April 1992. Im zerbrechenden Jugoslawien fallen Nachbarn übereinander her – Europa erlebt den schlimmsten Bürgerkrieg seit 1945. In Transnistrien greifen Separatisten zu den Waffen – der eingefrorene Konflikt lähmt die Republik Moldau bis heute. Aus der untergegangenen Sowjetunion startet die junge, aber verarmte Ukraine hoffnungsvoll in die Unabhängigkeit – schon bald machen korrupte Eliten und die Zerrissenheit zwischen Ost und West allen Träumen ein Ende. Nur in Ungarn und Bulgarien gelingt ein vergleichsweise ruhiger Übergang in die neue Zeit.
Und Rumänien? Mit dem totalen Umbruch beginnt die Suche. Nach der blutigen Revolution im Dezember 1989 hielten neue Freiheiten Einzug, doch die Erinnerungen an den Kommunismus sind noch frisch. Zu einer Aufarbeitung kommt es jedoch nicht – Teile der nun „demokratischen“ Elite müssten sich unbequemen Fragen stellen. Eine ganze Gesellschaft ist auf der Suche nach Stabilität. Herbeigerufene Bergarbeiter prügelten 1990 antikommunistische Proteste nieder, und im selben Jahr wurde Neumarkt/Târgu Mureş von ethnischen Unruhen erschüttert. Die entstehende politische Landschaft bleibt instabil und die Wirtschaft geht weiter bergab. Zehntausende Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben kehren Rumänien den Rücken.
Stabilität für die junge und verletzliche rumänische Demokratie – darauf hoffen nun die Unterzeichner des „Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“. Der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein Amtskollege Adrian Năstase unterzeichnen das Dokument am 21. April 1992 in Bukarest. Năstase hatte es geschafft: Einst ein Gegner von Gorbatschows „Perestrojka“, empfing ihn nun die Bühne des freien Europa. Und dennoch: „Der Vertrag war ein wichtiger Schritt bei der weiteren Überwindung der Spaltung zwischen Ost und West“, ist sich Leonard Orban sicher. Auf einer Festveranstaltung zum 25. Vertragsjubiläum im Bukarester Parlamentspalast überbrachte der Berater von Staatspräsident Klaus Johannis für Europäische Angelegenheiten eine Grußbotschaft des Präsidenten. Hier, wo sich nach dem Willen Ceauşescus eigentlich die kommunistische Partei- und Staatselite ihr Stelldichein geben sollten, gedachte nun das Rumänisch-Deutsche Forum für bilaterale Zusammenarbeit am 4. Mai mit einer Festveranstaltung der Vertragsunterzeichnung vor 25 Jahren. „Seitdem sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern gewachsen.“ Deren weitere Stärkung sei eines der Hauptziele seines Mandates, ließ Johannis mitteilen. Die Deutschen in Rumänien spielten dabei eine besondere Rolle – sie hätten einen enormen Beitrag für die Gesellschaft Rumäniens geleistet. Rumänien habe nach dem Zusammenbruch des Kommunismus seinen Weg noch gesucht, doch es habe seit 1992 wertvolle Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland erfahren, um schließlich den europäischen Weg einschlagen zu können. Auch durch seine Zielsetzungen, wie die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaat, sei er heute nach wie vor aktuell. Doch Rumänien wolle auch aktiv werden: „Wir sind bereit, gemeinsam mit Deutschland am europäischen Projekt zu arbeiten.“
Michael Roth, bundesdeutscher Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, sieht allerdings noch eine Menge Arbeit. Zwar habe der Vertrag vor 25 Jahren einen Grundstein für die politische und kulturelle Zusammenarbeit beider Länder gelegt; Rumänien habe sich darin verpflichtet, am Aufbau eines Europas des Rechtsstaats und der Demokratie mitzuwirken. Allerdings hapere es bei der Übernahme der viel beschworenen europäischen Werte: „Man muss ohne Angst verschieden sein können – ethnisch, kulturell, politisch oder im Hinblick auf die sexuelle Orientierung“ – mahnende Worte in einer Zeit, in der hierzulande die Verschiedenheit von Lebensentwürfen und der Wille zur Selbstbestimmung zunehmend im Kreuzfeuer von „Traditionalisten“ stehen. Unterdessen arbeite nach Ansicht Roths die durch den Vertrag ins Leben gerufene Regierungskommission für Belange der deutschen Minderheit in Rumänien überaus erfolgreich. „Die Minderheiten sind Brückenbauer zwischen unseren Ländern, und das Miteinander von Deutschen und Rumänen sei eine Selbstverständlichkeit“, doch in Europa hapere es an der Einhelligkeit. „Noch nie gab es in Europa so viele Schwierigkeiten wie heute“, bedauert Roth. Europa sei nicht nur eine Wirtschafts- sondern auch eine Wertegemeinschaft, in der nur gemeinsam Antworten auf Krisen gefunden werden könnten. „Glaubt denn ernsthaft irgendjemand, man könne alleine Antworten auf die Flüchtlings- oder die Eurokrise finden? Alleingänge und Abschottungen sind schlicht-weg absurd!“
Vielmehr seien die Krisen der Beweis, dass man mehr statt weniger Europa brauche. Die Herausforderungen seien aber auch eine Chance: Sie könnten das Verständnis dafür wecken, das in der Vergangenheit Erreichte nicht als selbstverständlich hinzunehmen. In der Tat: Offene Grenzen, der Abbau von Grenzkontrollen oder persönliche Freiheiten gehören für junge Europäer mittlerweile zu den Selbstverständlichkeiten. Heraufziehender Populismus und Europaskepsis mit ihren einfachen Antworten bergen die bekannten Gefahren – aber auch die Chance, sich der positiven Errungenschaften Europas endlich bewusst zu werden. Zu diesen gehört auch die offene, freundschaftliche Verständigung zwischen europäischen Partnern. Wie steht es um das deutsch-rumänische Klima? „Wir sind für einen offenen, konkreten, aber auch zielgerichteten Dialog“, unterstreicht Roth. Differenzen müsse eine Partnerschaft und eine Freundschaft aushalten. So habe Deutschland insbesondere seine Sorge um den umstrittenen Regierungserlass 13 vom Februar zum Ausdruck gebracht und die Sorge der rumänischen Zivilgesellschaft geteilt. Umso mehr habe ihn das Bekenntnis Hunderttausender zu Vielfalt, Rechtsstaat und Europa beeindruckt. „Das ist gelebte Demokratie, darauf kann man durchaus stolz sein!“
Für George Ciamba, Staatssekretär im rumänischen Außenministerium für bilaterale und strategische Angelegenheiten im Euro-Atlantischen Raum, war das Vertragswerk ein Startschuss für die Entwicklung neuer wirtschaftlicher Beziehungen zwischen beiden Ländern. „Wir haben damit einen ersten Schritt in Richtung EU und NATO gemacht, und bis heute arbeiten wir im europäischen Rahmen zusammen.“ Auf lokaler Ebene werde die rumänisch-deutsche Kooperation besonders durch die deutschen Schulen in Rumänien sichtbar, aber auch durch die Lehre der rumänischen Sprache an deutschen Universitäten. Insbesondere diese Kooperationen würden Kampagnen gegen deutsche oder andere Minderheiten in den Medien ad absurdum führen. Im Publikum dürften Angehörige des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) an dieser Stelle interessiert aufgehorcht haben: Nachdem Staatspräsident Klaus Johannis Stellung gegen den umstrittenen Regierungserlass 13 bezogen hatte, rückten verschiedene Medien das heutige DFDR in die Nähe der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ (DViR) aus der faschistischen Antonescu-Zeit. Grund waren Anträge auf Rückgabe von Immobilien aus dem Gemeinschaftseigentum, welche die DViR bis zu ihrer Auflösung 1944 in ihren Besitz gebracht hatte und nach 1944 verstaatlicht wurden. Ciamba versucht zu beruhigen: „Es gibt einen Populismus und auch eine Europaskepsis, aber diese spiegeln nicht die allgemeine Stimmung in Rumänien wider.“
Was kann nun aus der rumänisch-deutschen Partnerschaft hervorgehen? Bilaterale Partnerschaften können Europa als Ganzes stärken und das Projekt weiter mit Leben füllen. „Die EU muss mit Leben gefüllt werden“, ist Andrei Pleşu überzeugt. Der Vorsitzende des Rumänisch-Deutschen Forums für Bilaterale Zusammenarbeit spitzt weiter zu: „Man kann keine Institutionen lieben.“ Auch Siegfried Mureşan, für die PMP seit 2014 im Europaparlament, sieht diese als Grundstein für eine Stärkung der europäischen Idee. „Ohne bilaterale Partnerschaften sind Fortschritte in der EU nicht möglich.“ Doch begegnen sich die Partner auf Augenhöhe? Rumänien ist nach wie vor kein Mitglied des Schengenraums – bei Einreisen in andere Staaten der Union muss weiterhin der Ausweis gezückt werden. „Der Bürger muss fühlen, dass er ein Teil von Europa ist – bei ihm darf kein Gefühl eines Europas der zwei Geschwindigkeiten entstehen!“
Rumänien ist auch 25 Jahre nach der Vertragsunterzeichnung weiter auf der Suche: Im Inneren herrscht ein Streit um Werte und ein dynamisches Parteiensystem macht es einem bis heute schwer, sich als links, konservativ, traditionell oder liberal zu verorten. Und wo ist Rumäniens Platz in Europa? Enge bilaterale Kooperation wie die zwischen Deutschland und Rumänien können die ganze Union stärken, ist der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Cord Meier-Clodt, überzeugt. Der Vizepräsident des Rumänisch-Deutschen Forums für Bilaterale Zusammenarbeit lässt hierzu seinen Lieblingsschriftsteller Erich Kästner sprechen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“