Eine Biografie, erzählt von der Gemeinschaft

Ausstellung der Werke von Günther Zerbes in Rosenau

Das Selbstporträt stand im Mittelpunkt der Ausstellung „Zburătorul“, dessen Ziel es war, die Geschichte des Rosenauer Künstlers Günther Zerbes wieder sichtbar zu machen. | Foto: Alexandra Bordeianu

Am Samstag, dem 12. Juli, hat in Rosenau eine außergewöhnliche Veranstaltung stattgefunden: die Vernissage der Ausstellung „Zburătorul“ (Der Fliegende) mit Werken des siebenbürgisch-sächsischen Laienkünstlers Günther Zerbes (1945-1999). Besonders war der Abend, vor allem weil er aus einer privaten Initiative heraus entstand. Er wurde von Kunstliebhabern organisiert, die zufällig vor einigen Monaten auf einige seiner Skulpturen gestoßen waren, die sie beeindruckten und die sie unbedingt an die Öffentlichkeit bringen wollten.

Eine familiäre Atmosphäre

Auch Dumitru Dascăl, Neffe des Rosenauer Künstlers, hatte es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht, das Leben und Schaffen seines Onkels sichtbar zu machen. So stellte sich die Begegnung mit Ioana Gridan, Organisatorin von Kulturveranstaltungen und Fotografin Alexandra Bordeianu als glücklicher Zufall heraus. Gemeinsam begannen sie, Informationen über Günther Zerbes zu sammeln. Doch bald machten immer mehr Leute aus der Gemeinschaft in Rosenau und der Umgebung mit. Verwandte, Nachbarn, Bekannte erzählten von Zerbes, zeigten Schnitzereien oder Gebrauchsgegenstände aus Holz, die er für sie angefertigt hatte. So entstand in weniger als einem Jahr, wie Gridan es formulierte, „eine Biografie, die von der Gemeinschaft erzählt wird“. Die Ausstellung in Zerbes’ Geburtshaus war der erste öffentliche Schritt eines Projekts, im Rahmen dessen die gesammelten Informationen und Werke in einer ständigen Ausstellung in Rosenau sowie in einem Buch zusammengetragen werden sollen.

Am Tag der Vernissage war das Tor des Hauses in der Mihai-Viteazu-Straße 23 in Rosenau weit geöffnet. Die Hausherrin, Virginie Costea und Mihaela Manolache, Kuratorin der Ausstellung, begrüßen die Gäste: zahlreiche Rosenauer, Kronstädter und Kunstfreunde. Einige erinnern sich an die Zeiten in diesem Hof, in dem Günther Zerbes als Kind mit seinen Geschwistern und Nachbarskindern spielte. „Aus diesem Fenster sind wir manchmal herausgesprungen, um im Hof zu spielen“, erinnert sich eine Verwandte lachend. „Und in der Scheune ist Günther mit dem Regenschirm vom Dachboden heruntergesprungen, um seinen Traum vom Fliegen zu erfüllen“, sagt Günthers Schwester Ritta Râșnovean. Viele der Verwandten hatten das Haus seit Jahrzehnten nicht mehr betreten. Auch Mihai Victor Zerbes, der Sohn des autodidaktischen Künstlers, war angereist. Er stellte seinen Gedichtband mit Zeichnungen „Der Seelenmechaniker. Neurografische Erlebnisse“ / Depanatorul de suflete. Trăiri Neurografice) vor. Auch wenn sich nicht alle Anwesenden untereinander kannten, herrschte eine familiäre Atmosphäre. Die Leute schmunzelten, wenn sie über seine freundliche Art sprachen und seinen Sinn für Humor.

Manche zeigen Fotos mit den Kunstwerken oder Gebrauchsgegenständen, wie Stühle, Treppen, Schalen aus Holz, die er für sie geschnitzt hat und die sie zu Hause verwenden. Zerbes hatte als gelernter Tischler gearbeitet, war Methodiker für bildende Kunst und später Verwaltungsleiter am Rosenauer Kulturhaus. Das künstlerische Schaffen nahm aber immer mehr Überhand, sodass er immer mehr Zeit darin investierte.

Bewegung war eines seiner Hauptthemen

Im Zimmer, wo Zerbes aufgewachsen ist, wurden einige kleinformatige Schnitzereien und auch Fotografien von seinen Arbeiten ausgestellt, wie auch Malereien und Grafiken. Im Zentrum des Raums stand eine hölzerne Figur, die einen gebrochenen Flügel zeigte, ein Symbol für ein zentrales Thema seiner Kunst: die Bewegung. „Der Künstler verstand sein Leben als gebrochen, wegen seiner Krankheit in der Kindheit und der Behinderung (Anm. d. Red. einem um 13 cm kürzeren Bein), die zu sozialer Ausgrenzung führte“, erklärt Kuratorin Mihaela Manolache. Schon als Kind begann Zerbes zu schnitzen, während er monatelang wegen Knochentuberkulose im Bett liegen musste. „Er las enorm viel – alle Bücher, die wir im Haus hatten und jene der Nachbarn von der Straße. Und er hat sehr viel gebastelt und insbesondere geschnitzt“, erinnert sich seine Schwester Ritta. In der Schule für Straßen- und Brückenbau erlernte er Tischlerhandwerk und vertiefte danach seine Kenntnisse über die Arbeit in Holz an der Volkskunstschule in Kronstadt, wo er Kurse für Malerei und Bildhauerei belegte. In Eigen- und Gruppenausstellungen von nicht akademischen Bildhauern stellte er seine Arbeiten in Rosenau, Kronstadt, Predeal sowie in Bukarest zur Schau und wurde unter anderem 1971 vom Verband bildender Laienkünstler für seine Werke preisgekrönt.

Eine tiefgreifende Entwicklung 

„Das zentrale Exponat der Ausstellung ist sein Selbstportrait, weil es sein persönliches Credo ausdrückt. Er ist brutal stilisiert: die Augen, der Mund, die Stirn sind kantig. Sie geben kein rundliches Gesicht wieder, mit natürlichen Merkmalen“, erklärte die Kuratorin. Auch andere Werke thematisieren das innere Erleben: verzerrte Figuren, ein Schattenbeobachter, ein gekreuzigter Christus. „Es sind Ausdrucksformen einer reichen emotionalen Welt.“ Es handelt sich um eine „ungewöhnliche  Begabung“, wie schon Heidemarie Bielz im März 1977 in der Karpatenrundschau festhielt. Die Anwesenden bei der Vernissage lernten einen Künstler kennen, dessen Arbeit erst handwerklich war, mit manchmal grobem Schnitzen, wie auch Exponate, von denen manche feingeschliffen waren und für die sich Zerbes aus Fachliteratur Inspiration holte. In seinen Arbeiten ist die Sicherheit bei der Handhabung der Werkzeuge unverkennbar, ebenso sein kreativer Geist und sein vielschichtiges Gefühlsleben.

Aus Artikeln der 1970er und 1980er Jahre aus der Karpatenrundschau geht hervor, dass Holzschnitzerei seine Lebensaufgabe war. In seinen Anfängen schnitzte Zerbes naturalistische Figuren, wonach er seine Gefühle und Gedanken in „symbolträchtige, stilisierte Figuren” (KR. 9, 4.03.1977, Heidemarie Bielz) ausdrückte. Dazu trug auch die Begegnung mit Büchern über Constantin Brâncuși bei, die ihn dazu bewog, sein Zeit-, Stil- und Formgefühl zu ändern und abstrakte Arbeiten zu schaffen. „…dann beginnt er alles bis auf die Grundform zu vereinfachen“, bemerkte Bielz und fasst zusammen, dass seine Arbeiten „sinnbildhaft für ein kompliziertes, aufwärtsstrebendes Innenleben“ stehen.

Zerbes selbst meinte 1973 in einem Gespräch mit Gudrun Binder für die KR, er habe abstrakte Kunst bevorzugt, weil diese „größere Ausdrucksmöglichkeiten bietet.“

Skulpturen in Deutschland

Auch Fotografien von den Arbeiten, die Zerbes selbst dokumentiert hatte, waren in Rosenau zu sehen. Beschriftungen mit Titel und Informationen zum Besitzer der Arbeit zeigen, dass viele der Werke in der damaligen BRD sind, manche auch in anderen Ländern. Die meisten Skulpturen sind wohl im Land geblieben, Familie und Freunde haben sie in ihren Häusern stehen. Schon mit 38 Jahren fühlte Günther Zerbes den inneren Drang, sich stärker der Kunst zu widmen: „Ich will gegen allerlei ´Kleinarbeit´, die mir die Zeit raubt, etwas unternehmen“, meinte er in einem Interview mit Adrian Löw im Jahr 1983. „Ich beziehe mich auf die Tischlerarbeiten. Mehr Zeit haben möchte ich für rein künstlerisches Schaffen, für die Jahre, die mir geblieben sind.“ Günther Zerbes verstarb mit nur 54 Jahren.

Dass die Geschichte von Günther Zerbes nun wieder sichtbar wird, ist auch der Offenheit der neuen Besitzer des Hauses in der Mihai-Viteazu-Straße 23 zu verdanken. Virgenie und Vali Costea haben ihr Zuhause für die Veranstaltung geöffnet, Bekannte wie wildfremde Menschen lächelnd empfangen und bewirtet. „Sie haben die Geschichte des Hauses mit offenen Armen aufgenommen und auch die Gedenktafel an ihrem Haus akzeptiert“, sagte die Kuratorin bei der Vernissage. Auch die Gemeinschaft trug zum Gelingen der Veranstaltung bei: Frauen aus dem Dorfe bereiteten Gebäck vor, andere steuerten  Fotos, Informationen und Erinnerungen bei. Wer Informationen zum Künstler oder seinen Werken hat und diese teilen möchte, ist gebeten sich bei Kunstkritikerin Mihaela Manolache unter 0786.339.386 zu melden.