„Der fliegende Holländer“ im Römersteinbruch

Die größte Freiluftarena Europas, mit ihren senkrechten Felsformationen eine fabelhafte Kulisse für die Oper

Die Opernbesucher treffen ein | Fotos: Mag. Ignazius Schmid

Dalands Matrosen rudern an Land.

Das Geisterschiff des Fliegenden Holländers erscheint.

Die Mädchen der Spinnstube beobachten Dalands Matrosen.

Senta träumt sich hinaus ins Meer zum Fliegenden Holländer.

Senta erklärt dem Fliegenden Holländer ihre Liebe.

Die Sage vom fliegenden Holländer ist so recht dazu angetan, die Menschen in ihren Bann zu ziehen: geheimnisvoll, gruselig, romantisch, sehnsüchtig und gefühlvoll, von verzweifelt bis hoffnungsvoll… Diese Gefühle sind gut nachzuvollziehen, denn jeder hat das eine oder andere schon selbst erlebt.

Vor einigen hundert Jahren ist die Sage des Fliegenden Holländers entstanden und hat auch verschiedene Versionen. Einmal wird erzählt, der Fliegende Holländer wurde ursprünglich verflucht, weil er eine fromme Frau vergewaltigte, sie dann tötete und ins Meer warf. Eine andere Geschichte erzählt vom skrupellosen Kapitän Hendrik van der Decken, der im 17. Jahrhundert für die niederländische ostindische Handelskompanie ein niederländisches Handelsschiff von Amsterdam nach Batavia in Indien segelte. In einem niederländischen Volksmärchen wird wiederum erzählt, dass ein Kapitän das Kap der Guten Hoffnung umrunden wollte und weil ihm dies einige Male misslang, rief er die Hilfe es Teufels an. Jetzt „fliegt“ er pfeilschnell durch die Fluten, aber zur Strafe wurde er dazu verflucht, unerlöst über die Weltmeere zu segeln. Andere Quellen erzählen von der ursprünglichen Aufgabe des fliegenden Holländers, die Seelen der im Meer Ertrunkenen einzusammeln und ins Jenseits zu bringen. Schriftliche Aufzeichnungen gibt es aus dem 18. Jahrhundert, und im 19. Jahrhundert wurde der Stoff vielfach aufgegriffen. Immer ist es aber der Fluch, nicht sterben zu können, keine Ruhe zu finden; und nur alle sieben Jahre kann er an Land gehen und versuchen, eine Frau zu finden, die ihn mit ihrer treuen Liebe erlöst. 

Richard Wagner greift ein

1837 wurde Richard Wagner durch Heinrich Heine auf den Stoff aufmerksam. Er war in Riga Musikdirektor, hatte Schulden, die er nicht bezahlen konnte, und flüchtete deshalb zusammen mit seiner Frau Minna per Schiff nach England. Die drei Wochen dauernde Überfahrt brachte das Schiff mehrmals in arge Bedrängnis, sodass Wagner am eigenen Leib erfuhr, was es heißt, auf stürmischer See „zum Segeln verflucht“ zu sein. Er lernte dabei auch einiges an Seemannsbräuchen kennen. Im Mai 1840 war die Geschichte des fliegenden Holländers geschrieben, war aber so wenig erfolgreich, dass die Oper nach vier Aufführungen wieder abgesetzt wurde. Erst als Wagners Oper „Rienzi“ in Dresden einen glänzenden Erfolg feierte, wurde auch die Uraufführung des „Fliegenden Holländers“ am 2. Januar 1843 dort wohlwollend aufgenommen. 

Die Geschichte: Kapitän Daland, Sentas Vater, hat in einem Seesturm kurz vor seinem norwegischen Heimathafen in Sandwike Zuflucht gesucht. Die Mannschaft ist erschöpft und merkt im Schlaf nicht, wie das riesige Schiff des fliegenden Holländers sich einen Weg in die Bucht bahnt, von dem sich dessen Kapitän an Land begibt. Er redet nicht viel, erzählt Daland nur von seinen Schätzen, die er in langen Jahren angehäuft hat. Das interessiert den geschäftstüchtigen Daland, der überlegt, seine Tochter könnte doch eine gute Frau des fremden Kapitäns werden. Dieser wiederum denkt, sie könnte vielleicht „sein Engel“ sein, der ihn erlöst. 

Daheim sitzt Senta mit ihren Freundinnen in der Spinnstube und denkt nur an den fliegenden Holländer. Vom Dach des Hauses hat sie ihre Sehnsucht in die Weite der See hinausgeträumt und möchte ihn mit ihrer Liebe erlösen. Erik, ihre Jugendliebe, umwirbt Senta und ist entsetzt, dass sie, statt seine Frau zu werden, die Erlöserin des Holländers sein will. 

Als Daland den Holländer ins Haus bringt, ist sie wie gebannt von ihm, und beide fühlen, dass sie füreinander bestimmt sind. Erik bedrängt Senta noch-mals, zu ihm zurückzukehren, stößt aber auf taube Ohren. Der Holländer hört das Gespräch und glaubt sich hintergangen. Senta beteuert, ihm bis zum Tod treu zu sein, und stürzt sich von der Klippe ins Meer – wodurch das Schiff verschwindet und die Seele des Ruhelosen endlich erlöst ist. 

Der Schluss ist bei verschiedenen Aufführungen verschieden interpretiert worden: einmal ist es der Holländer, der stirbt, ein andermal stürzen beide ins Meer und schweben glückselig in den Himmel; und im Römersteinbruch ist es Senta, die sich zu seiner Erlösung als brennende Fackel in den Tod stürzt.

Eine fabelhafte Kulisse

Der Römersteinbruch St. Margarethen im österreichischen Burgenland ist kein unbekanntes Areal. Schon die Römer haben von hier ihr Baumaterial bezogen; für den Wiener Stephansdom, das Wiener Rathaus und andere namhafte Bauten  wurde hier Kalk-Sandstein gebrochen. In den 1950er Jahren gründete Karl Prantl das Freiluft-Bildhauer-Symposium, wo die Künstler vor Ort gebrochenen Sandstein zu Kunstwerken bearbeiten. Seit 1961 gibt es alle fünf Jahre Passionsspiele und seit 1996 im Juli und August jährlich Opernfestspiele. Der Römersteinbruch, ein Welterbe-Naturjuwel und mit 7000 Quadratmetern Fläche die größte Freiluftarena Europas, ist mit seinen senkrechten Felsformationen eine fabelhafte Kulisse, die für den Fliegenden Holländer nur in Sturm und Meer verwandelt werden musste. Haushohe Wogen bäumten sich imposant im Vordergrund auf, wodurch alles andere räumlich in den Hintergrund rückte und Sentas Haus durch die Distanz zum Puppenhaus wurde. Verschiedene Details wie etwa die Spinnstube wurden zwecks besserer Wahrnehmbarkeit an die danebenliegende Felswand projiziert – als Gag hochgelobt, aber auch nicht jedermanns Wunsch, der live in der Oper sitzt, nebenbei eine Projektion zu sehen. Für die Boote der Matrosen und das einfahrende schaurige Geisterschiff mit schwarzen Masten und blutroten Segeln ist das stürmische Meer eine extra für sie geschaffene Szenerie, jedoch schwierig für die Personenregie; und für die Sänger im Vordergrund etwas apart, da sie bis zu den Knien im Kulissenwasser waten, auch wenn ihr Part weit weg vom Meer spielt: eine schwierig zu lösende logische Lücke im dramatischen, kraftvoll-farbigen Bühnenbild von Momme Hinrichs. Die 9000 Arbeitsstunden und 6500 Maschinenstunden haben sich aber wahrhaft gelohnt … 

Die Inszenierung von Philipp Krenn konnte sich sehen lassen, das schaurig-romantische Drama kam durch die erstklassigen Sänger voll zur Geltung: Den Holländer gab der international gefeierte, aus Tiflis gebürtige Bariton George Gagnidze, Elisabeth Teige, Opernsängerin aus Norwegen und eine der gefragtesten Sopranistinnen, übernahm die Senta, der chinesische Bass Liang Li, Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart, sang den Daland, der amerikanische, zum Frankfurter Ensemble zählende Tenor AJ Glueckert den Erik, und der ebenfalls aus China stammende Tenor Jinxu Xiahou, Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, gab Dalands Steuermann; Sentas Freundin Mary verkörperte die aus Bukarest gebürtige Roxana Constantinescu (Alt) – allesamt großartige Stimmen mit markanter Ausdruckskraft. 

Der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Walter Zeh und Patrick Lange als Dirigent des Piedra Festivalorchesters taten das Übrige für zusätzliche Gänsehautmomente bei den 5000 Besuchern (insgesamt in der Saison sind es etwa 200.000). Die wichtigsten Chorpartien sind der stürmische Chor der Holländer-Mannschaft im 1. Akt, der Chor der norwegischen Matrosen im 2. Akt und der Chor der Mädchen, der Sentas Ballade begleitet.

Die Premiere der ersten Wagner-Oper im Steinbruch wurde von Intendant Daniel Serafin begeistert eröffnet und von namhaften Persönlichkeiten wie Landeshauptmann Dr. Hanspeter Doskozil und Dr. Stefan Ottrubay beehrt. Ottrubay ist der Neffe der letzten Fürstin, Melinda Esterhazy, der es ein Anliegen war, das exorbitante Esterhazy-Vermögen der Familie in Stiftungen vor Zersplitterung abzusichern. Er ist Verwalter des Stiftungsbesitzes im Burgenland und Aufsichtsratsvorsitzender. Der Römersteinbruch St. Margarethen gehört mit zur Privatstiftung Esterhazy. Ottrubay betonte seine Intention, das Burgenland auf seinem Weg als lebendiges Kulturland mit internationaler Ausstrahlung zu stärken – etwas, das er ohnedies in großzügigster Weise bereits seit vielen Jahren verwirklicht. Den Fliegenden Holländer sah Richard Wagner als seine erste vollwertige Oper an. Große menschliche Gefühle, historische und kulturelle Emotionen verbinden sich hier zu einem großen Ganzen, das nicht von ungefähr den großen Besucheransturm im Römersteinbruch auslöst.