Ein Spiel von Licht und Schatten

Caravaggio und die Caravaggisten im Temeswarer Kunstmuseum

„Der Heilige Hieronymus“, ein Werk aus dem zweiten – dritten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, entstammt der Sammlung von Roberto Longhi und ist derzeit im Kunstmuseum Temeswar zu sehen. | Fotos: Zoltán Pázmány

Ein Detail des Originalgemäldes Caravaggios zeugt von der Virtuosität des Künstlers, der die Widerspiegelung des Zimmers in der Vase gemalt hat.

„Jüngling, von einer Eidechse gebissen“ (1595) ist ein frühes Werk Caravaggios. Das Originalwerk befindet sich bis Ende Februar im Temeswarer Kunstmuseum.

Die Räume der „Ioachim Miloia“-Galerie des Nationalen Kunstmuseums in Temeswar/Timișoara sind verdunkelt, das Licht fällt ausschließlich auf die Kunstwerke, die an den Wänden hängen. Es ist ein Spiel von Licht und Schatten, das die Dramatik in den Räumen nur noch steigert – und das so typisch für den Künstler ist, dessen Wirken und Schaffen das Temeswarer Kunstmuseum mit seiner jüngsten Kunstausstellung würdigt. Ein einziges Originalwerk dieses Künstlers können Besucher der Expo bewundern, doch die anderen Gemälde sind allesamt im selben Stil geschaffen worden und nicht minder sehenswert. Die jüngste Ausstellung hat in ihrem Mittelpunkt den italienischen Barockmaler Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571–1610) und jene Künstler, die sich von ihm beeinflussen ließen. „Die Lichter von Caravaggio. Der Beginn der Moderne in der europäischen Malerei, Meisterwerke aus der Sammlung Roberto Longhi“ betitelt sich die vor etwa einer Woche eröffnete Kunstausstellung, die 43 Werke zur Schau stellt. Neben dem einzigen Originalwerk Caravaggios sind Werke zahlreicher Künstler aus seinem Umkreis zu sehen, wie zum Beispiel Lorenzo Lotto, Juseppe Ribera, Gian Battista Caracciolo, Dirck van Baburen, Mattia Preti, Gerrit Van Honthorst u.a.

Beim Spaziergang durch die Ausstellung ertönt im Hintergrund leise Musik, die von einem lokalen Musiker geschaffen worden ist und ergänzend zu den ausgestellten Meisterwerken aus der Sammlung Roberto Longhis wirkt. Die jüngste Ausstellung kam durch die Mitarbeit des Kunstmuseums mit der Fondazione di Studi di Storia dell’Arte Roberto Longhi in Florenz und Civita Mostre e Musei in Rom zustande. Finanziert wird das Kulturprojekt vom Temescher Kreisrat - die Schirmherrschaft der Ausstellung haben die Kulturministerien Rumäniens und Italiens inne. Die Meisterwerke stammen aus der Kunstsammlung von Roberto Longhi (1890–1970), einem der bedeutendsten italienischen Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts - eine herausragende Kollektion, die sich vor allem auf die italienische Malerei des Barock und der Renaissance konzentriert. Roberto Longhi gilt als führender Experte für Caravaggio. Er widmete sein Leben der Wiederentdeckung und Erforschung von Künstlern, die oft lange vernachlässigt worden waren. Seine Sammlung, die sich heute in der Fondazione Roberto Longhi in Florenz befindet, umfasst zahlreiche Werke von Caravaggio und seinen Anhängern, den sogenannten Caravaggisten. An einigen Stellen in der Ausstellung können Besucher stehen bleiben und in die aufgestellten goldenen Spiegel blicken – und bei Belieben ein Selfie schießen. Viele der ausgestellten Werke zeigen biblische und äußerst ausdrucksstarke Szenen - in einem außergewöhnlichen Realismus gemalt.

Michelangelo Merisi da Caravaggio gilt als einer der einflussreichsten Maler des Barock und als Pionier des Chiaroscuro, einer Technik, die starke Hell-Dunkel-Kontraste einsetzt, um Dramatik und Intensität zu erzeugen. Sein Leben war ebenso leidenschaftlich und kontrovers wie seine Kunst, geprägt von Ruhm, Skandalen und einem unbändigen Geist. Caravaggio wurde 1571 in der Kleinstadt Caravaggio in der Lombardei geboren, nach der er seinen Künstlernamen erhielt. Nach dem frühen Tod seines Vaters und vieler Familienmitglieder während einer Pestepidemie zog er nach Mailand, wo er seine erste künstlerische Ausbildung erhielt. Dort lernte er die Tradition der lombardischen Malerei kennen, die sich durch Realismus und Detailtreue auszeichnet – Charakteristika, die später in seinem Werk große Bedeutung gewinnen sollen.  Er ging 1592 nach Rom, dem Zentrum der Kunstwelt, auf der Suche nach Anerkennung und Aufträgen. Anfangs kämpfte er mit Armut, arbeitete in Werkstätten anderer Künstler und spezialisierte sich auf Stillleben, insbesondere auf Obstschalen, die bereits seine Fähigkeit zeigten, Natur und Licht mit außergewöhnlicher Präzision darzustellen.

Caravaggios Durchbruch kam Ende der 1590er Jahre, als er mit Unterstützung des einflussreichen Kunstmäzens Kardinal Francesco Maria del Monte begann, religiöse Szenen zu malen. Zu seinen ersten Meisterwerken gehört „Der Ruf des heiligen Matthäus“, ein Altarbild in der Contarelli-Kapelle in Rom. Caravaggios Leben war von Widersprüchen geprägt, denn er hatte eine impulsive Persönlichkeit. Immer wieder geriet er in Konflikt mit dem Gesetz, unter anderem wegen Schlägereien und Beleidigungen. 1606 tötete er einen Mann während eines Streits, was ihn dazu zwang, aus Rom zu fliehen. Fortan lebte er als Flüchtling und wanderte durch verschiedene Städte wie Neapel, durch Malta und Sizilien.
Das Originalgemälde von Caravaggio, das in Temeswar bewundert werden kann, befindet sich am Ende der Kunstausstellung. Wenn man im Raum davor durch einen Spalt in einer Falschwand blickt, erspäht man es in der Dunkelheit. Das Gemälde „Jüngling, von einer Eidechse gebissen“ (italienisch: „Ragazzo morso da un ramarro“ – auf Deutsch gibt es mehrere Übersetzungen des Titels), entstanden um 1595, ist ein frühes Werk Caravaggios und zeigt einen jungen Mann, der vor Schmerz zurückzuckt, als ihn eine Eidechse in den Finger beißt. Die Szene ist voller Bewegung und Emotion: Der gequälte Ausdruck des Jungen, das Chaos seiner zerzausten Haare und die lebendigen Farben ziehen den Betrachter unmittelbar in den Bann. Das weiche, helle Licht fällt auf die Gesichtszüge und die Hände des Jungen, während der Hintergrund in Dunkelheit gehüllt bleibt. Die Details, etwa die realistische Darstellung der Eidechse und der gläsernen Vase mit Wasser und Blumen, zeugen von Caravaggios Virtuosität, was auch die Kunsthistorikerin Cristina Maria Bandera, eine der drei Kuratorinnen der Ausstellung, bei der ersten Führung hervorhebt. Cristina Acidini, die Präsidentin der Longhi-Stiftung, und die Museografin Andreea Foanene vom Temeswarer Kunstmuseum haben ebenfalls die Ausstellung kuratiert. Das in Temeswar ausgestellte Caravaggio-Werk wird oft als Allegorie interpretiert, möglicherweise auf die Flüchtigkeit des Lebens, Schmerz oder die Gefahren der Liebe. Es verbindet den Alltagsrealismus mit symbolischen Untertönen, was typisch für Caravaggios frühen Stil ist.

Die Kunstsammlung Roberto Longhis, die zum Teil im Temeswarer Kunstmuseum besichtigt werden kann, ist ein Spiegel von Longhis lebenslanger Leidenschaft für die Analyse und Wertschätzung der visuellen Erzählkraft italienischer Kunst. Sie bleibt ein bedeutendes Forschungszentrum für Kunsthistoriker und ein Zeugnis für Longhis entscheidenden Beitrag zur Wiederbelebung des Interesses an Caravaggio und seinen Zeitgenossen. Das Originalwerk Caravaggios und die Werke zahlreicher anderer Caravaggisten können bis zum 28. Februar 2025 in Temeswar bewundert werden. Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich auf jeden Fall.