In der Werkstatt ist es, wie man es sich bei einem Bohemien vorstellen kann – und doch ein bisschen auch für die Augen des Touristen gedacht: Vor der Staffelei lugen Pinsel aus einer Dose hervor, die Farben liegen in einer künstlerischen Unordnung, ebenso die Buntkreide, überall an den Wänden hängen Bilder mit Mona Lisa, einmal anders, jedes Mal anders: mal dick, mal dünn, mal so gekleidet, mal andersrum, die Obsession des Artisten für die große Dame der Renaissance-Leinwand ist offensichtlich.
Diese Mona Lisa bietet sich zum Verkauf an und kann – falls der Besucher auf diese Art Malerei erpicht ist und dazu noch einen Schuss Humor hat, um das Gemälde einmal anders zu genießen – auch erstanden werden. Die Preise sind in Dinar und in Euro ausgeschildert, damit der Käufer nicht noch zum Rechner greifen muss.
Auch beim Nachbarn des Künstlers, ebenfalls Artist, sieht es ähnlich aus, er kreiert jedoch pastellfarbene abstrakte Bilder, die in Öl auf Leinwand und in allen möglichen Größen angeboten werden. Die Werkstatt besteht aus einem großen Raum, der alles beinhaltet: Arbeits- und Besucherzimmer, wo man sich die Ware Kunst ansehen kann, eine Küchennische und – eine Holztreppe führt in die Halbetage – ein Ort unter dem Fenster, wo eine Matratze für Entspannung sorgt. Als wir dem Raum den Rücken wenden, haben wir dann in der weit geöffneten Tür das Bild vor uns, das dem Künstler Kraft und Inspiration für sein Schaffen gibt: Die Donau mit der Skyline von Neusatz/Novi Sad, von der Festung Peterwardein/Petrovaradin aus gesehen.
Die „Exit“-Festung
Und schon kommen wir über diesen Namen zu einem Datum, das Neusatz und Temeswar/Timișoara verbindet: 1716. Das war nämlich das Jahr, in dem Prinz Eugen von Savoyen sowohl die Schlacht bei Peterwardein als auch die um Temeswar gewonnen hat. Der Sieg über die Osmanen wird heute noch freudig erwähnt, hierzulande wie auch dort.
Die Festung Peterwardein war einst die größte in Europa, im Vauban-Stil errichtet. Sie ist ausgezeichnet erhalten und heute auch deshalb das Symbol von Neusatz, das sich das Örtchen Peterwardein mittlerweile einverleibt hat. In Neusatz wird einem erklärt, dass man an elf Stellen von der einen Seite der Donau zur anderen laufen kann, allerdings zählt der verdutzte Besucher nur drei Brücken, die anderen acht Passagen sind Tunnel, die unter der Donau schon vor Jahrhunderten gegraben wurden. Unter der Festung ist ein ganzer Komplex an Tunnel über mehrere Etagen errichtet, davon sind zirka zwei Kilometer restauriert und beleuchtet, so dass sie besucht werden können.
Jeden Herbst zum Exit-Festival, einem der bekanntesten Musikevents Europas, lebt die Festung so richtig auf. Mir gefallen die Schlösser am Zaun, die Initialen oder auch Vornamen von Liebenden tragen. Meine Begleiterin jedoch meint, dass dieses Gehabe ziemlich neu sei. Tatsächlich ist das älteste Schloss auf 2014 datiert - Zeichen der Liebe zwischen einem Stefan und seiner Ana. Die neueste Brücke über die Donau ist weiß, metallen, rundlich. Die Überreste der alten Brücke stehen nicht weit entfernt davon. Vor zwanzig Jahren flogen hier noch Bomben, auf den Betonpfeilern der Brückelassen sich heute Möwen in Schwärmen nieder. Auch ein Paar Wildenten und Schwäne gehören zur Fauna der Donau in Neusatz.
Junge, alte Stadt
Die Donau ist alles andere als sauber, dafür aber schnell und majestätisch an diesem Abschnitt. Die Stadt pulsiert größtenteils an ihr entlang: auf der einen Seite die Altstadt von Neusatz und der Universitätscampus, auf der anderen Seite die Festung Peterwardein. Hier, in der Festung, gehört die Stadt den Touristen, die, wie die Sprachen und Autonummern zeigen, vorwiegend aus dem östlichen Europa kommen: aus Ungarn, aus Kroatien, auch aus Rumänien. Dort, im Campus wie auch in der naheliegenden schmucken, gemütlichen Altstadt, besteht die Mehrheit aus jungen Einheimischen. Das Klangbild dort könnte man als Zwitschern bezeichnen: fröhlich, schnell, aber diskret. Die Stadt kennt kein Gekreische und Getöse.
Märzanfang: Die lieblichen Temperaturen, die Goldregenbüsche und die Vorfreude auf den Frühling haben Jung und Alt aus den Häusern gelockt. Die Terrassen sind voll, niemand will mehr drinnen sitzen. Meine Begleiterin erklärt, dass es vor zehn Jahren mit dem guten Kaffee begonnen hat, mittlerweile ist eine richtige Café-Kultur entstanden: Die italienischen Marken konkurrieren hart auf hart und die Serben haben sich zu großen Kaffeetrinkern entwickelt. „Wir trinken drei-viermal am Tag Kaffee, setzen uns jedes Mal in ein anderes Café. Wichtig ist, dass man zusammensitzt“, erklärt eine Serbin einer Mexikanerin, was es hier mit dem Kaffeetrinken auf sich hat.
Schmucke Altstadt zum Flanieren
An den Tischen und lustig-bunt renovierten alten Häusern vorbei geht man durch die Altstadt, von dem Platz, wo das Rathaus steht und ihm gegenüber die katholische Marienkirche, bis hin zum serbisch-orthodoxen Metropoliten-Palais und einer der größten orthodoxen Kirchen der Stadt. Diese wiederum ist nur wenige Schritte von der „Matica Srpska“ entfernt, der ältesten Bibliothek Serbiens, deren Besuch schon deshalb interessant sein kann, weil es dort auch einige Zeitungen aus Temeswar aus dem 19. Jahrhundert gibt. Die Altstadt ist gemütlich und besteht aus zahlreichen Gängen, nummeriert, bestimmt über 40. Es lohnt sich, sie zu erkunden, sind doch dort einige der besten Cafés und Restaurants zu entdecken.
Verlässt man die Altstadt, um in den Universitätscampus zu gelangen, so verabschiedet man sich von der vorwiegend barocken Architektur in die Bauwelt der 1960er Jahre. Und auch ein bisschen ins 21. Jahrhundert, wenn man sich das Rektoratsgebäude anschaut, aus Glas und mit Rollläden, die sich bei zu starker Sonne wie ein schwarzer Panzer um das Gebäude schließen. Im Park ringsum wirken die Bäume von Weitem betrachtet richtig exotisch: Sie scheinen grüne Bommel zu tragen, die sich aus der Nähe als Misteln entpuppen. Symbole der Liebe – und sicher genug für alle verliebten Studentenpaare.