Am Tisch in der Küche wird das Interview aufgezeichnet. Die Spülmaschine läuft. Die Gäste haben sie mit dem Geschirr von Abendessen und Frühstück schnell voll werden lassen. Durch die Fenster dringen warme Sommersonnenstrahlen.
Bodenständig
Bereits nach dem frühen Aufstehen werden erst die Gartenarbeiten verrichtet, der schnell angerichtete „Faule-Männer-Kaffee“ getrunken und dann die Kirche geöffnet. Mit den drei Mitarbeitern der Pfarrei Maria Radna teilt Pfr. Andreas Reinholz sich die Arbeiten und springt überall ein, wo er gebraucht wird. Der Flur im Erdgeschoss des Klosters auf der Südseite riecht verdächtig stark nach Schnaps... Der Selbstgebrannte (die Zwetschgen aus dem Klostergarten) wurde in Deziliter-Fläschchen mit besonderem Etikett abgefüllt – „50 Jahre 1975-2025, Goldene Messe, Andreas Reinholz“. Natürlich ist die Aufschrift dreisprachig, wie auch die Jubiläumsmesse, denn nebst seiner banatschwäbischen Muttersprache lernte Reinholz in der Schule in Karlsburg/Alba Iulia auch Ungarisch und Rumänisch, zelebriert aber auch in manch anderen Sprachen Messen in Maria Radna, wie die seit seiner Zeit eingeführte Roma-Messe zu Mitternacht zum Fest Mariä Geburt, wenn es den größten Pilgerstrom zur Gnadenmutter von Maria Radna gibt.
Wenn Andreas Reinholz auf seine „Karriere“ zurückblickt, so reicht keine Doppelseite in der ADZ, keine Sendung mit Fortsetzungen im Temeswarer Rundfunk, um all das Erlebte, Geleistete und Geopferte zu schildern. Und doch bleiben nicht wenige Zeichen seines Wirkens: Tausende Kinder und Jugendliche durch Religionsunterricht Gott und der Kirche näher gebracht, ebenso Tausende betreute Eheleute auf dem Weg zur Trauung und danach, Taufen und Begräbnisse. So wie ein Hirte begleitet er die Menschen durch die freudigen und die schweren Momente im Leben, spendet Trost, baut auf, lobt und rügt, wo es der Fall ist, doch alles mit großem menschlichen Verständnis.
Geduldig
Mit Gehorsam hat Andreas Reinholz seinen Dienst in der Diözese Temeswar verrichtet, hat die ihm aufgetragenen Aufgaben nach seinem besten Wissen und Können erfüllt, ja an jeder Wirkungsstätte neue Aufgaben gefunden, vor allem wenn es um das Baudenkmal-artige Erbe der Kirche geht.
Es gibt viele Gründe und Schritte, die Reinholz seiner Berufung zum Priester zuführten. Es gab wohl kaum Zufälle auf seinem Werdegang als Mensch und Priester, stets umgeben vom Schutz der Gottesmutter und der Heiligen Anna, betonte in seiner Festpredigt Pfr. Lóránd Máthe aus Dorobanți in der Basilika Maria Radna am Sonntagabend. Der fünf Jahre jüngere Landsmann Josef Hell aus Trockau predigte auf Deutsch, Pfr. János Kapor auf Ungarisch und beide bezogen sich auf das priesterliche Wirken und auf gemeinsame Erlebnisse.
Pfr. Andreas Reinholz hinterließ Spuren an jedem Ort seines Wirkens: ob in den 28 Jahren in der Pfarrei Temeswar Josefstadt oder den darauffolgenden 22 in Radna. Vieles hat sich in der Welt, in der Diözese, in den Glaubensgemeinschaften und in seinem Leben geändert, doch seinem Primizspruch aus dem zweiten Brief an die Korinther, „Die Liebe Christi drängt uns“, getreu, dient er mit Liebe und Hingabe Gott, den Menschen und in der Kirche.
Familienmensch
Im September wird Andreas Reinholz 75 Jahre alt. Drei seiner vier Geschwister kamen samt ihren Familien zum Jubiläum nach Radna und Rumänien. Viele seiner Sanktannaer Landsleute kamen auch zum Gratulieren, inklusive fünf Marienmädchen und die Sanktannaer Jugendblaskapelle. Eine ganze Gruppe Gläubige aus der Josefstadt waren samt Pfarrer und Kaplan angereist und hatten sogar während der Messe einen lobenden Dank mittels Marianne Wolf auszusprechen. Über 300 Gläubige und rund 20 Priester samt Bischof Josef Csaba Pál (der ihm anerkennend die Jubiläumsmedaille zum 1000-jährigen Bestehen der Diözese schenkte) waren aus dem Banat und Deutschland gekommen, um mitzufeiern.
Am 22. Juni 1975 hatte die feierliche Priesterweihe durch Bischof Márton Áron stattgefunden, am 29. Juni 1975 die Doppelprimiz mit Franz Marksteiner in ihrer Heimatgemeinde Sanktanna. Reinholz‘ Primizbraut war Katharina Hell, seine damals siebenjährige Nichte, die nun zur Jubiläumsfeier das damals vorgetragene Gedicht vorlas und auf die Wachskrone hinwies, die heute in der Vitrine in der Basilika zu bewundern ist.
Das Leben eines Priesters mit seiner Gemeinde sei ähnlich wie in einer Familie, in der jeder eine Rolle einnimmt, so Reinholz. Was die Hochzeitsjubiläen für Eheleute sind, so sind es die Priesterjubiläen für diese. Seine eigene Familie steht fest zu ihm und unterstützt so gut sie kann. Zum Jubiläum wurde auch ein auf ihn gedichtetes Lied von den Nichten und Neffen, deren Kindern und Enkeln vorgetragen. In der Familie waren die religiöse Erziehung, der Beruf des Vaters als Küster, das Pilgern nach Maria Radna, nebst den Einflüssen der jungen Kapläne in Sanktanna und dem mit dem Motorrad verunglückten Jungpriester Gründe, die den jungen Andreas zu seiner Berufung geführt haben.
Loyal
Es waren keine einfachen, doch sehr lehrreiche elf Jahre als Kaplan von Pfr. Peter Pazmany und unter der steten Anleitung von Weihbischof Dr. Adalbert Boros. Wenn Pfarrer Reinholz über die Zeit erzählt, mit den vielen Religionsstunden (erst Deutsch und Ungarisch, dann auch Rumänisch) aber auch Begräbnissen (bei rund 300 solchen im Jahr liegt sein persönlicher Rekord bei sieben an einem Nachmittag), zumal der Pfarrer krankheitsbedingt nur in der Pfarrei agierte, so endet es immer mit „es war schön“. Ein Kuriosum seiner Kaplanszeit war das Erteilen von fünf Sakramenten an einem Nachmittag an den jüdischen Gatten einer Katholikin aus der Elisabethstadt, wenige Tage vor dessen Tod.
Fragt man jedoch genauer nach, wie er wegen Bischof Boros und als junger Priester ins Fadenkreuz der Sicherheitspolizei in der kommunistischen Zeit kam, so wird sein Gesicht düster, die Stimme leiser, der Tonfall tief. Er habe es geschafft, immer Nein zu sagen, auszuweichen, sei schon als Schüler und Seminarist einberufen worden, doch habe er auch damals schon auf den guten Rat und die Unterstützung von Bischof Áron, später Boros, zählen können. Die Drangsalierungen waren wohl ein Grund für das Auswandern mancher Priester gleich 1990. Doch Reinholz erkannte in der Zeitenwende die vielen Möglichkeiten, die es nun gab und konnte auch nicht nach 15 Jahren seine Gemeindemitglieder, zu denen er eine enge Verbindung aufgebaut hatte, verlassen. Diese Verbundenheit sollte bei seiner Versetzung nach Radna sogar zu lautstarken Protesten der Gläubigen führen, die ihn auch heute noch treu und regelmäßig in Radna aufsuchen, ja sogar der nach Ungarn ausgewanderte Helmut May ließ es sich nicht nehmen, zur goldenen Messe nach Radna zu kommen.
Umtriebig
Immer mehr Verpflichtungen wurden ihm zuteil: 1990 wird er zum Temeswarer Dechant, nahm immer neue Rollen im kirchlichen Diözesangericht in Temeswar ein, leitete und baute die neugegründete Caritas Banat auf, um später Direktor der Caritas Temeswar zu bleiben. In der Pastoration übernahm er 1995 auch die Pfarrei Orzydorf/Orțișoara mit den Filialen Merzydorf/Carani, Knees/Satchinez, Kalatscha/Calacea, Baratzhausen/Bărăteaz und Hodoni. Das Gemüse aus den dazugehörenden Gemüsegärten, die er teils selbst versieht, wird in der Armenküche verwendet. Als er 2000 zum Erzdechant im Kreis Temesch ernannt wird, gibt er die Caritas-Arbeit ab, wird aber noch im selben Jahr auch Domkapitular, ab 2009 Erzdechant der Kathedrale und inzwischen emeritierter Domherr. Mit seinem Umzug nach Radna und den immer größeren Aufgaben, rund um die Übernahme des Klostergebäudes und nicht nur, gibt er das Amt des Temescher Erzdechanten ab und betreut ab da das Dechanat Pankota.
„Besondere Projekte brauchen besondere Menschen“, schrieb vor zehn Jahren seine Primizbraut. Das mag wohl stimmen, wenn man schaut, was unter seiner Obhut aufgebaut wurde: Religionsunterricht für Schüler und Jugendliche, der Kindergarten der Notre-Dame-Schwestern, die Renovierungen an der Josefstädter Kirche, das Mammut-Projekt der Renovierungsarbeiten in Kirche, Kloster und Kalvarienberg, wo immer noch zu tun ist.
Traditionsbewusst
Andreas Reinholz geht es zwar manchmal „wie den alten Leit“, doch er ist rüstig und zuversichtlich und wünscht sich für sein priesterliches Wirken in Radna noch die Kraft und die Mittel, den glorreichen Kreuzweg zu sanieren und ein Traum wäre es, die einstige Hl.-Stephanus-Kapelle (1880 gebaut von Gläubigen aus Szeged, doch 1942 gesprengt) oben auf dem Kalvarienberg wieder zu errichten. Auch gehören zu seinem Amtsgebiet als Filialen die deutsche und die ungarische Kirche in Paulisch/Păuliș und seit wenigen Monaten die Pfarrei Bultsch/Bulci mit Soborschin/Săvârșin, „wo auch noch einiges gemacht werden müsste und soll“, sagt Reinholz, in den die Gläubigen aus diesen Gemeinden ihre Hoffnung setzen, denn er nimmt sich für jeden die Zeit, antwortet auf Fragen, hört geduldig zu, reicht tröstend die Hand.
„Ein Priesterherz ist Jesu Herz,/ es fühlet nur die fremden Leiden,/ es nimmt für sich der Menschen Schmerz /und gibt dafür des Himmels Freuden“ heißt es im Lied, das Kantorin Andreea Bodroghi zur Kommunion auf Wunsch von Pfr. Reinholz gesungen hat. Es ist eine Beschreibung und eine Aufforderung zugleich. Mit der Bitte, ihn weiter ins Gebet zu schließen, beendete Pfr. Reinholz seine goldene Messe am Dreifaltigkeitssonntag samt „Großer Gott wir loben Dich“.
Der Pfarrer lächelt oft, manchmal auch bitter, denn sein Blick verrät: So manches war nicht so leicht in seinem Leben, er musste im Glauben seine Herausforderungen genauso meistern, wie auch in pragmatischen Dingen, wie das Sanieren einer Pfarrwohnung, in der die Mäuse oft Mitbewohner waren. Wer Pfarrer Reinholz heute in Radna aufsucht und dabei den großen Flachbildschirm in der Küche, die modernen Sanitäranlagen sieht, der kann wohl die Aussagen von vor zehn bis 15 Jahren kaum glauben, als es hier lediglich ein Radio und ein Telefon als Verbindung nach außen gab.
Es klopft, ein nächster Besucher steht an. Später kommen auch noch Pilger mit einem Bus angereist und da der Küster verreist ist, übernimmt der Pfarrer die Führungen durch die Kirche und teils auch durch das seit Oktober vorläufig geschlossene Klostermuseum. Schade, sollte hier mal ein Hotel an dessen Stelle entstehen, sagt der Pfarrer betrübt.