Ein Sozialkaufhaus gegen alle Widerstände

Simon Suitner leitet das Sozialkaufhaus Somaro in Bukarest

Simon Suitner leitet die Somaro-Filiale in Bukarest. Neben dem Ladengeschäft muss er sich vor allem um viel Papierkram kümmern. Fotos: der Verfasser.

Eine Schlange wartet bereits in der Piața Matache, um im Somaro einkaufen zu gehen.

„Die Idee der Sozialmärkte ist eine sehr, sehr alte“, berichtet der Österreicher Simon Suitner. Seit 2010 leitet er den Sozialmarkt „Somaro“ auf der Piața Matache in Bukarest, versteckt in einem Nebengebäude. Es ist eine von drei Filialen, welche der gleichnamige Verein in Rumänien auf die Beine gestellt hat – und das, obwohl ihnen in Rumänien viele Steine in den Weg gelegt wurden und werden.

„In den 1970er Jahren hat es die ersten Sozialmärkte in den Vereinigten Staaten gegeben, und von dort sind sie irgendwann übergeschwappt nach Europa. Mittlerweile gibt es zahlreiche Sozialmärkte in Westeuropa, zum Beispiel in Frankreich, Italien oder Österreich“, erklärt Suitner. Das Konzept dieser Läden lässt sich aus dem Namen erraten: Sie sollen „sozial“ sein. Das bedeutet, dass die Produkte möglichst billig angeboten werden, damit sich einkommensschwache Menschen Essen und andere alltägliche Produkte kaufen können. Aber wie soll das gehen, wenn man die Produkte und Mitarbeiter bezahlen muss? 

Eine win-win-Situation

In Österreich, wie Suitner berichtet, ist es relativ einfach. Die Sozialkaufhäuser melden sich bei großen Supermärkten und erklären ihnen, „dass es auch für sie von Interesse ist, wenn es auch den Schwächsten in der Region besser geht“. Aus altruistischen Gründen hauptsächlich. Indem nicht mehr verkaufbare, aber noch essbare Lebensmittel in Sozialmärkten landen, werden außerdem weitaus weniger Lebensmittel verschwendet. „Die Idee ist einfach: Auf der einen Seite hast du Menschen, denen es immer schwerer fällt – gerade in den letzten Jahren – ihre Lebensmittel zu bezahlen und auf der anderen Seite hast du juristische Personen, also Firmen, die Lebensmittel haben, die noch okay sind, aber nicht mehr verkauft werden können.“ Eine win-win-win-Situation sozusagen, wobei finanziell schwache Menschen gewinnen, Supermärkte ihrer Region helfen und weniger Lebensmittel weggeschmissen werden.

Solche Konzepte gab es vorher in Rumänien und im Großteil von Osteuropa überhaupt nicht, berichtet Suitner. Weshalb Magarethe Katharina Turnauer – aktuelle Vorsitzende im Verein – unter anderem mit Suitner das Konzept nach Rumänien bringen wollte, angelehnt an das 1999 gegründete österreichische Sozialkaufhaus Soma.

Soma-Ro

Daher auch der Name: Statt Soma heißt es in Rumänien Somaro. Also Soma-„Ro“ – Ro für Rumänien. Dabei hat Suitner und das Team erst überlegt, ebenfalls den Namen Soma zu tragen. Dafür müssten sie sich jedoch das Konzept von Soma anpassen, was jedoch wegen der anderen Gegebenheiten in Rumänien nicht möglich war, denn die Arbeit ist komplett unterschiedlich.

Das ist auch der Grund, weshalb es von Somaro erst drei Läden gibt – in Bukarest, Hermannstadt/Sibiu und in Ploiești, wohingegen von Soma bereits 35 Filialen im viel kleineren Österreich geöffnet haben. Den Sozialkaufhäusern in Rumänien, wovon es eigentlich nur Somaro gibt, stehen viele Probleme im Weg. 

Die Sache mit der Mindesthaltbarkeit

„Eine riesige Herausforderung ist, dass es in Rumänien zwischen ‚Mindestens haltbar bis‘ und ‚läuft am Soundsovielten ab‘ keinen Unterschied gibt. ‚a se consuma pân²‘ (verzehrt werden bis) steht auf 80 Prozent der Lebensmittel. Das bedeutet, dass der Hersteller bis zu diesem Datum garantiert, dass das Produkt 100 Prozent der Beschaffenheit behält. Danach läuft zum Beispiel der Kirschjoghurt nicht ab! Er schmeckt vielleicht nur etwas weniger nach Kirsche. Natürlich bei Fleisch und Fisch sollte man diese Daten beachten, aber alle anderen Produkte sind noch gut und benutzbar, aber wir in Rumänien dürfen sie nicht verkaufen, weil wir als ganz normaler Laden registriert sind. In Österreich macht das 75 bis 80 Prozent aller Produkte aus und wir dürfen sie gar nicht verkaufen!“ 

Weshalb es einen viel geringen Pool an Lebensmittel gibt, die in den Laden kommen können. Deshalb hofft er, dass womöglich in Zukunft „die goldene Kuh Mindeshaltbarkeitsdatum geschlachtet wird und Personen in Entscheidungspositionen versuchen, dass nicht mehr so viele Lebensmittel weggeschmissen werden, sondern zu Menschen gelangen, welche sie brauchen.“

Wenig Initiative von Händlern

Doch genau da hakt es. „In zwölf bis 13 Jahren, wo ich bei Somaro arbeite, hat einmal ein Großhändler angerufen, der von unserem Laden gehört hat. Er hat gesagt: ‚Gott sei Dank gibt es euch! Wenn ich sehe wie viele Lebensmittel weggeschmissen werden und wie meine rumänischen Mitbürger leben, da blutet mir das Herz!‘“ Das große Problem dabei ist, dass es nur ein einziges Mal passiert ist! Während die Unternehmen in Österreich größtenteils aus altruistischen Gründen handeln, muss Suitner „in Rumänien den Unternehmen klar aufzeigen, welche finanziellen, meist steuerlichen, Vorteile sie davon haben, wenn sie uns die Produkte spenden. Selbst dann müssen wir ihnen andauernd hinterherrennen und nachtelefonieren.“ 

Ein großer Haufen Papier

Daneben gibt es noch ein drittes Problem: die Bürokratie. Für jede Lieferung, jede Annahme und jedes Produkt braucht er Verträge mit den Supermärkten, Lieferscheine, und und und. Sodass Suitners Arbeit hauptsächlich aus einem großen Haufen von Papierkram besteht. „In Österreich ist es viel einfacher. Du gehst in den Laden, die geben dir ihre Produkte und du fährst sie zum Laden und verkaufst sie. Das ist alles.“

Jedoch klappt das Konzept auch in Rumänien insofern, dass der Österreicher genug Produkte auftreiben kann, um den Bukarester Laden zu füllen. An manchen Tagen mehr und an manchen weniger. Es ist komplett abhängig von den Supermärkten, welche in unregelmäßigen Abständen auf ihn zukommen. An einem Tag warten alle in Somaro nur, während an einem anderen zwölf Stunden gebraucht werden, um alle Waren aus der Stadt abzuholen.

Keine Almosen

Ungefähr 20 Prozent des Originalpreises kosten dann schluss-endlich die Waren im kleinen Ladengeschäft. Doch warum verkauft man die Produkte überhaupt, anstatt sie einfach zu verschenken? „Zum einen haben wir natürlich laufende Kosten. Wir haben zwei Fahrer, eine Verkäuferin in Vollzeit und mich. Wir arbeiten zwar zu geringen und teil-weise sehr geringen Löhnen, aber neben all dem sind wir als ganz normaler Supermarkt gemeldet und müssen dieselben Kosten begleichen. Auf der anderen Seite – was auch enorm wichtig ist – geht es um die Würde der Kunden. Wir vergeben keine Almosen, sondern die Leute gehen einkaufen und dürfen sich mitnehmen, was sie wollen – die Preise sind nur an ihre finanziellen Möglichkeiten angepasst.“

Das mit Erfolg. „Viele Kunden erzählen mir, dass es der einzige Ort ist, wo sie sich reich fühlen! Im Kaufland sind fast alle Produkte uninteressant, weil sie sowieso zu teuer sind. Hier können sie frei aussuchen, was sie brauchen“, erklärt Suitner. Dennoch steht dieses Angebot nicht jedem zur Verfügung. In Kooperation mit den lokalen Sozialämtern gibt es eine Auswahl an Menschen, die für den Laden zugelassen werden. In Bukarest sind es momentan 760 Familien, welche eine Berechtigung haben. Diese dürfen drei Mal in der Woche für jeweils 17,50 Lei einkaufen gehen. Diese strikten Regeln gibt es, damit die Kunden zum einen die Lebensmittel nicht weiterverkaufen und andererseits die ersten Personen im Laden nicht gleich alles leerkaufen. Ausgewählt werden vor allem Familien, die längerfristig finanzielle Probleme haben. „Es geht um Familien, die zum einen sehr viele Kinder haben, ein behindertes Kind, oder ein behindertes Familienmitglied. Es geht nicht um Menschen, die kurzfristig nicht genügend Kohle haben. Sondern um welche, die im Leben ein Loch haben, wo sowieso immer alles Geld verschwindet, egal wie viel sie verdienen“. Eine Sache hat Suitner trotz dieser komplexen Regeln nicht geschafft: Dass die Kunden nicht mehr anstehen. Eine halbe Stunde vor den Öffnungszeiten bildet sich immer eine Schlange von mehreren Personen in der Piața Matache. 

Problematisch, aber in Ordnung

Dabei sind die Besucher des Ladens insgesamt unterschiedlich. Manche kommen jede Woche drei Mal und nutzen das Kontingent voll aus, manche kommen nur sehr unregelmäßig, manche kommen immer am Ende der Öffnungszeiten, wenn es leerer ist, um mit Verkäuferin Liliana Ilie zu quatschen, „weil unser Laden einer der wenigen sozialen Fixpunkte ist, wo sie sein können, ohne dass sie rausgeschmissen werden, wenn sie nichts kaufen“, erklärt Suitner.

Alles in allem ist die Situation von Somaro problematisch, aber in Ordnung. „Unter den jetzigen Gegebenheiten hätte ich heute den Laden nicht nochmal aufgebaut“, berichtet der Vater von zwei Söhnen. Bukarest ist mittlerweile seine Heimat und er arbeitet mit seinen Kollegen schon über zehn Jahre zusammen. „Auch wegen ihnen müssen wir weitermachen“, erklärt der 1982 geborene Feldkircher. Er hofft, womöglich in der Zukunft einen weiteren Somaro-Laden in Bukarest aufzubauen, oder das Konzept weiterzureichen. Wenn jemand Interesse an einem eigenen Sozialkaufhaus habe, würde er sein Wissen gerne weiterreichen: „Es wird einfach viel zu viel entsorgt.“