Carl Bosch war einer der wichtigsten Industriellen in Deutschland und einer der einflussreichsten Chemiker weltweit. Seine Entwicklung hat geholfen, Dünger in großen Mengen zu produzieren und Hungersnöte zu verhindern. In Chile leitete das Verfahren allerdings das Ende der Salpeter-Ära und eine Krise der Industrie ein. Der Chemiker und Nobelpreisträger war als BASF-Vorstandsvorsitzender und Gründer der IG Farben enorm erfolgreich, fiel aber am Ende seines Lebens, von den Nazis zur Persona non grata erklärt, in eine tiefe Depression.
Carl Bosch wurde am 27. August 1874 in Köln als erstes von sieben Kindern des Großhändlers für Gas- und Wasserinstallationstechnik Carl Friedrich Alexander Bosch und Paula Bosch geboren. Der Industrielle Robert Bosch (1861-1942) war sein Onkel, der 1886 in Stuttgart die „Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik“ gegründet hatte, die 1937 in die Robert Bosch GmbH umgewandelt wurde.
Carl zeigte schon früh eine Begabung für Naturwissenschaften und Technik. Er arbeitete als Schlosser und Feinmechaniker in der Firma seines Vaters und erhielt dort eine entsprechende Ausbildung. Besonders interessierte ihn die Chemie: Im Hinterhof baute er ein eigenes chemisches Labor.
Mit 18 Jahren schloss er die naturwissenschaftlich-technisch orientierte Oberrealschule in Köln ab. Anschließend vertiefte der junge Mann bei einer einjährigen Ausbildung in der Marienhütte zu Kotzenau in Schlesien seine Kenntnisse in Metallurgie und lernte handwerkliche Fähigkeiten in der Formerei, Schlosserei und Modelltischlerei. Von 1894 bis 1896 studierte er Maschinenbau und Hüttenkunde an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg.
Danach studierte er Chemie in Leipzig, wo er 1898 mit einer Arbeit zur organischen Chemie promovierte. Der in Leipzig lehrende Professor Wilhelm Ostwald, einer der Begründer der Physikalischen Chemie, förderte Boschs Interesse an der Thermodynamik und der Reaktionskinetik, wichtige Grundlagen der Technischen Chemie. Boschs Eintritt in die Badische Anilin- und Soda-Fabrik (BASF) in Ludwigshafen 1899 auf Empfehlung seines Doktorvaters Johannes Wislicenus hin war der Anfang einer steilen Karriere. Er stieg vom wissenschaftlichen Mitarbeiter zum Vorstandsvorsitzenden der BASF auf.
1902 heiratetet er Elisa Schilbach und bezog mit ihr in Ludwigshafen eine Mietwohnung. Ab 1911 lebte die inzwischen vierköpfige Familie in einem werkseigenen Haus der BASF.
Das Haber-Bosch-Verfahren
Durch das rasante Anwachsen der Weltbevölkerung im 19. Jahrhundert konnte der damit einhergehende große Bedarf an Stickstoffdünger vor allem aus Chile nicht gedeckt werden. Darauf wies bereits der britische Chemiker William Crookes 1898 in einer viel beachteten Rede hin und nannte die technische Umsetzung eine der großen Herausforderungen für die Chemiker. Der unter dem Schlagwort „Brot aus Luft“ bekannte Versuch der Bindung des Luftstickstoffs in einer von Pflanzen aufnahmefähigen Chemikalie avancierte daraufhin zu einem der Schwerpunkte der chemischen Forschung der damaligen Zeit.
Der Chemiker Fritz Haber hatte um 1907 ein Verfahren zur Synthese von Ammoniak aus Luftstickstoff entwickelt. Diese funktionierte allerdings nur im Labor und lieferte nur geringe Mengen Ammoniak. Carl Bosch war aber überzeugt davon, dass eine industrielle Produktion damit möglich sei und setzte sich bei seiner Firmenleitung für Habers Verfahren ein. Dazu musste er zwei Probleme lösen: Es waren für das Verfahren sowohl hohe Temperaturen (etwa 500 Grad Celsius) als auch ein hoher Druck (circa 200 bar) erforderlich. Jahre lang experimentierte Bosch mit rund 20.000 verschiedenen Substanzen. Schließlich wurde reines Eisen mit einem Anteil Tonerde als günstigster Katalysator gefunden. Doch bald stellte sich heraus, dass die Reaktionsgefäße aus Stahl durch die Einwirkung des Wasserstoffs ihre Festigkeit verloren und platzten. Die Lösung brachten schließlich die sogenannten Bosch-Löcher, die fortan in die Reaktionsgefäße eingearbeitet wurden. Durch diese kleinen Bohrungen konnte diffundierender Wasserstoff entweichen, was dazu führte, dass die Gefäße standhielten. Damit wurde das neue Haber-Bosch-Verfahren praktikabel.
Nun betrieb er den Aufbau der ersten Ammoniakfabrik der BASF in Ludwigshafen-Oppau. Bis 1913 schuf er die Voraussetzungen für die großindustrielle Produktion von synthetisch hergestelltem Ammoniak auf Grundlage des Haber-Bosch-Verfahrens. Der Wasserstoff wurde aus Wasserdampf erzeugt, der über glühende Kohlen geleitet wurde. Dabei entstanden neben Kohlenmonoxid die benötigten großen Mengen an Wasserstoff. Durch Hochdruckpumpen wurden Luftstickstoff und Wasserstoff komprimiert und in den Reaktorrohren entstand Ammoniak, das zu Stickstoffsalzen weiterverarbeitet werden konnte.
Die deutsche Regierung profitierte nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Erste davon: Die Alliierten hatten Deutschland von der Versorgung mit Salpeter aus Chile abgeschnitten und ohne Salpeter konnte keine Munition produziert werden. Bosch – er war inzwischen zum Direktor der BASF avanciert – gab der Obersten Heeresleitung des Deutschen Reichs das sogenannte Salpeter-Versprechen. Der Vertrag sah Abnahmegarantien und ein Darlehen von 35 Millionen Mark vor, sodass der Bau entsprechender Anlagen ermöglicht wurde. 1915 wurde der Vertrag auch von weiteren Chemieunternehmen unterzeichnet. Damit wurden die bisherigen Importe aus Chile, die sich 1913 noch auf 800.000 Tonnen im Wert von 120 Millionen Mark belaufen hatten, zunächst teilweise kompensiert.
Bosch stieg 1916 zum Vorstandmitglied der BASF auf und betrieb im folgenden Jahr den Aufbau der Ammoniakfabrik in Leuna. Dieses Werk produzierte bis Kriegsende ausreichende Mengen an Ammoniak für das Militär.
Diese Entwicklung machte Stickstoffdünger zum Massenprodukt. Eine Revolution für die Landwirtschaft und Grundlage für hohe Erträge in der Agrarindustrie war die Folge und ermöglichte, die rasant wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Bosch war es auch, der 1914 die landwirtschaftliche Versuchsanstalt Limburgerhof gründete. Hier entwickelte die BASF neue Produkte für die Landwirtschaft und überzeugte die Landwirte von den Vorteilen und dem Einsatz des künstlichen Düngers.
Fritz Haber erhielt für die Entwicklung der Ammoniaksynthese bereits 1919 den Nobelpreis für Chemie, Carl Bosch musste auf diese Ehrung bis 1931 warten. Am grundlegenden technischen Verfahren von Haber und Bosch aber hat sich bis heute kaum etwas geändert.
Galionsfigur der deutschen Chemieindustrie
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nahm Bosch als Wirtschaftsberater 1919 an den Waffenstillstandsverhandlungen von Versailles teil. Er sollte die deutsche Chemieindustrie vor einer Zerstörung bewahren. Bosch wandte sich gegen die Beschlagnahmung deutscher Patente und Anlagen durch die Alliierten. Während der Verhandlungen reiste er nach Ludwigshafen, wo er zum Vorstandsvorsitzenden der BASF gewählt wurde.
Zurück in Versailles erreichte er schließlich den Fortbestand der deutschen Farbstoff- und Ammoniakanlagen durch die Übergabe der Haber-Bosch-Technologie und der Zusammenarbeit der I.G. Farben mit dem französischen Farbstoffmarkt. Bosch bekam auch die Zusage, dass 50 Prozent der von Frankreich 1914 beschlagnahmten Fabriken den Deutschen zurückgegeben würden. Bosch verwies auf die Notwendigkeit der Anlagen zur Gewinnung von Stickstoffdüngern, um eine Hungersnot zu vermeiden.
Eine verheerende Explosion im September 1921 im Oppauer Stickstoffwerk kostete 559 Mensch das Leben und verletzte mehr als 2000. Die Explosion hatte auch zahlreiche Wohnstätten in Oppau zerstört. In nur drei Monaten wurde das Werk wiedererrichtet.
Die Familie von Carl Bosch zog 1923 in die „Villa Bosch“ in Heidelberg, die die BASF in den Jahren 1921 und 1922 für ihn errichten ließ. Sie steht heute unter Denkmalschutz. Dort brachte er in einem separaten Haus seine umfangreichen botanischen, zoologischen und mineralogischen Sammlungen sowie eine Sternwarte unter. In einer eigenen Werkstatt betätigte er sich auch als Schlosser, Tischler, Dreher, Feinmechaniker und Glasbläser.
1925 wurde er Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten Interessensgemeinschaft Farbindustrie AG (I.G. Farben AG). Er hatte den Zusammenschluss von acht Chemiefirmen durchgesetzt, das damals größte Chemieunternehmen der Welt.
1935 wechselte er in den Aufsichtsrat. Neben seinen umfassenden Management-Aufgaben entwickelte Bosch weitere katalytische Hochdruckverfahren, die unter anderem in der künstlichen Gewinnung von Benzin durch Kohlehydrierung mündeten.
Der Unternehmer und das Nazi-Regime
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten sah Bosch zunächst positiv, da er sich eine Kooperation Hitlers für sein Kohlehydrierungsverfahren erhoffte. Da das NS-Regime von Rohstoffen am Weltmarkt unabhängig werden wollte, zeigte sich Hitler am Herstellungsverfahren für synthetischen Treibstoff interessiert. Unter Boschs Leitung hatte die IG Farben noch im Februar 1933 der NSDAP eine Spende von 400.000 Reichsmark zukommen lassen.
Doch bald wurde deutlich, dass die Interessen von Bosch und Hitler auseinandergingen. Bosch versuchte vergeblich, Hitler in einem persönlichen Gespräch von seinen Bedenken bezüglich einer zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Isolierung Deutschlands zu überzeugen. Auch die judenfeindliche Politik stieß bei Bosch auf Ablehnung. Er setzte sich für jüdische Kollegen ein. Prominentestes Beispiel war der Nobelpreisträger Fritz Haber, der 1933 alle seine Funktionen in der deutschen Wissenschaft verlor und 1934 im Exil starb.
1935 berief man Bosch zum Vorsitzenden des Aufsichts- und Verwaltungsrats der I. G. Farben. Das Kartellunternehmen kontrollierte während des Zweiten Weltkriegs rund 900 chemische Fabriken in Deutschland und in den besetzten Gebieten.
Bosch betätigte sich vielfach als Förderer und Stifter. 1930 unterstützte er über die Imprimatur GmbH die liberale Frankfurter Zeitung finanziell und ermöglichte auch die Gründung des Zoos von Heidelberg. 1937 wurde er als Nachfolger Max Plancks Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die 1960 aufgelöst wurde und in die 1948 gegründete Max-Planck-Gesellschaft überging.
Zunehmend wurde er vom NS-Regime kritisch betrachtet und schließlich zur Persona non grata erklärt. Nach der Abgabe seines Chefpostens bei der IG-Farben verfiel er in eine tiefe Depression; 1939 unternahm er einen Selbstmordversuch. Seine letzte Reise führte ihn im Winter 1939/40 nach Sizilien. Er starb am 26. April 1940 in Heidelberg und wurde auf dem Bergfriedhof Heidelberg in der Familiengrabanlage beigesetzt.