Eine Mittvierzigerin und ihr gesellschaftskritischer Zweitroman

Maria Orban aus Kronstadt schnitt in Hermannstadt das Mutter-Tochter-Differenz-Tabu an

„Ich bin ein Mensch in mehreren Welten und weiß nicht, wie sie zu manövrieren“, räumte Roman-Autorin Maria Orban im Humanitas-Buchhandlungs-Keller von Hermannstadt ein. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Erwachsene um die Lebensmitte, die eines, zwei oder mehrere Kinder haben, kommen irgendwann um das Gemeistert-Werden-Wollen einer spezifischen Herausforderung mit ordentlich viel Konflikt-Zündstoff nicht herum, und so, wie Schriftstellerin Maria Orban (Jahrgang 1978) der delikaten Frage nach dem Miteinander-Auskommen dreier Generationen ein und derselben Familie nachspürt, hat es im berührungsempfindlichen Rumänien des 21. Jahrhunderts noch niemand zuvor getan: selber etwa 40 Jahre alt zu sein und am kulturellen Spagat zwischen den eigenen Kindern und ihren Großeltern nicht zu leiden oder gar zu zerbrechen – dass Maria Orban durch diese biografisch gern heikle Erfahrung gegangen ist, bedeutet noch nichts Außergewöhnliches; sie ist allen Menschen gemein, die sich persönlich zur Elternschaft entschließen und ihren Wunsch danach verwirklichen. Das jedoch, was die in Kronstadt/Bra{ov geborene, studierte, lebende und für den Nemira-Verlag schreibende Autorin aus dem chronisch harten Dilemma gemacht hat, dem etliche Generationen teils sauren Tribut gezollt haben, zollen und bestimmt auch weiterhin unausweichlich zollen werden müssen, verdient Achtung. Donnerstagabend, am 9. Mai, hat Maria Orban in der Humanitas-Buchhandlung im verregneten Hermannstadt/Sibiu ihren Mitte Oktober 2023 auf den Markt gekommenen Zweitroman lanciert. „Toat² dragostea dintr-o fotografie ars²“ heißt er, und gemeint ist damit natürlich die für die Eltern-Kind-Beziehung wichtige Liebe aus dem verständlicherweise nicht unvorbelasteten Blickwinkel einer Vierzigjährigen, die sich im 104 Seiten zählenden Buch an der Erinnerung an ihre eigene Mutter abreibt, vom Personalausweis als Elena Oprea geführt wird und im richtigen Leben auf den Ruf- und Spitznamen Leia reagiert, den ihr Vater geprägt hatte.

Ergänzend und den eigentlichen Romanstoff vorwegnehmend die als deutlich kleinere Zusatzüberschrift mit auf das Cover gesetzte Frage, „wer wir sind, nachdem wir allein bleiben?“ („Cine suntem după ce rămânem singuri?“). Im für Buchvorstellungen wie perfekt geschaffenen Untergeschoss der Humanitas-Verlagsbuchhandlung Hermannstadts war Maria Orban auf dem Diskussions-Podium von Marin Mălaicu-Hondrari und Stammgast Radu Vancu flankiert, die dem Prosa-Können der Kronstädter Protagonistin die Qualität etwa eines Eugene Ionescu, eines Albert Camus und gar Samuel Becketts zusprachen. „Es tut gut, alleine zu sein, aber zu wissen, dass einen jemand liebt“, so der aus Sângeorz-Băi im Norden Siebenbürgens stammende Schriftsteller Marin Mălaicu-Hondrari (Jahrgang 1971), der sein schon recht lange Zeit zurückliegendes Umziehen von dort nach Bukarest als Gegenstück zum neuen Roman von Maria Orban darstellte: „Ein Dschungel von zwei Millionen Menschen, allesamt tot innen drin.“ („două milioane de oameni morți pe dinăuntru“). Im Buch „Toată dragostea dintr-o fotografie arsă“ hingegen, das in einem drei Wochen lang verschneiten Kronstadt spielt, stecke auch „eine Art Hassliebe zu den Eltern“, und Radu Vancu punktete mit dem Zitat von Gustave Flaubert, dass „Poesie Präzision bedeutet“, wo Maria Orban als Roman-Autorin ihre eigenen Gedicht-Zeilen nicht außen vor lässt. Von wem abends während der Vorstellung ihres Buchs der Satz fiel, dass „man aus dem Abenteuer, das sich ´Leben´ nennt, nicht ungeschoren davonkommt“, ist nachträglich zweitrangig – Hauptsache, er wurde ausgesprochen. Maria Orban schließlich als Autorin der fiktiven Einzelbiografie einer Frau und Mutter, „die sich nicht darauf versteht, Liebe zu empfangen, aber auch keine Liebe bieten kann“, fand als Menschenkennerin mitten an einem der besten Orte Hermannstadts den Mut zur Betonung, dass ihr Roman-Schreiben „nicht tröstend, sondern anstrengend“ war. Als Mutter räumte sie ein, „aufs Kontrolle-Haben versessen“ zu sein, und ihr neues Buch verfasst zu haben, „um meine Energie woanders hinzuleiten.“ Dass es vom Gedicht „Eure Kinder“ von Kahlil Gibran ausgeht, rührt alles andere als von ungefähr: „Eure Kinder sind nicht eure Kinder./Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht/des Lebens nach sich selber./Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,/Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.“