Das Zibins-Gebirge als ein bequem hügeliger Landstrich, worin es weder steil noch steinig zur Sache geht? Ja, muss man ihm ehrlich einräumen. Seine unendlichen Hochweiden südlich der dörflichen Vorzeigeortschaften Jina, Poiana Sibiului, Tilișca, Săliște, Orlat und Gura Râului stehen schließlich nicht grundlos im ausgezeichneten Ruf der „Mărginimea Sibiului“, des Hermannstädter rumänischen Bergbauern- und Hirten-Umlands. Ausflügler aber, die nach einem guten Stück Widerstand unter den Schuhsohlen suchen, werden auf der Karte der „Munții Cindrel“ genauso fündig. Denn das knackige Zoodt-Tal mit seiner Handvoll markierter Wanderwege, als „Valea Sadului“ und südöstlicher Graben des Zibins-Gebirges bekannt, ist tief eingeschnitten.
Tags vorher während der Routenplanung auf papierener Landkarte merkt man es vielleicht nicht gleich, doch allerspätestens nach einer Stunde Fortkommens im Terrain macht sich der bewaldete Südhang vom Götzenberg/Vârful Măgura richtig deutlich in den Beinen und der Schwere des Rucksacks bemerkbar. 1307 Meter Gipfelhöhe sind zwar nicht die Welt und kaum der Rede wert, nur können die knapp 700 Meter Höhenunterschied von der Landstraße durch das Dorf Râu Sadului nicht einfach so flott im Eilschritt erledigt werden. Gemütliche Serpentinen nämlich zeigt die GPS-genaue Wanderkarte „Cindrel“ des Rumänien-Angebots vom österreichischen Verlag „Schubert & Franzke“ hier nicht an, sondern eher Pfade, die schnurstracks nach oben führen.
Und wo all die neuen Wegweiser im Zoodt-Tal, die kaum älter als die Covid-Pandemie sind, leider keine Wanderzeiten angeben, hilft wiederum die Karte von „Schubert & Franzke“ aus, und das sogar mit größtmöglicher Klarheit. Mindestens sechs Stunden erfordert eine Rundwanderung auf den Götzenberg von Süden her, Pausen zum Verschnaufen, Essen, Trinken und für den Panorama-Genuss nicht mitgerechnet. Mittlere oder größere Gefahren wie andernorts in den Karpaten bringt das keine mit sich, dafür aber eine gesunde Dosis Anstrengung, die nach Winterende und vor Sommeranfang weder über- noch unterfordert. Zum Einsteigen und Warmwerden sehr geeignet.
Sich Ziele wie den Götzenberg ungefähr Mitte April vorzuknöpfen, bedeutet noch dazu ein Wandern ohne Begegnung mit Schafherden und ihren Hunden – Abwehrgeräte mit Lichtsignal und einem Ton, der Menschen nichts anhaben kann, aufdringliche Vierbeiner aber auf Sicherheitsabstand zu halten vermag, müssen Wochen vor dem orthodoxen Osterfest folglich nicht in der Hosentasche bereitliegen. Wovon unterwegs dagegen niemals genug gebraucht werden kann, ist eine Resilienz vor dem Fakt, dass auch Gelände-Motorradfahrer und Offroad-Kleinfahrzeug-Sünder die „Măgura“ für sich entdeckt haben. Weil es leider möglich ist, ihren Gipfel auch ohne Absteigen von stinkenden Vehikeln zu erreichen. Von der Asphalt-Landstraße zwischen Heltau/Cisnădie und Sadu lockt ein Karren-Weg bis ganz nach oben.
Nicht nur üble Geruchsfahnen, sondern auch völlig unbestellten Lärm entfachen diese Fahrzeuge, und dass trotz ihnen hoch über dem Zoodt-Tal auch Falken-Schreie zu hören sind, spricht umso mehr für die intakten Wälder des Zoodt-Tals. Nach Kahlschlägen hält man vergeblich Ausschau. Der Weitblick vom Götzenberg ist so grün, wie er nur grün sein kann. Und sein östlicher Vorgipfel in fünf Minuten Gehweite ein Glück für alle, die sich in Anwesenheit krachender Störfahrzeuge und ihrer Besitzer, die sich ausgerechnet hier auf dem höchsten Platz weit und breit nicht vom Fleck rühren, keine Mittagspause antun wollen. Selbst wenn ihre Motoren gerade mal weder laufen, aufheulen, Staub aufwirbeln noch Abgase in die Luft schleudern, möchte man nichts mit ihnen teilen müssen. Anders da schon die Mountainbike-Fahrer mit Elektro-Batterie-Unterstützung für die Bergauf-Passagen: man hört sie nicht, sie riechen nicht, weil ohne Verbrennungsmotor, und wiederaufladbar sind ihre schönen Teile außerdem.
Schwieriger verhält sich die Sache mit einem Dach über dem Kopf für dringend Schutz suchende Wanderer, wenn auch ein Unwetter am Götzenberg nicht genauso kritisch wie im Hochgebirge ist. Weit bis zum nächstmöglichen Abstieg hat man es auf dem Rücken über dem Zoodt-Taleingang nirgendwo. Ein Unterschlupf fürs Abwarten vom ersten Starkregen allerdings kann jederzeit nützen und ist auf der „Măgura“ vom Zibins-Gebirge auch in zwei etwa gleichgroßen Varianten zu haben, die physisch nur eineinhalb Stunden Fußweg, kulturell aber um Welten auseinanderliegen: die Götzenberg- und die auch auf Rumänisch unter ihrem deutschen Namen geschätzte Rosengarten-Notunterkunft. Beide sind in der Karte von „Schubert & Franzke“ eingezeichnet, doch wer sie einmal unbedingt brauchen sollte, dürfte hier wie dort mehr schlecht als recht aufgehoben sein. Das Blockhaus am Nordhang zwischen Götzenberg und Vorgipfel wird bald nicht einmal mehr der gute Wille zusammenhalten, wo es – typisch Rumänien, oder? – allen und niemandem zugleich gehört. Kenner der Szene, die zum ersten Mal hinkommen und mit ihrem Zeigefinger die Karte absuchen, wissen sofort, was die Info „Fostul Refugiu M²gura“ bedeuten muss. Einwandfrei das infrastrukturelle Bild der Rosengarten-Notunterkunft, die als Einsatz-Behausung des Bergrettungsdienstes Salvamont vor ganz wenigen Jahren sauber renoviert wurde, nur leider genau deshalb auch meist verschlossen ist. Oder doch eher zum Glück, um nicht ein Opfer unsachgemäßer Benutzung zu werden? Bei derart viel möglicher Beschädigung eine nachvollziehbare Taktik.
Nur widerwillig ist man andererseits bereit, wandernd einzusehen, dass die Tage der Bergbauern-Kultur im Zoodt-Tal wahrscheinlich gezählt sind. Die aufgelassenen Sennhütten, wovon es mehr als nur eine einzige gibt, sprechen ihn deutlich aus, den Verzicht auf genau das, was an der Gegend hier seit Gedenken spezifisch war und zum Teil noch immer ist, es wohl aber irgendwann nicht mehr sein wird. Wenn einheimische Erwachsenen-Generationen, denen mindestens noch die Hälfte des Lebens bevorsteht, ihren Wohlstand nicht mehr auf Melkschemeln suchen, sondern auf geländetauglichen Vehikeln mit zwei oder vier Rädern auf den Geschmack kommen, verändert sich auch die Landschaft. Ein gutes Argument, den Kontakt zu ihr nicht zu verlieren und regelmäßig vorbeizuschauen, statt nach längerem Ruhen der Wanderschuhe plötzlich unangenehm von Rückgängen überrascht zu werden. Wer sie rechtzeitig mitbekommt, ist leichter unterwegs.