Eine Chance auch für Deutsch-Tekes

Zurückgekehrte Sächsin bringt frischen Wind und baut auf eine neue Gemeinschaft

Zwei renovierte Sachsenhäuser und ein Gartenparadies

Angelika Holdreich Fotos: George Dumitriu

Deutsch-Tekes an der Via Transilvanica Fotos (2): Nina May

Ihr Garten ist eine Oase der Ruhe. Ein siebenbürgisches Dorfidyll: Hühner, Katzen, Hunde, Häschen scharren, hoppeln, grasen. Tomaten, Petersilie, Zucchini und Gurken – blühend oder mit Früchten dran. Mittendrin ein renoviertes altes Sachsenhaus, überdachte Veranda, Gartengrill. Doch Zeit zum Genießen hat sie kaum: Wie der Wirbelwind braust Angelika Holdreich mit ihrem Auto mal hier-, mal dorthin: die Kleiderkammer aufsperren, zur Kirchenburgführung nach Deutschweißkirch, zum Treffen mit der Pfarrerin oder zur „Gospoderie“ nach Cobor. Organisieren, vermitteln, vernetzen und überall mit anpacken – das liegt ihr im Blut. 

Unzählige Themen für die ADZ verdanke ich Angelika aus Deutsch-Tekes/Ticușu Vechi: den Ausflug zum Lavendelfeld in Bekokten (ADZ: 21. Juli 2023), die Tourismus-Doppelseite „Das Paradies am Ende der Welt“ (ADZ: 28. Juli 2023) über die ‘Gospod˛rie’ in Cobor, das Interview mit Pfarrerin Christiane Schöll (ADZ: 13. Sept. 2024), oder  das Benefiz-Konzert für die Renovierung der Tekeser Orgel (ADZ: 13. Aug. 2025). Gerade waren wir zusammen in Galt/Ungra, um den Besitzer des dortigen Pfarrhauses zu interviewen. Und als unser Auto vor zwei Jahren auf dem Rückweg vom Sachsentreffen zusammenbrach, wurde ihr Haus für ein paar Tage zur ADZ-Redaktion.  Angelika hat Ideen, Angelika hilft, Angelika steckt immer voller Pläne!

Am Abend, sitzen wir endlich in ihrem Gartenparadies. Jetzt soll sie von sich erzählen: Von ihrer Rückkehr an ihren Geburtsort vor acht Jahren, von ihrem neuen Job als Kirchenburgführerin in Deutschweißkirch, von eigenen Tourismus-Plänen und ihrem Traum, frischen (Auf-)Wind auch nach Tekes zu bringen. Deutsch-weißkirch ist ihr Vorbild dafür, dass es geht. Und dank Pfarrerin Schöll, die die Mitglieder der ringsum liegenden Kirchgemeinden transparent und effizient vernetzt, mangelt es inzwischen auch nicht an Gleichgesinnten.

Auszeit in Tekes
Angelika Holdreich ist in Tekes geboren, aufgewachsen und hat vor ihrer Ausreise mit ihren Eltern 1992 noch an der letzten Konfirmation teilgenommen. Damals war sie 14. Nach Deutschland wollte sie nicht, genausowenig wie ihre Eltern, aber „die anderen Sachsen waren fast alle schon weg, es gab keine Schule und keinen Transport mehr...“ Dabei hatte für sie gerade das Teenagerleben begonnen: „Wir haben angefangen, zu feiern, auszugehen – es war so schön hier!“

Vor acht Jahren ist sie dann zurückgekommen, eher zufällig als geplant: Die Eltern waren in einem Alter, wo sie nicht mehr so oft herkamen, der Vater nicht mehr aufs Dach klettern konnte, um abgerutschte Dachziegel nachzuschieben. Was tun? Angelika beschloss, eine Auszeit in Tekes zu nehmen. „Das Timing war gut, ich hatte gerade einen Abschluss bei meiner Arbeit in der Schweiz.“ Davor war sie zehn Jahre als Erzieherin in England gewesen. Außerdem war ihr Onkel, Johann Stefani, vor ein paar Jahren zurückgekehrt. Ein Jahr wollte sie bleiben, sich um das Elternhaus kümmern, „dem Hannes ein wenig mit seinen Projekten helfen“ und sich dann beruflich neu orientieren... 

Erstes Projekt: der Brunnen
Nach dem Überkomfort der Schweiz wollte Angelika so einfach leben wie früher: „ohne Bad, Zentralheizung oder Waschmaschine – und ich bin im Winter gekommen!“ Wasser holte sie am Brunnen an der Straße. „Da kam jeder mit seinem Plastikeimer daher und da dachte ich, das geht doch nicht! So hab ich erst mal einen richtigen Metalleimer und eine Kette gekauft, dann musste ich noch die drei-vier Plastikeimer aus dem Brunnen  angeln, die da hineingefallen waren...“ 

Auch Heizen war ein Abenteuer – mit Holz, doch es war kein trockenes da, „meine Eltern sagten immer, Holz musst du zwei bis drei Jahre voraus kaufen. Ich hatte Glück und konnte eine fertig gehackte Palette erstehen, doch es wollte nicht recht brennen. Trotzdem hatte das was“, lächelt sie zufrieden. „Was ich in der Schweiz realisiert habe ist, dass auch viel Geld nicht glücklich macht. Ich habe hier das ‘back to basics’ gesucht“.

„So, jetzt hatte ich Verantwortung“
Eines Tages brachte ihr ein kleiner Junge einen Straßenwelpen. „’Schau mal, der ist so süß, wenn du ihn nicht nimmst, wird er sterben!’ So, jetzt hatte ich Verantwortung. Und konnte nicht mehr sagen, dann packe ich mein Auto und bin weg.“
Sie traf Freunde aus Kindertagen wieder, und Freunde der Eltern – Rumänen vor allem. „Die haben sich so gefreut, sie haben mich eingeladen, für mich gekocht, mir geholfen – wo bekommt man Handwerker, wo gibt es einen Arzt, wo dies oder jenes Material beschaffen? Für mich war ja alles neu!“ Sie renoviert ihr Elternhaus, kauft das Nachbarhaus dazu. Wenn ihr das Geld ausging, flog sie für ein paar Monate in die Schweiz zum Arbeiten. An ihrem Beruf als Erzieherin war immer Bedarf.

Ihrem Onkel half sie mit der Kleiderkammer, die sie alsbald ehrenamtlich übernahm: ein Second-Hand-Laden, dessen Erlös Kinderprogrammen im Dorf zugute kam. „Es gibt ein paar Rückkehrer und Ausländer im Ort, die Tagelöhner oder Handwerker beschäftigen, und die geben ihr Geld dann in der Kleiderkammer aus. So kommt es den Kindern im eigenen Dorf zugute.“ Seit es im benachbarten Cobor zwei Tourismusprojekte gibt, finden die Tekeser auch dort Beschäftigung oder Absatz für ihre Produkte: Hühner, Eier und Gemüse hat Angelika schon vermittelt. Ein Dorf ohne Infrastruktur langsam aufblühen zu sehen, begeistert sie, auch weil sie sich als Erzieherin viel mit Drittweltkonzepten befasst hat: Kleinkredite für Frauen, mit multiplizierender Wirkung. Dies aber ist ihr Heimatdorf! 

Die Kräfte bündeln
Bald will Angelika mit Gleichgesinnten einen Verein gründen, damit sie ihre Aktivitäten besser kanalisieren können. „Denn nicht nur ich bin aktiv, es gibt eine ganze Gemeinschaft, ein paar Rückkehrer und hiergebliebene Siebenbürger Sachsen, hinzu kommen ein paar Deutsche, die entschieden haben, hier zu wohnen“, erklärt sie nach dem Spendensammel-Konzert für die Tekeser Orgel, für das sie sich ebenfalls engagiert hat. „Wir wollen mehr machen und auch in andere Gemeinden gehen.“
Seit über einem Jahr, seit Pfarrerin Christiane Schöll die evangelische Glaubensgemeinschaft in ihren 15 zum Repser Ländchen gehörigen Gemeinden koordiniert und transparent informiert, sind Gottesdienste wieder feste Treffpunkte – und Kondensationskeime für weitere Interessensgruppen. Schnell bildeten sich Untergruppen für verschiedene Themen – „Feste organisieren, Frauenarbeit, Jugendgruppen, solche, die sich um die älteren Leute kümmern oder Tourismus machen wollen“, erklärt Angelika Holdreich. „Seit die ‘Gospod˛rie’ und die ‘Ferma Cobor’ in Cobor sind, haben wir uns gedacht, man könnte die Tekeser Kirche wieder für Orgelkonzerte nutzen, die Leute sollen ins Konzert und dann dort essen gehen – und seit Mitte Mai liegen wir außerdem an der Via Transilvanica, obwohl das anfangs nicht geplant war“, schwärmt sie und erzählt: „Als die Leute von dieser NGO die Markierungssteine setzten, haben sie die ‘Gospoderie’ kennengelernt und gesagt, das Konzept gefällt uns, auf dem Wanderweg braucht man repräsentative Infrastruktur, wo man einkehren und einen Stempel bekommen kann, so hat man umgeplant und unser Bürgermeister hat sich dafür stark gemacht, dass der Weitwanderweg auch Tekes einschließt. Es ist eine sehr schöne Strecke durch den Eichenwald und oben hat man einen tollen Ausblick!“

Immer mehr entsteht ein Netz an Menschen, Events und Infrastruktur, die sich gegenseitig stärken. „Seit der Pandemie feiern wir einmal im Jahr in Galt das Pfingstfest, inzwischen eine feste Einrichtung, da kommen auch die Bartholomäer und andere nach Tekes“, nennt sie als Beispiel. „Und Deutschweißkirch ist auch nicht an einem Tag zum weltbekannten Touristenmagneten geworden.“

Inspiration aus Deutschweißkirch
Als Angelika nach Tekes zurückkam, war sie oft traurig über die leere Kirche. „Man war fast allein in der Kälte und keiner hat gesungen.“ Das soll mit der Orgelrenovierung anders werden. Doch ob Deutsch-Tekes auch touristisches Potenzial hat? „Wenn du mich das vor ein paar Jahren gefragt hättest, hätte ich nein gesagt. Weil ich immer im Ohr hatte: Tekes, Cobor, das ist das Ende der Welt, was willst du denn dort? Und heute bin ich so stolz, wenn ich meine Gäste nach Cobor fahre!“ Inzwischen sei es schwierig, dort ein Haus zu kaufen, einige verkaufen nicht mehr, weil sie den Aufwind spüren. „Ich hab in Keisd gesehen, was eine NGO oder ein Verein bewirken kann: inzwischen gibt es dort sechs oder acht , doch begonnen hat alles mit der Organisation der Frauennachbarschaft.“

Auch Deutschweißkirch/Viscri inspiriert sie: „Das ist so toll, was die da geschaffen haben und ich bin so stolz, das zu vertreten! Es gibt Leute, die sind in der ganzen Welt herumgereist und sagen, das ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Auch wenn es nicht meine Kirchgemeinde ist, aber für den Touristen macht das keinen Unterschied, der will was Authentisches von deiner Erfahrung – und du bist auf einmal wieder stolz, Siebenbürger Sächsin zu sein!“, freut sich die Fremdenführerin.

Und holt sich Ideen für Tekes: „Da war ein Besucher, ein Siebenbürger Sachse, der war seit 60 Jahren nicht mehr hier und jetzt kam er mit seinen Urenkeln, um ihnen die Heimat zu zeigen. So einer will nicht ins Hotel, der will im Dorf übernachten und spazierengehen und sagen, schau mal, da bin ich in die Schule gegangen und da hab ich als Bursche mit deiner Oma getanzt.“ Für solche Touristen eröffnet Angelika nun ihre eigene Pension: „Für Tekeser, die nach Hause kommen, aber kein Haus mehr haben. Aber auch für Wanderer an der Via Transilvanica oder für Familien, die einfach mal raus wollen aus der Stadt, in einen Garten, wo der Hahn kräht und man sich schnell mal eine Gurke holen kann.“

Da sieht sie sich auch in zehn Jahren, „mit viel Zeit, um all diese schönen Ecken, die ich hier mühevoll geschaffen hab, zu genießen“. Zum Abschied pflückt sie mir mitten in der Nacht eine Tüte mit Gurken und Zucchini voll. Ob sie wirklich für immer hierbleibt, weiß sie immer noch nicht, sagt sie lächelnd. Aber die Leute besser zurücklassen, als sie sie vorgefunden hat, das liegt ihr sehr am Herzen!