Von Anfang an ist im Saal eine Energie spürbar, gespeist aus Erwartung und aus der Hoffnung auf ein nicht alltägliches Erlebnis, denn was da folgt, ist weder ein Rockkonzert, noch ein Abend in der Philharmonie. Dann spielt die Band, spielt das Intro zu David Guettas Hit „Dangerous“ – der übrigens zwar Elektropop-Musik ist, jedoch die Vorzüge des Sinfonischen als atmosphärischen Hintergrund nutzt – und schließlich kommt David Garrett durch die Seitentür in den Saal, um mit dem weichen Klang seiner Stradivari von 1716 das Thema des Hits, der sich dann stetig steigert, das Publikum mit auf eine faszinierende musikalische Entdeckungsreise zu nehmen. Und ja, er zieht alle in seinen Bann. Es steht weder der Klischee-Rocker im Lederoutfit, noch ein Musiker im Frack vor dem Publikum, sondern ein entspannt-lässiger Künstler in Jeans, T-Shirt und mit einer Long-Beanie -Mütze.
Die beiden Abende in der Bukarester Sala Palatului waren ausverkauft, denn David Garrett hat auch in Rumänien zahlreiche Fans. Das gilt sowohl für seinen Auftritt im Rahmen des George-Enescu-Festivals im vergangenen Jahr mit der Filarmonica della Scala und dem Dirigenten Riccardo Chailly mit Tschaikowskys Violinkonzert, als auch für seine Crossover-Konzerte. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass alle Altersgruppen im Saal vertreten sind: Kinder und Jugendliche genauso wie die mittlere und auch die ältere Generation. Sie alle finden irgendwo einen Anknüpfungspunkt, fühlen sich von der Musik und der Persönlichkeit David Garretts angesprochen.
Und auch der Künstler spricht seine Fans an. Er wendet sich mehrmals, ein paar Mal auch auf Rumänisch, an das Publikum, beschreibt einzelne Stücke, sagt was sie ihm bedeuten, stellt die Mittel vor, die er nutzt, um neue Effekte zu schaffen, wie beispielsweise das Pedalboard, mit dem er seine Violine im Coldplay-Hit „Viva la Vida“ multipliziert. Und, ja, er bleibt auch dann authentisch und sympathisch, wenn er wie letzten Freitag in Bukarest einmal die Musikstücke durcheinanderbringt und von seiner rechten Hand, dem wunderbaren Solo-Gitarristen und Produzenten Franck van der Heijden, korrigiert wird.
David Garrett verbreitet eine sagenhafte positive Energie, der Funke springt sofort über und ein Blick in den Saal offenbart, dass die Gesichter strahlen. Denn eins muss unbedingt unterstrichen werden: Hier steht ein herausragender Musiker, ein wunderbarer Geiger mit perfekter Intonation, herzerwärmendem Piano und einer sagenhaften Palette an Ausdrucksmöglichkeiten. Der klassisch ausgebildete David Garrett, der schon in jungen Jahren als Wunderkind beschrieben wurde, mit den großen Dirigenten und den besten Orchestern unserer Zeit aufgetreten ist und im klassischen Repertoire zu Hause ist, bleibt auch im Crossover-Programm durch und durch ein klassischer Violinist. Sein Programm zeigt, dass man diesem nicht die Zwänge der Schablone aufdrängen muss, dass Bach (Toccata), Beethoven (5. Sinfonie) und Vivaldi (Sommer) auch neben Filmmusik oder Hits von Michael Jackson („They Don’t Really Care About Us“), Prince („Purple Rain“), Led Zeppelin oder Rage Against the Machine gestellt werden können und so die ganze Vielfalt musikalischer Ausdrucksformen gezeigt werden kann. Ein besonderes Highlight wird dann eine Überraschung des Abends – die Bearbeitung des Hip-Hop-Hits „Lose Yourself“ des Rappers Eminem. Der Saal bebt. Buchstäblich.
Somit wird der Abend des 14. September 2018 in der Bukarester Sala Palatului zu einem Plädoyer für die Authentizität und die Experimentierfreude, dafür, an sich und an seinen Weg zu glauben, seinen Traum zu leben. Ein solches Plädoyer lockert puristisch-verkrampfte Ansichten und öffnet neue Perspektiven auf die Musik als Ganzes, als Einheit, bei aller stilistischer Vielfalt. „I like to push boundaries“ (Ich mag es, Grenzen zu überwinden) gibt Garrett an diesem Abend in einer seiner Ansprachen an das Publikum zu. Sein Ansatz überzeugt und tut gut. Seine Leichtigkeit, die Freude mit der er spielt – immer ein Lächeln im Gesicht –, seine Virtuosität und die Intensität seines Spiels sind die eines Künstlers, der an seine Kunst glaubt und sie lebt. Danke, David.