Bald ist es ein Jahr, seit die Sozialdemokratische Partei (PSD) die Parlamentswahlen gewinnen konnte und in Zusammenarbeit mit der Allianz der Demokraten und Liberalen (ALDE) dieses Land regiert. Ist das richtig? Zweifelsohne. Aber richtiger ist: Bald ist es ein Jahr, seit der vorbestrafte Liviu Dragnea das Sagen in diesem Land hat. Ihm hilft dabei der strafrechtlich untersuchte ehemalige Premierminister Călin Popescu Tăriceanu, Vorsitzender der Kleinstpartei ALDE. Seit zehn Monaten versuchen Dragnea und Tăriceanu, das Volk zu überzeugen, dass sie sich im Krieg befinden mit all jenen, die angeblich dem Volke nach dem Leben trachten. Das Rezept ist altbewährt, nur sind es heuer nicht unbedingt ausländische Geheimdienste, die es zu bekämpfen gilt, sondern ausländische Banken, ausbeutende Großkonzerne, die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, die unabhängigen Richter, der Inlandsgeheimdienst, Staatspräsident Klaus Johannis und viele andere.
Um sich in diesem unermüdlichen Kampf für das Wohl des Volkes behaupten zu können, haben die beiden Herren eine Regierung eingesetzt, die alle Mittel dafür aufbringt, die hehren Ziele zu erreichen: das Wohlergehen der Rumänen und die persönliche Befreiung des Großbojaren Dragnea aus den Zwängen der bösen Justiz. In umgekehrter Reihenfolge.
Schade nur, dass seit nun mehr drei Monaten sich ein Mann im Premierministersessel ausruht, der auf den ersten Eindruck nicht weiß, von wo er kommt und wohin er geht und dabei Ansichten an den Tag legt, die nicht einmal sein Vorgänger der 1990er Jahre, der altehrwürdige Nicolae Văcăroiu, zu vertreten vermochte. Wie zum Beispiel jene, dass er sich generell vor Banken hüte, insbesondere vor den ausländischen, und deswegen auch keine Girokarte brauche. Täuscht der erste Eindruck? Wohl kaum, denn man kann aufmerksam hinschauen, so lange man Lust hat. Leicht ersichtlich ist, was die Regierung will, wie sie es aber erreichen soll, weiß keiner. Keiner der Minister zumindest, weder der tolpatschige Finanzminister Ionu] Mi{a, noch die vorlaute Arbeitsministerin Lia Olgu]a Vasilescu oder der unbedarfte Bildungsminister Liviu Pop.
Die Geschichte ist im Grunde einfach: Dragnea und Kumpanen haben vor einem Jahr in klaren, einfachen Worten dem arbeitenden Volk erklärt, dass sie Löhne und Renten erhöhen werden, dass sie Vergünstigungen, Verbilligungen, Privilegien und dergleichen am laufenden Band verabschieden werden, dass es dafür genügend Ressourcen geben wird und wenn sie es doch nicht geben würde, werde man schon wissen, wo diese herzuholen seien. So einfach war das. Die Nation der Rentensuchenden (rent seekers, wie das im Fachenglisch heißt), die die Rumänen mit dem Machtantritt der Phanarioten zu Beginn des 18. Jahrhunderts geworden sind, verstand die Botschaft und wählte brav die PSD und die ALDE. Dabei half auch die peinliche PNL, die, man muss es sagen, mit dem neuen Vorsitzenden Ludovic Orban im besten Falle gleich peinlich geblieben ist. Und natürlich auch all jene, die damals zu Hause geblieben sind und nur Ende Januar 2017 bemerkt haben, dass Nichtwählen zwar auch eine Option ist, aber eine denkbar schlechte.
Und jetzt? Jetzt versuchen Dragnea, Tăriceanu & Co. ihre Versprechen zu erfüllen. Nur geht das in einer halbwegs funktionierenden Marktwirtschaft, die größtenteils vom ausländischen Kapital abhängt, nicht so, wie es sich diese Herren vorgestellt haben, per Eilverordnung oder Dringlichkeitserlass. Weil sie von der Wirtschaft weniger verstehen als so mancher ihrer Vorgänger und weil der gewaltige zentrale Verwaltungsapparat sie kaum unterstützen kann, aus mangelndem Wissen, Bequemlichkeit und anderen, teilweise strafrechtlich relevanten Interessen, regieren sie auf gut Glück.
Die Finanzpolitik des Tudose-Kabinetts ist das beste Beispiel dafür, von der Neuregelung der Mehrwertsteuer bis hin zu den Sozialbeiträgen, dem Bruttolohn und der Treibstoff-Verbrauchssteuer. Man weiß nie, ob eine Maßnahme doch noch durchgeführt wird, ob eine endlos diskutierte Reform doch noch in Kraft treten wird, ob es Durchführungsbestimmungen gibt oder nicht, ob nicht in allerletzter Minute Entwürfe abgeändert, zurückgezogen, endgültig begraben werden. Selbst die Veröffentlichung eines Gesetzes oder einer Regierungsverordnung im Amtsblatt bietet keine entsprechende Garantie mehr, denn nächste Woche schon kann eine neue Regierungsverordnung die alte außer Kraft setzen usw. Das Wirrwarr in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ist nicht zu übersehen, doch ist es nur eine Facette des Kampfes gegen das ausländische Kapital? Vielleicht. Viel mehr aber scheint es mir, dass die Hauptursachen für die gegenwärtige Lage in der Unfähigkeit der Regierenden und in ihrer schieren Not, die Staatskasse zu füllen, zu suchen sind.
Man blicke aber auch auf die Bildungspolitik. Und natürlich auf die vielleicht beste (und peinlichste) Lachnummer der Dragnea-Tudose-Regierung: Minister Pop. Der Mann kann keinen richtigen Satz auf Rumänisch hinkriegen, streitet aber hemmungslos mit Größen wie Andrei Pleşu oder Cristian Tudor Popescu, glaubt in Popescus Aussagen im Rundfunk Sprachfehler zu finden und wirft Pleşu vor, er habe während seiner Ministerzeit kein gutes Beispiel abgegeben. Aber das sind Petitessen im Vergleich zum Durcheinander, das er und sein Ministerium an Rumäniens sowieso arg leidenden Schulen durch die beabsichtigte Wiedereinführung von einheitlichen Lehrbüchern verursacht haben.
Etliche Beispiele aus der Wirtschaftspolitik, dem Infrastrukturausbau, der Justiz, der Landwirtschaft und zahlreicher anderer Bereiche könnten folgen. Seit drei Monaten im Amt, beweist das Tudose-Kabinett, das viele der Minister der kurzlebigen Vorgängerregierung unter dem glücklosen Sorin Grindeanu übernommen hat, dass es das Land nicht regieren kann. Und im Grunde auch nicht regieren will. Es geht den Regierungsparteien vornehmlich um die Übernahme der Kontrolle über Ressourcen, die Einschränkung der DNA, die Einstellung des Antikorruptionskampfes und dergleichen. Beweise in diesem Sinne liefert das Kabinett im Wochen- wenn nicht im Tagesrhythmus.
Und während die traditionelle PSD- und ALDE-Wählerschaft sich mit all dem zufrieden zeigt und sie wann immer mit Freude wiederwählen würde, gärt es in anderen Teilen der Gesellschaft. In der Justiz zum Beispiel, wo der offene Brief der Großwardeiner Richterin Florica Roman an ihre Kollegen, die bizarre Antwort des ehemaligen CSM-Mitglieds und Richters Cristi Danileţ und die darauffolgende Replik von sieben Richterinnen, die auf gravierende Mängel hinweisen, die Gemüter erhitzen. Ein Kampf innerhalb des Systems, würde man meinen. Aber auch dieser ist richtungweisend für die zahlreichen Konflikte in der Gesellschaft, für das mangelhafte Funktionieren so vieler Bereiche, im Grunde fast aller, die der Staat organisiert und die unter seiner Obhut stehen. Die unmittelbare Folge? Trotz des Wirtschaftswachstums, trotz des erhöhten Mindestlohns, aller vermeintlichen Erfolge der Regierung zum Trotz, wandert das Volk ab und das Land leert sich im erschreckenden Tempo, die Auswanderungstendenz hat sich in den jüngsten Jahren ohne Zweifel verfestigt. 200.000 haben allein 2016 Rumänien den Rücken gekehrt. 200.000 potenzielle Nicht-PSD-Wähler also. In der Zentrale der Sozialdemokratischen Partei auf dem Bukarester Kiseleff-Boulevard dürften auch heuer die Korken knallen.