Trude Schullerus, eine der bekanntesten Künstlerpersönlichkeiten Siebenbürgens, wurde am 3. Mai 1889 in Agnetheln geboren. Die Künstlerin entstammte einer angesehenen siebenbürgisch-sächsischen Familie, in der Wissenschaft und Kunst seit Generationen eine wichtige Rolle spielten. Trudes Vater war der bedeutende Theologe, Volkskundler und Linguist D. Dr. Adolf Schullerus (1864-1928), die Tante, Anna Schuller-Schullerus (1869-1951), eine der ersten sächsischen Schriftstellerinnen, während der Onkel, Fritz Schullerus (1866-1898), ein ehemaliger Schüler Carl Dörschlags (1832-1917) war und der ersten Generation moderner, akademisch gebildeter siebenbürgischer Maler angehörte. Fritz musste lange kämpfen, das Einverständnis der Familie zu erhalten, Maler zu werden, da im siebenbürgisch-sächsischen Umfeld bildende Künstler nicht besonders geschätzt waren, und zudem galt ihre Kunst für brotlos. Die jahrelange Konfliktsituation, in der Fritz Schullerus lebte, war vermutlich auch eine der Ursachen seines frühen Todes.
Das Opfer, das der Onkel für die Kunst gebracht hatte, sollte der Nichte zugute kommen. Trudes Begabung wurde von der Familie nicht nur akzeptiert, sondern gefördert. Als Schülerin der Bürger- und Fortbildungsschule in Hermannstadt (1905-1906) wurde die begabte Jugendliche von den Lehrerinnen Lotte Goldschmidt (1871-1925) und Anna Dörschlag (1869-1947) im Zeichnen und Malen unterwiesen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts waren malende Frauen, die an privaten Einrichtungen im Ausland studiert hatten, in Hermannstadt kein Kuriosum mehr, denn bereits 1887 war Hermine Hufnagel (1864-1897) auf der „Ersten Internationalen Ausstellung“ (Gesellschaftshaus, 27. August-22. September) präsent. Bald danach traten Lotte Goldschmidt, Anna Dörschlag, Betty Schuller (1860-1904), Molly Marlin (1865-1954) und Mathilde Roth (1873-1934) mit ihren Kunstwerken auf den Plan.
Ab 1906 studierte Trude Schullerus an der Münchner Akademie für Bildende Künste – vermutlich in einer Damenklasse – da die Anstalt erst nach dem Ersten Weltkrieg Männer und Frauen als Gleichberechtigte aufnahm. Bei Heinrich Knirr (1862-1944) belegte die junge Siebenbürgerin Zeichenkurse, Ölmalerei bei Max Feldbauer (1869-1948), während sie grafische Techniken in der Privatschule von Moritz Heymann (1870-1937) erlernte. Diese Anstalt wurde vor ihr von den Kronstädtern Walter Teutsch (1881-1964), Hans Eder (1883-1955) und Ernst Honigberger (1885-1974) und nach ihr von Grete Csaki-Copony (1893-1990) besucht.
Die bayerische Hauptstadt war ab Mitte des 19. Jahrhunderts – nach Paris – das attraktivste und dynamischste Kunstzentrum Europas, das von einer raschen Abfolge von Kunststilen geprägt war. Unter diesen Voraussetzungen hätte Trude Schullerus, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in München verweilte, jede moderne Richtung – vom Jugendstil bis hin zum Expressionismus – einschlagen können, entschied sich jedoch anders. Sie fühlte sich ihrer Heimat und den überlieferten Werten der sächsischen Gemeinschaft verbunden, stellte ihre Kunst in den Dienst derselben und brachte sie ihren Landsleuten als Geschenk dar. Somit wird Trude Schullerus der „Heimatkunst“ oder „heimatverbundenen Kunst“ zugeordnet. Sie malte naturgetreue Altstadtmotive, Landschaften, Porträts und Genreszenen aus dem Dorfleben und Blumen. Die Zeit, in der sich ihre Menschen bewegen, ist keine historische, sondern eine ideale; es ist die profane Zeit des Alltags und die sakrale des Feiertags.
Die banalsten Arbeiten werden unter ihrem Zeichenstift und Pinsel zum Ritual, Landschaften zu Sinfonien, Blumen zu Symbolen der Lebensfreude und -bejahung. Ihre Werke atmen ansteckenden Optimismus und ihre strahlende und kontrastreiche Farbenskala konnte kein trauriges Ereignis trüben. Über sechs Jahrzehnte lang blieb die Künstlerin ihren Grundsätzen treu, und ihre Kunst weist – bis auf wenige Ausnahmen – keinen Stilbruch, sondern nur innere Entwicklung auf. Dass Trude Schullerus dauernd bemüht war dazuzulernen, beweist die Tatsache, dass sie zwischen 1923 und 1924 an der Hochschule für Grafik und Buchgewerbe in Leipzig studierte und sich 1933 zusammen mit Ernestine Konnerth-Kroner (1893-1973), Grete Csaki-Copony und Richard Boege an einem vom Maler Oskar Gawell (1888-1955) geleiteten Studiengang in Orlat beteiligte, wo der Letztgenannte eine neue Farbtheorie lehrte.
Zu einer Zeit, als der Heimatbegriff ideologisch und propagandistisch instrumentalisiert wurde, hat sie, an die jahrhundertealte Tradition ihrer Vorväter anknüpfend, das Authentische, das Unverfälschte an der Quelle, in der Volkskunst gesucht und sich dafür eingesetzt, dass Ererbtes erhalten und weiter gepflegt werde. In diesem Sinne wirkte sie aufopferungsvoll als Schriftleiterin des Sebastian-Hann-Vereins zur Förderung heimischer Kunstbestrebungen und war bis 1946 – als der Verein aufgelöst wurde – ehrenamtliche Leiterin der Sektion Heimatkunst. Diese Abteilung wirkte sich sehr positiv auf die Kunsterziehung und Geschmacksbildung des Publikums aus und erfreute sich hohen Ansehens.
Ab 1918, als sie zum ersten Mal in Hermannstadt ausstellte, hatte Trude Schullerus eine sehr rege Ausstellungstätigkeit. Es gab kaum ein Jahr, in dem keine neuen Werke von ihr zu sehen waren. 1942 und 1944 nahm sie mit Grafiken und Ölbildern an den Wanderausstellungen „Deutsche Künstler aus Rumänien“ teil, die in verschiedenen Städten des Deutschen Reiches gezeigt wurden. Die Ausstellungen hatten zwar propagandistischen Charakter, enthielten aber fast ausschließlich neutrale Arbeiten, die von den Veranstaltern bloß ideologisch gedeutet und missbraucht wurden. Die Heimatkünstlerin war mit Stadtansichten, Landschaftsbildern, Blumenstillleben, Kinderporträts und Dorfszenen sowie mit dem bekannten Porträt des Volkskundlers und Sammlers Emil Sigerus vertreten. Wie alle Künstler, die an diesen Ausstellungen teilnahmen, trifft sie die Schuld, mitgemacht.zu haben, statt sich einem Menschen verachtenden politischen System zu widersetzen.
Die schwierigen Nachkriegsjahre waren auch für Trude Schullerus Zeiten der Umstellung und Anpassung an die neuen Gegebenheiten. Bis dahin hatte sie als freischaffende Künstlerin gelebt, was nun nicht mehr möglich war. Wollte sie Malerin bleiben, hatte sie keine andere Möglichkeit, als sich den neugegründeten Strukturen anzuschließen und Mitglied des „Künstlersyndikats“ und danach des Verbandes der bildenden Künstler zu werden. In dieser Eigenschaft nahm sie an Dokumentationsreisen und -lagern teil, erhielt staatliche Aufträge und zeigte ihre Werke in Gruppenausstellungen. Um diese Vorteile zu genießen, musste sie beweisen, sich die Prinzipien des „Sozialistischen Realismus“, des einzigen damals akzeptierten Kunststils, angeeignet zu haben. In dieser Zeit malte sie Szenen der sozialistischen Umgestaltung in Stadt und Land, Porträts von Bestarbeitern, LPG-Vorsitzenden, Spitzensportlern, Szenen von Alphabetisierungskursen u. a. Es sind die schwächsten Arbeiten ihrer gesamten Karriere, die davon zeugen, dass ihr der hieratische, hyperrealistische Stil fremd war.
Als gegen Ende des sechsten Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts der politische Druck nachließ und die Grundsätze des „Sozialistischen Realismus“ gelockert wurden, fand Trude Schullerus zu ihren unverkennbaren persönlichen Ausdrucksformen zurück. Die Retrospektivausstellung, die 1971 im Hermannstädter Schatzkästlein veranstaltet wurde, war ein bedeutendes künstlerisches Ereignis, das anhand von einhundert Werken aus allen Schaffensperioden das Lebenswerk der Künstlerin zusammenfasste.
Nicht nur Siebenbürger Sachsen, sondern auch zahlreiche rumänische Mitbürger schätzten ihre Arbeiten und bemühten sich, in den Besitz eines Gemäldes oder Stiches mit dem Signet TS zu gelangen. Für diejenige, die ihre Heimat verließen, erhielt ein Trude-Schullerus-Bild einen hohen Symbolwert, da es zu einem Stück Heimat oder Heimatersatz hochstilisiert wurde.
Während ihres langen und erfüllten Lebens war Trude Schullerus Zeugin bewegter geschichtlicher Ereignisse, die von einer nicht weniger stürmischen Entwicklung der bildenden Kunst begleitet wurden. Es scheint jedoch so, als hätten äußere Faktoren sie nicht berühren können, denn sie blieb das, was sie von Anfang an gewesen war, nämlich die Darstellerin der siebenbürgisch-sächsischen Welt als Archetyp, einer Welt, die nach 1989 fast gänzlich untergegangen ist.