Das Radio hat noch längst nicht ausgedient

Zu Besuch beim Kronstädter Lokalsender „Radio Romania Brașov FM“

Dorin Dușa am Mikrophon Fotos: der Verfasser

Im Studio ist man phonisch abgeschirmt.

Autoradio, die beste Variante, während des Fahrens informiert zu bleiben

Gerade unter den außergewöhnlichen Umständen, die die Erklärung des Notstandes mit sich brachte, aber auch jetzt während der immer noch andauernden Pandemie, war und ist man auf sichere und schnelle Information angewiesen. Der staatliche rumänische Rundfunk gilt heute als zuverlässige Informationsquelle. Bei meinem Besuch beim Kronstädter Lokalsender des öffentlichen Rundfunks wussten wir allerdings noch nicht, dass korrekte und prompte Information der Bevölkerung während der Ausgangssperre bald besonders wichtig sein würde...


Früher war der Rundfunk ein starkes Propagandamittel. Das beste Beispiel sind die „Volksempfänger“ genannten Geräte, die auf Lang- und Mittelwelle kurz nach der Machtergreifung der Nazis deren Ideologie unters Volk brachten. Auch im kommunistischen Rumänien war der staatliche Rundfunk, später mit dem Fernsehen zu einer organisatorischen Struktur vereint, zur „Stimme“ des kommunistischen Regimes umfunktioniert worden. Umso willkommener und wichtiger war die Tatsache, dass über dasselbe Massenmedium der Zugang zur freien Welt, zur nicht zensierten Information, möglich war. „Freies Europa“, Deutsche Welle, BBC oder „Voice of America“ zu hören war zwar verboten und durch Störsender erschwert, doch der Empfang über Kurzwelle der als „feindlich“ eingestuften Sender gehörte für sehr viele Menschen zum Alltag im Kommunismus. Er war die Alternative zur kommunistischen Propaganda und Vereinnahmung; die Möglichkeit, via Radio den Eisernen Vorhang zu durchbrechen.

Jene Zeiten sind längst vorbei. Inzwischen sind Internet und Mobilfunk zur Selbstverständlichkeit geworden. Praktisch jedes Handy kann nicht nur als Kamera oder Uhr sondern auch als Radio und Aufnahmegerät genutzt werden. Ein Autoradio gehörte schon vorher zur Grundausstattung jedes besseren Pkw. Das Radio ist vielerorts verfügbar: zuhause oder im MP3-Player auf Reisen, auf der Straße über Kopfhörer und  im Auto, wo es als Informationsquelle und Tonträger praktisch keine Konkurrenz hat. Mehr noch: Radio zum Nachhören erfreut sich als Pod-cast eines steigenden Zuspruchs. Die Lieblingssendungen können „als Konserve“ x-mal nachgehört oder abonniert werden.

Verfügbarkeit und Gewohnheit sprechen also fürs Radio. Der Gewohnheitsfaktor gilt allerdings eher für ältere Hörer und Hörerinnen. Um die Jugend fürs Radio zu gewinnen, wird stark auf Musik gesetzt. Erwiesen ist auch, dass gleichaltrige Sprecher bei Jugendlichen viel besser ankommen und aufmerksamer verfolgt werden, weil sie glaubwürdiger wirken als die Stimmen der älteren Generationen, die wahrscheinlich auf eine Stufe gestellt werden mit Eltern, Lehrern, also mit Personen mit einer gewissen Autorität.

Weitere Gründe, um Radio zu hören, sind, laut Umfragen, dass sie kaum landesspezifische Unterschiede aufweisen, schnelle Information und Unterhaltung sowie der leicht nachvollziehbare Wunsch, sich nicht allein zu fühlen, und die Stimmungsregulation – ein Fachausdruck für die Beeinflussung des Gefühlslebens der Hörer vor allem über Musik, aber auch über andere Sendungen. Nicht zuletzt hat der Rundfunk die Fähigkeit, in verschiedenen journalistischen Gattungen (z.B. Hörspiel, Feature, Reportage) beim Hörpublikum Vorstellungsbilder zu erzeugen, wobei moderne Soundeffekte und andere technische Mittel zu Hilfe kommen. Dieses „Kopfkino“ entfällt beim Fernsehen, wo die Bilder vorgegeben werden.

Öffentlich und lokal

Seit dem 1. März 2019 ist in Kronstadt Radio România Bra{ov FM, der Lokalsender des öffentlichen rumänischen Rundfunks, nonstop auf der Frequenz 93,3 MHz auf Sendung. Es handelt sich um das jüngste Mitglied in der Familie der Rumänischen Rundfunkgesellschaft (SRR). Davor waren Infos und Sendungen mit Bezug auf Kronstadt und Umgebung über den Territorialsender Radio Neumarkt/Târgu Mureș zu hören. Das damalige Lokalstudio („Antena Brașovului“) hatte seinen Sitz auf der Postwiese im Gebäude, wo sich auch das Rektorat der Transilvania-Universität befindet. Heute arbeiten 24 Leute - Journalisten, Techniker, Buchhalter, ein Redaktionssekretär – für Radio România Brașov, das seinen Sitz im vierten Stock eines Wohnblocks (Außenstelle des Bürgermeisteramtes) am ehemaligen Hidromecanica-Platz bezogen hat. Zwei weitere Außenmitarbeiter gibt es im Hermannstädter Lokalstudio, das dem Kronstädter Regionalsender angegliedert ist. Der Sender ist in Kronstadt und Umgebung bis Săcele, Predeal und Marienburg zu empfangen. Dorin Dușa, der als Manager diesen Sender leitet, hofft, dass in naher Zukunft im gesamten Gebiet des Kreises Kronstadt sowie im Nachbarkreis Hermannstadt die Sendungen des öffentlichen Lokalsenders gehört werden können. Das Morgenprogramm dauert von 6 bis 10 Uhr. Es folgt ein Multiplex (10 x România), ausgestrahlt aus Bukarest, mit einer Synthese der Regionalnachrichten aus dem ganzen Land. Der „Tagespuls“ bringt von 11 Uhr bis 15 Uhr Interviews, Berichte und Gespräche mit Studiogästen zum gesellschaftlichen, sozialen, politischen und sportlichen Geschehen in Kronstadt. In den Nachmittagsstunden von 15 bis 19 Uhr ist Entspannung bei guter Musik angesagt. Anschließend wendet sich die Sendung „Städtische Passage“ vor allem an Liebhaber von Kultur, Kunst und Wissenschaft. Ein besonderes Angebot stellen Hörspiele aus der Goldenen Phonothek des rumänischen Rundfunks dar, die ab 21 Uhr die bekanntesten Stimmen des rumänischen Theaters erklingen lassen. In den Nachtstunden ist ein reichhaltiges Musikprogramm zu hören. Am Wochenende sind verstärkt auch Sendungen für Kinder und Jugendliche vorgesehen. „Als öffentlicher Sender wenden wir uns allen zu und versuchen, unsere Aufgaben möglichst gut zu erfüllen. Korrekte Berichterstattung, objektive, unparteiische Nachrichten sind unser höchstes Gebot“, versichert Dușa. Auf redaktioneller Ebene sei man unabhängig, niemand mische sich ein. Bei Wahlkampagnen werden die gesetzlichen Bestimmungen streng eingehalten, die allen Parteien und Kandidaten Sendezeit sichern. Unter diesen Voraussetzungen wird Radio România Brașov auch nicht als Vertreter und Verfechter der Regierung wahrgenommen. Politik komme nur als objektive Nachricht im Nachrichtenblock vor, beteuert Dușa.

Ein dichtender Sportreporter

Seit gut zwei Jahrzehnten ist Dorin Dușa (61) mit Leib und Seele dem Radio verfallen. Obwohl ihn seine berufliche Ausbildung eigentlich als Ingenieur ausweist, war er schon als Student in Bukarest vom Radio fasziniert. Besonders die Live-Übertragungen der Sportreporter ließen sein Herz schneller schlagen. Er wünschte sich nichts mehr, als selbst der Mann vor Ort zu sein, der über das Geschehen am Spielfeld oder im Sportsaal berichtet, der Reporter, der zusammen mit den Zuschauern im Stadion und den Millionen von Hörern vor den Radiogeräten mitfiebert, ein Tor bejubelt oder bei einer Niederlage mitleidet. Als Radiojournalist war er bei wichtigen Sportereignissen, die in Kronstadt abgehalten wurden, hautnah und live am Mikrophon mit dabei. „Eine Live-Übertragung ist ausschlaggebend für jeden Radiosender, der etwas von sich hält. Sie ist enorm wichtig für den Hörer. Dieser kennt dich zwar nicht persönlich. Er kennt aber deinen Stimmklang. Und wenn du korrekt, dynamisch und fließend sprichst, so gefällst du ihm und er achtet dich.“ Das Mikrophon forme mit der Zeit die Stimme. Die Erfahrung führt dann zu einer Selbstverständlichkeit, einem Automatismus im Sprechen am Mikrophon. So wie bei den Sportlern, die durch tägliches Training immer bessere Leistungen vollbringen. Als Sportreporter hat er so manches durchmachen müssen, erinnert sich Dușa: „Bei einem internationalen Spiel gab es keinen Platz in den Pressekabinen. Die waren bereits voll besetzt mit ausländischen Journalisten. Da bin ich kurzerhand auf ein Dach gestiegen und habe von dort berichtet. Es wackelte manchmal derart gewaltig mit mir, dass ich mich mit einer Hand an einem Pfeiler festhalten musste. Aber ich habe meine Arbeit gut geschafft, ohne dass jemand die Schwierigkeiten mitbekam. Wenn du die notwendige Leidenschaft und den Willen aufbringst, wenn du dich den Erwartungen der Hörer anpassen und stellen kannst – dann kannst du von wo immer aus berichten.“

Am leichtesten bleibt die Arbeit selbstverständlich im Studio. Aber auch dort muss höllisch aufgepasst werden. Jeden Fehler bekommen gleich Tausende mit. Zum Glück kann das Mikrophon blockiert werden, wenn man gerade husten oder niesen muss. Die Absprache mit den Technikern muss perfekt laufen, damit keine Pannen eintreten oder im Gespräch mit Studiogästen Fremdgeräusche dazwischenkommen. Die Ausstattung könnte verbessert werden, wünscht sich Dușa. Fast alle Kosten werden aus öffentlichen Geldern gedeckt, so dass kein Druck in Sachen Werbung besteht. Das sei nur richtig, denn als öffentlicher Sender trete man auch nicht mit den zahlreichen kommerziellen Privatsendern in Konkurrenz (unter ihnen auch der sehr ähnlich benannte Sender „Radio Brașov FM“).

Als Manager hat Dorin Du{a nun weit umfassendere Aufgaben übernommen. Aber immer wieder ist er auch außerhalb des Studios unterwegs. In seiner Freizeit, was wenige wussten, dichtet er. „Sete de dor“ („Sehnsuchtsdurst“) heißt sein vor drei Jahren erschienener erster Gedichtband über Kindheit und Liebe. Dichten sei die Flucht vor dem alltäglichen Einerlei und die Möglichkeit, neue Kräfte zu tanken. Die braucht er für sich, fürs Radio und dessen Ausstrahlungskraft.