In diesem Jahr feiert der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, gegründet am 26. Juni 1949, 70. Jubiläum (siehe ADZ vom 29. Juni 2019: „Gemeinschaftssinn im Wandel der Zeit“). Schon das reichhaltige Programm des Heimattags in Dinkelsbühl, den der Verband seit 1951 jedes Jahr an Pfingsten organisiert, lässt erahnen, welcher Aufwand für die aktiven Mitglieder damit verbunden ist. Doch mit dem Heimattag allein ist es nicht getan: Der Verband vertritt die Interessen der Siebenbürger Sachsen in Deutschland auch vor der Politik, engagiert sich sozial und betreibt umfassend Jugend- und Kulturförderung. Zu Nachwuchssorgen gibt es dank einer aktiven Jugendorganisation keine Klagen. Darüberhinaus unterstützt die Bundesregierung das Engagement des Verbands in Sachen Völkerverständigung. Über die Veränderungen der Aufgaben im Laufe der Zeit und aktuelle Herausforderungen, spricht Bundesvorsitzende Herta Daniel in Dinkelsbühl mit Nina M a y.
Frau Daniel, wie lange sind Sie selbst schon Verbandsmitglied mit Führungsfunktion und was hat Sie persönlich dazu bewogen?
Ich bin vor vier Jahren zur Bundesvorsitzenden gewählt worden, das war 2015. Doch aktiv im Verband bin ich schon länger. Im Jahr 2000 wurde ich stellvertretende Kreisvorsitzende, dann Kreisvorsitzende, dann stellvertretende Landesvorsitzende, stellvertretende Bundesvorsitzende und schließlich Bundesvorsitzende – alles Ehrenämter. Was mich dazu bewog? Ich kam aus einer sozial geprägten Familie. Meine Eltern, mein Großvater, waren immer ehrenamtlich aktiv, zum Beispiel in der Kirche und im Presbyterium. Ich bin Hermannstädterin, 1977 ausgewandert zu meinem Mann durch Heiratsgenehmigung, hatte Familie, Kinder, einen Beruf… Doch mir hat in meinem Leben diese ehrenamtliche Komponente gefehlt. Irgendwann hat sich dann die Möglichkeit ergeben - man hatte eine Kulturreferentin in der Kreisgruppe gesucht. Da habe ich zugesagt und bin dann auch gleich stellvertretende Kreisvorsitzende geworden.
Was können Sie über die Entwicklung des Verbandes sagen, seitdem Sie dabei sind? Welche Veränderungen gab es?
Als die Kinder klein waren, habe ich mich zurückgehalten mit ehrenamtlichen Tätigkeiten, ich war in der Tanzgruppe und im Handarbeitskreis, aber nicht in verantwortlichen Positionen. Aber seit ich aktiv dabei bin, habe ich schon Veränderungen bemerkt. Als ich nach 2000 zum ersten Verbandstag kam, war der Saal gefüllt mit grauhaarigen Männern in Nadelstreif, es gab ganz wenige Frauen! Aber jetzt, wenn Sie jetzt zum Verbandstag kommen, sind sehr viele Frauen und junge Leute dabei, die grauhaarigen Männer sind in der Minderheit. Das liegt am Interesse der jüngeren Generation.
Wie kam das?
Der Verband bietet vor Ort, und damit meine ich die Kreisgruppen, sehr viel an, so dass er die Leute anzieht, vor allem die Jugend. Wir haben den großen Vorteil, dass wir eine eigene Jugendorganisation haben, die SJD oder Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland. Die ist, glaube ich, in den 90er Jahren gegründet worden. Sie hatte anfangs wenig Mitglieder, aber die leisten so gute Arbeit und gestalten ihr Programm so attraktiv, dass sie Kinder anziehen. Auch dadurch, dass ihnen niemand reinredet, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Wenn sie um Rat fragen, bekommen sie den natürlich, wenn sie Hilfe benötigen, bekommen sie die, natürlich auch materieller Art. Sie organisieren Freizeiten mit Kindern. Die Kinder kommen wirklich sehr gern!
Inwiefern spielt Siebenbürgen noch eine Rolle für die jüngere Generation?
Das spielt eine Rolle! Sie kommen über die Urzeln oder die Tracht damit in Verbindung und stellen dann Fragen: Woher komme ich? Woher kommt ihr und warum seid ihr ausgewandert? Ich merke das in meiner eigenen Verwandtschaft, es ergeben sich viele Anknüpfungspunkte. Das führt manchmal so weit, dass hier Geborene jedes Jahr nach Siebenbürgen fahren. Es gibt da einige Beispiele. Oder meine eigene Tochter: Die ist auch hier geboren, in Deutschland, doch sie wollte unbedingt in Siebenbürgen studieren, zumindest ein-zwei Semester. Sie wollte wissen, wie man dort lebt. Das hat sie auch gemacht. Das war eine sehr wertvolle Zeit für ihre Entwicklung.
Gibt es auch junge Leute, die es ganz nach Siebenbürgen zieht?
Für eine gewisse Zeit, ja. Aber man stößt dann dort doch vielleicht an Grenzen und kommt irgendwann zurück. Ich kenne allerdings auch Fälle, die sich dort niedergelassen haben. Man weiß natürlich nicht, wie lange, und was das Leben noch bringt. Aber die machen mir auch einen ganz zufriedenen Eindruck. Das ist ja auch wunderbar in diesem Europa, man kann das jetzt, und das finde ich gut!
Welche Herausforderungen gibt es derzeit für den Verband?
Wir haben personelle Veränderungen durch rentennahe Jahrgänge. Unser Bundesgeschäftsführer hat aufgehört; Bundeskulturreferent Hans Werner Schuster wird auch aufhören und da sind wir bereits jetzt auf der Suche nach einem Nachfolger.
Und wir müssen mit dem Geld sparen, wir bekommen ja relativ geringe Zuwendungen. Wir leben nur von Mitgliedsbeiträgen und Spenden - und es gibt in Deutschland den Paragraphen 96 im Bundesvertriebenengesetz für kulturelle Förderungen. Das beanspruchen wir auch, aber die Fördersummen sind nicht so hoch, dass wir alles tun können, was wir gerne möchten. Dann gibt es vom Bundesministerium des Inneren noch die Möglichkeit der Unterstützung für verständigungspolitische Maßnahmen, das nehmen wir auch in Anspruch.
Worum geht es bei diesen verständigungspolitischen Maßnahmen?
Das heißt, die Brückenbaufunktion in Europa zwischen unserem Herkunftsgebiet Siebenbürgen, Deutschland und anderen Gebieten, wo deutsche Minderheiten leben, zu fördern. Ich fahre zum Beispiel Ende Juli mit dem Bund der Vertriebenen nach Rumänien, das organisiert nicht unser Verband, aber wir sind Mitglied. Eine Reise nach Bukarest, Kronstadt, Schäßburg, Hermannstadt und Temeswar, um mit der deutschen Minderheit in Kontakt zu kommen und mit ihren Institutionen: Zeitung - ich nehme an, wir kommen auch zu Ihnen, deutsche Schulen werden wir besuchen, das Deutsche Forum. An der Reise nehmen die Vertreter aller in Deutschland ansässigen Landsmannschaften teil, so dass die sich auch ein Bild machen können - Schlesier, Pommern, Sudetendeutsche, Deutsche aus Ungarn usw. Ich war auch die vergangenen Jahre in Polen, Tschechien und Ungarn.
Was ist der Unterschied zwischen diesen deutschen Minderheiten?
Zum Beispiel die Sprache. Die deutschen Minderheiten in anderen Ländern hatten nicht das Privileg, all die Jahre im Kommunismus deutsche Schulen und Zeitungen zu haben – und das merkt man. In Ungarn hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit jemandem, der die deutsche Kultur dort fördert. Der musste sich die Frage stellen: „Will ich jetzt die deutsche Kultur oder die deutsche Sprache weiterleben lassen? Beides schaffen wir nicht.” Man ist im ungarischen Milieu, alle sprechen Ungarisch, in der Schule, im Alltag. Da ist es schwer, sich auf Deutsch auszudrücken. Es ist anscheinend nicht mehr die Muttersprache. Aber deutsche Kultur kann man auch auf Ungarisch ausleben - und das war ihm dann doch wichtiger. Diese Einstellung war mir unbekannt, aber interessant, so lernt man immer etwas anderes. In Siebenbürgen oder im Banat hat man kein Problem, mit den Deutschen Deutsch zu sprechen.
Welche Herausforderungen sieht der Verband auf politischer Ebene?
Wir vertreten die Interessen der Siebenbürger Sachsen vor der Politik, da hat der Verband in der Vergangenheit schon einiges geleistet, zu Beginn der 50er Jahre, zum Thema Lastenausgleichs- und Bundesvertriebenengesetz. Die Tatsache, dass wir damals die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen haben, verdanken wir den damaligen klugen Köpfen, die das mit Politikern ausgehandelt haben. Dass wir die gleichen Rechte haben wie die Deutschen, die aus dem ehemaligen Deutschland vertrieben wurden, Sudetendeutsche, Schlesier - Siebenbürgen war ja nie Teil von Deutschland - ist schon eine sehr große Leistung des Verbandes gewesen. Und diese Aufgaben hören nie auf. Im Moment haben wir die Fremdrentendiskussion.
Worum geht es bei der Fremdrentenfrage?
Das Fremdrentengesetz gewährleistet den Aussiedlern, die hier in Deutschland nicht in die Rentenkasse eingezahlt haben, eine Rente. Und zwar wird ein Aussiedler gleichgestellt mit jemandem, der hier gearbeitet hat, aufgrund der Eigenschaft als Vertriebener und des besonderen Kriegsfolgeschicksals. Diese Fremdrenten wurden in den 90er Jahren gekürzt, weil man die Aussiedler nicht besser stellen wollte als die aus der ehemaligen DDR, die kleinere Renten hatten. Das ist aber auch damals nicht der eigentliche Grund gewesen... Das Geld war nicht vorhanden und man hat brutal gekürzt, 40 Prozent von der Rente, die einem zusteht. Später gab es nochmal eine Deckelung der Entgeltpunkte. Das bedeutet im Klartext, dass ein Rentner nicht mehr als – ich glaube, es sind ungefähr 700 Euro – Rente haben kann, egal ob er das Recht hätte auf 1600 zum Beispiel, und ein Ehepaar nicht mehr als 1200. Dagegen gehen wir vor – ich hab schon mit Politikern gesprochen, wir haben eine Resolution mit den beiden anderen betroffenen Landsmannschaften, den Banater Schwaben und den Deutschen aus Russland, verfasst und die Bundesregierung darin aufgefordert, diese Benachteiligung zu beseitigen. Es geht uns nicht um Besserstellung oder Privilegien, sondern um Gleichberechtigung. Das ist an die Bundeskanzlerin gegangen und wir haben Unterschriften gesammelt. Es sind über 33.000 Unterschriften eingegangen und die sind jetzt im Bundeskanzleramt. Jetzt ist die Bundesregierung dran – aber wir bleiben dabei und wollen das haben. So gibt es jeden Tag neue Herausforderungen.
Haben Sie ein Lebensmotto, das Sie in schwierigen Momenten leitet?
In der Ruhe liegt die Kraft.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.