädchen denn gegründet?
Es war interessanterweise eine Grüne Partei. Die stand aber dafür, dass man Ausgleich gesucht hat. Man wollte für beide das Mögliche schaffen. Sie haben der Mehrheit dann gesagt: Ihr müsst der Minderheit schon ein bisschen Geld geben, sonst geht es bei denen nicht weiter, weil die Mehrheit wollte denen das ganze Geld wegnehmen. Es war eine ganz spannende Diskussion.
Gibt es neben der Jugendarbeit einen weiteren persönlichen Schwerpunkt?
Die Kunst ist noch ein ganz großer Bereich geworden. Wir haben vor drei Jahren eine große Wanderausstellung angefangen: junge Kunst aus den Donauländern. Das Projekt lief sehr gut und aufgrund dieser Erfahrung haben wir uns dazu entschlossen, nicht nur Kunst zu zeigen, sondern vor allem junge Künstler zusammenzuführen. Nach der Wanderausstellung haben mich Künstler aus dem Projekt angesprochen und gefragt: Mensch, wie wäre es denn, wenn wir Projekträume aus dem Donauraum zusammenführen?
Projekträume sind freie Künstlervereinigungen wie etwa der “Blaue Reiter”. Die gibt es schon seit über 200 Jahren. Auch am Schwarzen Meer haben sich früher Künstlerkolonien gebildet, die sehr erfolgreich waren. Und das werden wir im nächsten Jahr in Stuttgart anfangen und dabei sein wird hoffentlich auch Temeswar, Pécs, Osijek und Belgrad oder Novi Sad.
Organisationen der deutschen Minderheit sehen in der Jugendarbeit eine große Herausforderung. Viele wissen nicht, wie sie Jugendliche heranziehen können. Besonders wenn es um andere Angebote außer Volkstanz geht. Ist es schwer, die Jugendlichen für die Projekte zu begeistern?
Ich habe diese Erfahrung nicht gemacht. Unsere Angebote stehen natürlich fest. Wir gehen nicht auf sie zu und überlegen uns dann, was wir gemeinsam machen können. Das machen wir nicht. Ein 16-Jähriger will alles und nichts. Es gibt Angebote, in die sie dann auch reingehen. Sie dürfen sich aussuchen, was sie machen möchten.
Ich habe zum Beispiel sehr gute Erfahrungen mit Theater gemacht. Theaterpädagogik, Theaterworkshops sind immer sehr erfolgreich. Wir haben ganz verschult mit Geschichtsseminaren angefangen: “Wir alle lesen Quellen und das macht uns alle total glücklich.” Aber außer mich und noch eine Referentin, hat es niemanden glücklich gemacht.(lacht)
Dann haben wir uns überlegt, wir müssen das anders aufziehen, und sind dann aufs Theater gekommen. Wir haben einen professionellen Theaterpädagogen immer dabei. Also, nur Quellen zu lesen ist einfach, für jemanden der nicht Geschichte studieren will, völlig langweilig. Tanz zieht auch. Tanz machen sie gerne. Da spreche ich aus Erfahrung.
Wir haben ganz unterschiedliche Angebote. Wir haben auch eine Politik- und Geschichtswerkstatt angeboten. Da dachte ich mir: Hoffentlich meldet sich da überhaupt jemand an. Letztendlich waren in der Gruppe nicht weniger als in der Theatergruppe. Es nahmen 15 Leute teil. Die Interessen lagen also ganz unterschiedlich.
Ich gebe aber den Organisationen Recht. Es ist nicht einfach an sie heranzukommen. Weil die Angebote einfach zu viele sind. Aber wenn man attraktive Angebote hat, kriegt man sie schon.