„Eingemauerte Ideologie“

Der Volkspalast in Bukarest

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Es ist das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt nach dem Pentagon, ein Andenken an die sozialistische Vergangenheit und den Verantwortlichen für dieses gigantische Bauwerk, Nicolae Ceaușescu, aber auch politisches Zentrum des demokratischen Rumänien als Sitz der Abgeordnetenkammer, des Senats, des legislativen Rats und des Verfassungsgerichts – und Haupttouristenattraktion, 181.605 Besucher waren es allein 2023: Auf den Volkspalast bzw. das „Haus des Volkes“ (Casa Poporului), der heute offiziell Parlamentspalast (Palatul Parlamentului) heißt, lässt sich aus vielen Blickwinkeln schauen. Ganz erfassen kann man ihn eigentlich nie.

Eine Besichtigung ist nur möglich im Rahmen einer organisierten Tour, für die man sich spätestens 24 Stunden vorher telefonisch anmelden muss. Die offizielle Website des Besucherzentrums, auf der die Öffnungszeiten und Telefonnummern (aktuell: 0733 558 102 bzw. 0733 558 103) stehen, lautet cic.cdep.ro. Bei der Anreise sollte beachtet werden, dass sich der Eingang für Besucher auf der zum Izvor-Park gelegenen Seite befindet.

Die offizielle Tour

Hat man diese Hinweise berücksichtigt und die Sicherheitskontrolle absolviert – Personalausweis nicht vergessen! –, steht einem eine 45 bis 60-minütige Tour auf rumänisch oder englisch bevor, die durch einige der repräsentativen Säle und Hallen des Gebäudes führt. Dass man insgesamt nur einen sehr kleinen Ausschnitt des Bauwerks sieht, ist angesichts von 365.000 Quadratmetern Grundfläche und der Belegung durch oben genannte Institutionen keine Überraschung.

Dass man trotzdem im Rahmen der Tour einige Bereiche sieht, in denen die Parlamentarier ihre Arbeit verrichten und man diese z. B. im Vorbeigehen bei einem Pressegespräch beobachten kann, ist erfreulich. So kriegt der Besucher ein Gefühl dafür, dass es sich nicht um ein Museum handelt, sondern um ein „lebendes“ Gebäude. Tatsächlich, so lernt man, werden auch die verschiedenen Prunksäle, durch welche die Tour führt, bei besonderen Anlässen, zum Beispiel hochrangigen politischen Empfängen, aber auch privater Natur – sie können gemietet werden – genutzt.

Der museumshafte Eindruck entsteht in Teilen durch den Charakter der Tour, die inhaltlich einen Schwerpunkt auf die verwendeten Materialien und deren Verarbeitung legt. Besonders hervorzuheben ist hier der – ohne Frage sehr schön anzuschauende – rumänische Marmor: Eine Million Kubikmeter sollen davon verbaut worden sein, in unterschiedlichen Farben, unter anderem ein rosa Marmor aus Rușchița. Ebenfalls bemerkenswert die Menge an Kristallglas (3500 Tonnen), welches in Mediasch in 480 Kronleuchtern verarbeitet wurde.

Es wird darauf hingewiesen, dass fast alle Baumaterialien – also auch Unmengen an Holz, Sand, Stahl, Bronze etc. – rumänischen Ursprungs sind. Eine Ausnahme stellt die Doppeltür am Eingang des Nicolae Bălcescu-Saals dar. Sie ist aus Mahagoni-Holz gefertigt, ein Geschenk des damaligen Herrschers von Zaire, Mobutu. Im Vorbeigehen erfahren wir, dass einige der in der Eingangshalle ausgestellten Gemälde von Ceaușescus Lieblingsmaler Sabin Bălașa stammen.

An dieser Stelle melden sich jedoch die ersten Zweifel an. Bewundert man hier nicht gerade eine extravagante Schönheit – Goldverzierungen dürfen dabei an vielen Stellen auch nicht fehlen –, die auf Kosten eines damals sehr armen Landes bzw. dessen Bevölkerung entstanden ist? Und: Sollten wir nicht mehr darüber reden, wie dieses Bauwerk entstanden ist und wofür es steht?

Die sozialistische Ideologie erfasst die Stadt

Zeit für ein Gespräch mit Andrei Popescu, einem Bukarester Stadtplaner, Blogger zu urbanen Themen (ideiurbane.ro) und Stadtführer für Touristen. In seiner Arbeit hat er sich intensiv mit der Umgestaltung der Stadt Bukarest durch Ceaușescus Plan zur Schaffung eines neuen „zivilen Zentrums“ befasst. Zum Treffen bringt er Fotos und Stadtpläne auf seinem Tablet mit.

Er hilft, das überdimensionierte Gebäude in den Kontext zu setzen: Den Volkspalast könne man nicht ohne die dazugehörigen, neu geschaffenen Boulevards verstehen. Denn dort – auf dem „Boulevard des Sieges des Sozialismus“, heute Bulevardul Unirii – hätten sich die Massen sammeln sollen, um dem obersten Genossen auf dem zentralen Balkon – von dort unten kaum noch zu sehen – zuzujubeln. Das, so Popescu, sei leitende Motivation des Alleinherrschers gewesen.

Der Schluss liegt nahe, dass das zivile Zentrum, wie es sich Ceaușescu vorstellte, mehr als nur der gesammelte Sitz der politischen Organe des Staates, nicht zuletzt der Parteizentrale samt darunter platziertem atomsicheren Bunker, sein sollte. In Teilen ein Privatpalast für die eigene Familie, im Allgemeinen eine Machtdemonstration des Regimes und Denkmal für den „Führer“ der Nation. Dafür spricht nicht zuletzt seine fast schon obsessive Beschäftigung mit dem Bauprojekt nach dessen Beginn – dazu später mehr.

Ceaușescus Vorstellungen zur Neugestaltung Bukarests waren Teil einer sozialistischen Idee, Städte dem System zu unterwerfen, welche Rumäniens urbane Räume maßgeblich und nachhaltig verändern sollte. Zum Einen wurden sie überzogen mit einer Monokultur an biederen Häuserblocks mit „Arbeiterwohnungen“, zum anderen bestückt mit Prestigeprojekten des Monumentalismus, wofür der Volkspalast nur das Paradebeispiel ist. Nicht zufällig fällt die Planung und Errichtung des Volkspalastes zusammen mit einer neuen Phase der Herrschaft – auch als Rückkehr zum Stalinismus betitelt, mit deutlicher nationalistischer Komponente und Personenkult –, die Ceaușescu 1971, inspiriert von einer Reise nach China, Nordkorea und Vietnam, mit seinen sogenannten Juli-Thesen einläutete, wie Popescu ergänzt.

Ein Erdbeben als Beschleuniger

Das große Erdbeben vom 4. März 1977 wirkt wie ein „Booster“ auf die Umsetzung von Ceaușescus Plänen. „Die Ruinen inspirieren ihn“, wie es in der Dokumentation „Architektur und Macht“ (1994), aus welcher auch das Zitat im Titel entnommen ist, etwas lapidar heißt. Noch im März verkündet Ceaușescu den Bau des neuen zivilen Zentrums in seinem Machtapparat.

Gleichzeitig heißt das nicht, dass der Boden bereitet wäre. Für die Restrukturierung des Stadtzentrums müssen erst einmal sieben Quadratkilometer des Uranus-Stadtviertels dem Erdboden gleich gemacht, über 10.000 Häuser zerstört und 50.000 Menschen umgesiedelt werden, ist nachzulesen in einer umfangreichen Reportage von Europa Liberă România aus dem März 2024. Erst 1984 findet die Grundsteinlegung statt, Nicolae und Elena Ceaușescu unterzeichnen zu diesem Anlass eine Erklärung, die ins Fundament eingelassen wird.

Das wertvolle architektonische Erbe dieser Gegend, darunter ca. 20 Kirchen, wird plattgemacht – mit Ausnahme einiger „geretteter“ Sakralbauten, die umgepflanzt werden, in den Schatten sozialistischer Häuserblocks. Mit den Worten einer anderen Fernsehdokumentation des TVR aus der Reihe „Mahnmal der Schmerzen“ (Memorialul durerii) im Jahr 2012: „In den 80er Jahren bereitete sich das alte Bukarest unter dem Bulldozer der Systematisierung darauf vor, Stück für Stück zu sterben“.

Das Erdbeben soll letztlich auch den Ausschlag gegeben haben für den Standort des Volkspalastes, im offiziellen Sprachgebrauch damals „Casa Republicii“ – also „Haus der Republik“. Der Arsenal-Hügel – schon früher als Option im Gespräch – wird dem Diktator als besonders erdbebensicher empfohlen. Dass die Gegend vom Erdbeben 1977 kaum betroffen war, wie im erwähnten Artikel von Europa Liberă festgehalten wird, rettet sie nicht vor der Zerstörung.

„Die Frau, die in den Volkspalast eingemauert ist“

Für die Umsetzung seiner architektonischen Ansprüche brauchte Ceaușescu in erster Linie Expertise. Hier kommt eine Frau ins Spiel, die 1977, als der erste Architekten-Wettbewerb ausgerufen wurde, gerade einmal 28 Jahre alt war – Anca Petrescu, geboren in Schäßburg/Sighișoara. Ihre Geschichte und die des Volkspalastes – beide sind untrennbar miteinander verbunden – werden in einer monumentalen dreiteiligen Artikelserie, erschienen 2024 in „Scena 9“, mit dem Titel „Die Frau, die in den Volkspalast eingemauert ist“ erzählt. Zudem enthält die oben erwähnte TVR-Doku Auszüge aus einem Interview, welches im Jahr 2001 mit ihr geführt wurde.

In diesem erzählt sie, wie ihr Mentor der Bukarester Architektur-Fakultät sie damals ermuntert, eine Truppe aus weiteren Absolventen aufzustellen – das spätere „Kollektiv der Jugend“ – und einen Entwurf für das zivile Zentrum einzureichen. Einige Zeit später wird Anca Petrescu trotz weitaus namhafterer Konkurrenz tatsächlich Chef-Architektin des Projekts, ausgewählt vom Herrscher persönlich. Ihr Umgang mit Ceaușescu wird von Beginn an Gegenstand von Kritik an ihrer Person sein. Darüber hinaus wird ihr eine Verwandtschaft mit der Ceaușescu-Familie angedichtet.

Ihren Erfolg erklärt sie im Interview mit dem Mut und Enthusiasmus der Jugend, die es gebraucht hätte, um einen entsprechend kühnen Vorschlag zu unterbreiten. Den Vorwurf des Größenwahns wehrt sie ab. Befragt dazu, sucht sie kurz nach dem für sie passenden Begriff, um – Petrescu besuchte ein deutsches Gymnasium – diesen dann zunächst auf Deutsch zu sagen: „Großzügigkeit“ sei das leitende Prinzip hinter dem Bau. Gleichzeitig räumt sie ein, dass das Gebäude eigentlich nicht ganz so groß sein sollte, wie es dann geworden ist.

Wie es dazu kam, wurde vielfach beschrieben. Der oberste Bauherr persönlich besuchte in regelmäßigen Abständen die Baustelle, um nach dem Rechten zu schauen. Dabei fiel ihm jedes Mal etwas anderes ein, was noch geändert oder ergänzt werden musste – ein Raum hier, ein Kronleuchter da, sogar der neue Boulevard musste nach einer Eingebung des Diktators nachträglich verlängert werden. Ungünstigerweise konnte Ceaușescu mit den Bauplänen nichts anfangen, so mussten ihm zu allen möglichen Gebäudeteilen eins zu eins Modelle vorgelegt werden, eine unglaubliche Verschwendung an Zeit, Arbeitskraft und Materialien.

Ein Teil der Kritik an Petrescu – vor allem von Berufskollegen vorgetragen – bezieht sich darauf, dass sie das alles mitgemacht habe, ohne zu versuchen, Ceaușescu zu bremsen, was nicht nur zu maximalem Prunk und Kitsch geführt habe, sondern auch zu einer „Kakophonie“ an unterschiedlichen Stilen und Elementen, welche ästhetisch schwer zu ertragen sei.

Das Haus der Republik wird zum Volkspalast

Möglich war das auch, weil die Kalkulation von Ressourcen und Arbeitskraft scheinbar keine Rolle spielte. Über die gründlich abgeschöpften Bodenschätze haben wir bereits gesprochen. Handwerker und Spezialisten aus dem ganzen Land wurden einbestellt, so dass überall anders die Baustellen stillstanden. Soldaten und Häftlinge wurden zur Arbeit abkommandiert, insgesamt sollen täglich 20.000 Arbeiter auf der Baustelle tätig gewesen sein, teilweise in drei Schichten. Das alles fand in einer Zeit statt, in der die Bukarester froren und hungerten.

Die Bedingungen müssen für die einfachen Arbeiter schrecklich gewesen sein, sie wurden der breiteren Bevölkerung 1992 durch Ioan Popas Buch „Robi pe Uranus“ (Sklaven in Uranus) offengelegt. Gleichzeitig gibt es Statements ehemaliger Facharbeiter, die mit Stolz auf ihre Tätigkeit zurückblicken. Diese habe eine in Rumänien einzigartige Gelegenheit geboten, bestimmte Fähigkeiten zu entwickeln. Die große Mehrheit dürfte allerdings den rosa Marmor aus Rușchița nicht zwischen die Finger bekommen haben.

Der weitere Verlauf ist größtenteils bekannt und unter diesen Umständen doch einigermaßen überraschend. Als Ceaușescus Zeit zu Ende war, war sein Palast noch lange nicht fertig. Auf besagtem Balkon tauchte irgendwann stattdessen Michael Jackson auf. Nach anfänglichen Überlegungen, das unfertige Gebäude abzureißen, sich des Kolosses aus der Vergangenheit zu entledigen, brachte – so erklärt es mir Andrei Popescu – ein Tag der offenen Tür die Wende.

Nachdem die gespannte Bevölkerung 1990 erstmals das Innere besichtigen konnte, lernte sie das Gebäude zu akzeptieren bzw. sogar Stolz darauf zu sein. Mit den Worten der TVR-Dokumentation: „Die Schätze aus dem Inneren machten die Rumänen sprachlos, Casa Republicii wird zu Casa Poporului, weil es aus den Opfern von Millionen Menschen entstanden ist“.

Damals wie heute weckt das Gebäude mit den vielen Namen unterschiedliche Gefühle in der Bevölkerung – vom Stolz auf das Erbrachte bis zum Schmerz des Verlorenen –, genauso wie seine Ästhetik unterschiedlich bewertet wird. Dazu kommen diverse Assoziationen, die seine gegenwärtige bzw. ursprüngliche politische Funktion auslösen – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man schaut.