Am 23. Juni wurde die neue rumänische Regierung unter der Leitung von Ilie Bolojan eingesetzt. Diese übernahm ihr Mandat mit dem Versprechen einer tiefgehenden Reform des rumänischen Staates, aber auch mit der Vorwarnung anstehender Sparmaßnahmen, die der Normalisierung des Haushaltsdefizits dienen sollten. Auf diesen beiden Pfeilern soll ein moderner tragfähiger Staat entstehen. Die Spar- und Reformmaßnahmen, die wie ein Bulldozer mit dem sogenannten „ersten Paket“ begannen, scheinen zur zeit eine Verschnaufpause zu nehmen. Man erzählt und erklärt ,was das „zweite Paket“ soll, will und wird, doch ist nichts klar. Und während die Rumänen hauptsächlich in fremden Ländern die Urlaubssonne genießen, droht der Tod von Ex-Präsident Ion Iliescu die Regierungsallianz aufzulösen. Es heißt Polenta explodiert nicht. Tatsächlich kocht sie noch gar nicht, doch könnte das letzte Jahresdrittel ganz anders aussehen.
Als Bolojan die mögliche Rentenreform für den Justizapparat ankündigte und die harten Reaktionen seitens des Systems darauf folgten, trat Präsident Nicușor Dan vor die Öffentlichkeit und wunderte sich über das was er „Debandada“ nannte. Das Wort ist nicht wirklich ins Deutsche zu übersetzen. Es beinhaltet sowohl ein Wirrwarr, aber auch ein Durcheinander, in welchem jeder nach Gutdünken handelt, wie auch ein nicht zu lösendes Chaos. Premier Bolojan verspricht immer wieder, dass er und seine Minister sich Theseusgleich in das Labyrinth des rumänischen Staatsapparates hineinstürzen und am Ende siegreich den Kopf des Debandada-Minotaurus dem Volk vorführen werden, doch scheint er sich im Augenblick in Kampfvorbereitungen verloren zu haben. Zugegebenermaßen wartet auf ihn im Labyrinth mit Sicherheit mehr als ein Monster des Systems, dem er sich stellen muss.
Reformen und Sparen und Reformen
Das „erste Paket“, es beinhaltet hauptsächlich Erhöhungen von Steuern und Abgaben, sollte eher eine Zeichensetzung sein. Rumänien sollte unter Beweis stellen, dass es reformwillig und -fähig ist, um zeitgleich EU-Sanktionen und die Einstufung des Landes seitens der internationalen Rating-Agenturen in der Kategorie „Junk“ zu vermeiden. Dieses ist größtenteils gelungen. Obwohl es dabei unter anderem um die Erhöhung der MwSt., der Straßengebühren, der Steuern für Sprit, Tabak und Alkohol, sowie auch um die Kürzung mancher Prämien im staatlichen Vergütungssystem ging, blieben wirklich heftige Reaktionen seitens der breiten Öffentlichkeit aus. Zwar murrten die einen oder anderen und drohten den Staat lahmzulegen, doch dann begann die Urlaubszeit und keiner machte sich mehr Gedanken darüber. Auch die Erhöhung der Strom- und Energiepreise, die in Folge der Liberalisierung des Marktes stattgefunden hat, sorgte kaum für Reaktionen. Die Rechnungen warten aber auf unsere Urlauber und wollen von den jetzt noch entspannten Landsleuten bezahlt werden. Hier könnte die kalte Jahreszeit die ersten heftigeren Proteste mit sich bringen, doch dann dürfte es zu spät sein.
Nach der Verabschiedung des besagten Pakets krempelte die Regierung die Ärmel hoch und begann mittels angekündigtem „zweiten Paket“ die Reform und Effizienzsteigerung des rumänischen Staates. „Debandada“ scheint hier das Ordnungswort zu sein für das, was Bolojan&Co. vorgefunden haben. Doch keiner scheint wirklich zu wissen, welcher Kopf der seit 1989 gezüchteten Hydra zuerst abgeschlagen werden muss.
Die einen schreien Hü, die anderen Hott und wieder-um andere scheinen nicht zu verstehen, in welchem Film sie gelandet sind. Was der Premier ankündigt und erklärt, wird von den Ministern des eigenen Kabinetts widerlegt. Was Montag als festgelegt erscheint, wird am Dienstag umformuliert, neudefiniert oder sogar abgelegt, nur um am Mittwoch erneut aufs Tapet gebracht zu werden, mit dem Versprechen, dass es sowieso nicht vor 2030 irgendwelche Folgen haben wird. Wie eine kopflose Henne scheint die Regierung es allen recht machen zu wollen und scheint dabei nichts Wirkliches zu erreichen. Und während von der Kanzel der Staatsleitung weiter von Reformen, Effizienz und Sparmaßnahmen gepredigt wird, bräunen sich laut neuster Zahlen ungefähr 1,5 Millionen Rumänen an den Küsten des Mittelmeers und genießen das „Vita è bella“. Doch nach der Heimreise und der entsprechenden Post-Urlaub-Akklimatisierung, könnte es ihnen wie Schuppen von den Augen fallen und sie werden vielleicht verstehen, dass so manches doch anders geworden ist.
Ein Beispiel: die Reform des Bildungswesens
Im Juni begannen die Ferien. Mehr oder weniger zufrieden mit den Leistungen der eigenen Kindern, verschnauften die Eltern, da auch dieses Schuljahr überstanden wurde. Im Vertrauen, dass man ab Herbst wisse, voran man ist, packte man die Koffer und ging mit Kind und Kegel in den Urlaub. Doch hatte man die Rechnung nicht mit Bildungsminister Daniel David gemacht. Zwar hatte dieser Reformen und Umgestaltungen angekündigt, doch außer wenigen, meistens nur online erschienenen Stellungnahmen, blieben Reaktionen aus. Urlaub halt... sogar die Gewerkschaften drohen mit Protesten, aber erst ab September.
Was eine eventuelle „Debandada“ sein kann, werden Rumäniens Bürger vielleicht verstehen, wenn sie ab dem Schulanfang im September mit dem neugestalteten Bildungswesen konfrontiert werden.
Kurz zusammengefasst soll laut Minister Daniel David Folgendes bewirkt werden: Die Bildungsreformen haben das Ziel, das Bildungswesen bis 2028 leistungsfähiger, gerechter und europäisch anschlussfähig zu gestalten. Im Zentrum steht die Curriculum-Reform, die eine vollständige Überarbeitung der Lehrpläne für alle Schulstufen vorsieht. Parallel dazu wird ein neues Ausschreibungsverfahren für Schulbücher ab Ende 2025 gestartet, um die Lehrmaterialien an die aktualisierten Bildungsziele anzupassen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Reform der Leistungsbewertung, die Prüfungen und Evaluationsmethoden neu ausrichtet. Nationale Abschlussprüfungen sollen künftig stärker auf Kompetenzen statt auf reines Faktenwissen abzielen. Auch Lehrkräfte und Schulen werden nach neuen Qualitätsstandards bewertet, um Transparenz und Vergleichbarkeit zu erhöhen. Die Neuorganisation des Schulsystems soll besonders strukturschwache Regionen stärken: Durch die Einführung von „Mentor-Schulen“, modernen Campus-Modellen und gezielte Investitionen in Infrastruktur sollen Bildungsangebote gebündelt und effizienter gestaltet werden.
Im Bereich der Lehrkräfte wird ein neuer beruflicher Status eingeführt. Das Einstiegsgehalt soll dem nationalen Durchschnittsgehalt entsprechen, was die Attraktivität des Berufs steigern soll. Gleichzeitig wird die Lehrerbildung reformiert und die Arbeitszeit leicht erhöht – ohne Entlassungen. Um die ambitionierten Ziele zu finanzieren, strebt die Regierung eine Erhöhung des Bildungsbudgets auf 15 Prozent des Staatshaushalts und ein Prozent des Brutto-Inland-Produkts für Forschung an. Die Digitalisierung wird als strategischer Hebel genutzt: Schulen und Hochschulen sollen mit moderner Infrastruktur ausgestattet werden, digitale Lernplattformen und Prüfungsformate werden ausgebaut.
Auf dem Papier dürfte alles schön und gut klingen, doch dürfte das Schlachtfeld ein wenig anders aussehen. Der Eindruck besteht, dass durch das Verschieben mancher Sachen von links nach rechts und von rechts nach links zwar Sparmaßnahmen durchgeführt wurden, dass aber erneut die eigentliche Anpassung des Bildungswesens an zeitgenössische und zukunftsorientierte Ansprüche den Kürzeren gezogen hat. Natürlich machen manche Maßnahmen, wie die Umgestaltung der Leistungsstipendien, Sinn. Das in Folge von Wahlgeschenkdenken eingeführte System, anhand dessen Schüler, die mit Weh und Ach die Klasse bestanden, Leistungsstipendien erhielten, war mehr als absurd. Dass aber die gleiche Elle für die Kürzung der Sozialstipendien benutzt wurde, ist in einem Land wie Rumänien, mit einer sehr hohen Schulabbruchrate, die meistens der Armut zu verdanken ist, zuindest fragwürdig.
Genauso fragwürdig bleibt die Zusammenlegung von Bildungseinrichtungen, wobei als einziges Kriterium die Schüleranzahl angesetzt wurde. Ziel ist es, Ressourcen effizienter zu nutzen und die Infrastruktur zu modernisieren, insbesondere in ländlichen Regionen. Dies geht jedoch mit einer Erhöhung der Schülerzahl pro Klasse und einer Verlängerung der Anwesenheitspflicht für Lehrkräfte einher. Viele Bildungskräfte sehen darin eine Überlastung ohne angemessene Kompensation. In der Praxis bedeutet dies, dass kleinere Schulen – vor allem solche mit sinkenden Schülerzahlen und meistens aus dem ländlichen Raum – geschlossen oder in größere, zentralisierte Bildungseinrichtungen integriert werden.
Kritiker sehen mit Recht in der Zusammenlegung eine technokratische Maßnahme, die zwar Kosten senken und Verwaltungsstrukturen vereinfachen soll, aber die pädagogische Qualität und soziale Zugänglichkeit gefährden wird. Besonders betroffen sind einkommensschwache Familien, deren Kinder durch längere Wege und größere Klassen zusätzliche Hürden im Bildungsalltag erleben.
Zwar wurden diese Maßnahmen von Minister Daniel David schon seit 2023 angekündigt, doch in einem Hau-Ruck-Verfahren wurde alles in der Zeitspanne Mai-Juni 2025 in Gesetzesform gebracht. Was zu Papier kam, stand unter dem Zeichen der Sparmaßnahmen und ignorierte viel von dem, was 2023 bis 2025 in Absprache mit der Lehrerschaft, Gewerkschaften, Eltern- und Schülervertretungen usw. besprochen wurde. Ab dem 1. August 2025 ist nun das Gesetz in Kraft und das System hat Zeit, bis zum Schulanfang, 8. September, alles Wirklichkeit werden zu lassen. Die konkreten Folgen kann noch niemand abschätzen. Ob daraus ein modernes Schulwesen entstehen wird oder nur die Sparflamme geschürt wird bleibt abzuwarten.
Ein Präsident stirbt – eine Allianz zerbricht?
Wie am Beispiel der Reformmaßnahmen im Bildungswesen zu sehen ist, kann man noch nicht wirklich abschätzen, welche Folgen die in den angekündigten Maßnahmenpaketen zwei und drei enthaltenen Reformen mit sich bringen werden. Mit Sicherheit kann man aber sagen, dass bei deren Inkrafttreten Rumänien sicher nicht im Urlaub sein wird. Mit einer Verstärkung der sozialen Unzufriedenheit ist zu rechnen. Diese wird mittels Kampagnen auch sicher von den Reformbetroffenen geschürt werden – teilweise geschieht dieses schon. Und dann wird sich das Volk nach Schuldigen umschauen. Wie Ratten auf dem sinkenden Schiff suchen die Sozialdemokraten (PSD) jede nur halboffene Türe, um die Regierungsallianz zu verlassen. In einer letzten Hilfegeste bot Altpräsident Ion Iliescu durch seinen Tod einen Vorwand dafür.
Der Tod von Ion Iliescu am 5. August im Alter von 95 Jahren hat in Rumänien eine heftige gesellschaftliche und politische Debatte ausgelöst. Als erster frei gewählter Präsident nach dem Fall des Kommunismus bleibt Iliescu eine zutiefst polarisierende Figur: Für viele war er ein Stabilitätsgarant in der Übergangszeit, für genau so viele aber ein Symbol für die Fortsetzung autoritärer Strukturen unter demokratischem Deckmantel. Am Tag seiner Beerdigung, dem 7. August – einem von der Regierung ausgerufenen nationalen Trauertag – wurde deutlich, wie gespalten das Land in Hinsicht auf sein Erbe ist. Während Vertreter der PSD, die Iliescu gegründet hatte, ihn mit militärischen Ehren und religiösem Zeremoniell verabschiedeten, verweigerten die Koalitionspartner (fast) geschlossen jegliche Teilnahme und kritisierten die Ehrung scharf. Auch Präsident Nicușor Dan blieb der Zeremonie fern und erklärte lediglich, „die Geschichte wird über Ion Iliescu urteilen“. Die von der PSD erwarteten Menschenmassen blieben, da sie wahrscheinlich in Urlaub waren, der Zeremonien fern. Die PSD kann nicht aus der Regierungsallianz austreten, ohne als reformfeindlich eingestuft zu werden. So ergriff sie die Gelegenheit beim Schopf und verwandelte die Haltung der Koalitionspartnern gegenüber Iliescus Beerdigungszeremonien in Majestätsbeleidigung und sucht unter diesem Vorwand, ihre Sachen zu packen. Ob dahinter nur Wahlkalkül oder ein erster Versuch steckt, die Bolojan-Regierung zu entmachten, wird sich noch zeigen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Chance, die in der jetzigen Krise steckt, den rumänischen Staat umzugestalten und ihn nachhaltig strukturell abzusichern nicht, wie so oft, aus politischem Überlebenstrieb, vergeudet wird. Zugleich dürfte sich die Regierung die notwendige Zeit nehmen, die noch bevorstehenden Reformen so gut zu durchdenken, dass sie nicht als über das Knie gebrochen erscheinen. Dazu muss aber in erster Linie klarer kommuniziert werden und dieses dann, wenn es auch tatsächlich etwas zu sagen gibt. Nur so kann sich die Regierung die noch vorhandene Unterstützung seitens der Bevölkerung sichern. Desgleichen darf aber die Regierung auch nicht vergessen, dass die Urlaubsstimmung nicht ein Dauerzustand ist.