„Er war so kontrovers! Ich wollte die Wahrheit herausfinden“

Historiker Rüdiger von Kraus über seine Forschungen zu Nicolae Malaxa in den USA

Nicolae Malaxa, geb. 24.12.1884 in Huși (Vaslui), gest. 1965

Der Historiker Rüdiger (Rick) von Kraus Foto: privat

Geschichtsinteressierte Leser werden aufhorchen beim Namen Rüdiger von Kraus: Im Mai 2019 haben wir die über 300-jährige Familiengeschichte des in die USA ausgewanderten Siebenbürger Sachsen vorgestellt, beginnend mit Thomas Kraus aus Fogarasch/Făgăraș, der 1702 von König Leopold I. geadelt wurde und sich fortan „von Kraus“ nennen durfte. Thomas hatte in der Schlacht von Zenta, bei der die Osmanen vernichtend geschlagen wurden, an der Seite von Prinz Eugen gekämpft.  Das Buch, auch auf Deutsch unter dem Titel „Handwerker und Adlige“ erschienen, war Rüdiger von Kraus Masterarbeit in Geschichte an der Harvard Universität in Boston (USA). Drei Jahre später erschien in der ADZ ein weiteres seiner Harvardschen Forschungsthemen: Darin ging es in fünf Folgen um die Mongoleneinfälle in Siebenbürgen. Im vorausgegangenen Interview „Ein Sachse auf den Spuren der Mongolen“ (18. Februar 2022) hatte Rüdiger von Kraus schon damals erwähnt, auch über den berühmten rumänischen Großindustriellen Nicolae Malaxa zu forschen. Als er im Sommer 2024 die ADZ-Redaktion besuchte, erzählte er Chefredakteurin Nina May vom dem fast fertigen Manuskript. Im Dezember 2024 kam dann die gute Nachricht: Das Buch soll in Kürze im rumänischen Corint Verlag erscheinen.

Wie kamen Sie auf die Idee, das Leben des Schwerindustriellen Nicolae Malaxa zu erforschen?

Als Kind, mit elf oder zwölf Jahren, hörte ich meine Geschwister sagen, sie arbeiten bei „Șase Martie“ oder „Malaxa“. Der sechste März war allen ein Begriff - der Tag der Freiheit. Aber Malaxa? Das war der Mann, der diese Fabrik in Tohanu Vechi besessen hatte, wo viele Sachsen aus der Umgebung arbeiteten. In der Schule wurde man indoktriniert: Das war ein Ausbeuter!

Ich bin dann später in die Staaten gegangen und selbst ein „Ausbeuter“ geworden... und habe erfahren, dass Nicolae Malaxa, in der Zwischenkriegszeit einer der  bedeutendsten Rumänen, ebenfalls in den USA gelandet ist. So sagte ich mir, wenn ich mal Zeit habe, will ich das im Rahmen meines Studiums erforschen.

Was führte dann konkret dazu?

Ich habe nach einer Zeit, in der ich zuerst selbst ausgebeutet wurde, wie viele Einwanderer - 2,25 US-Dollar die Stunde, ein paarmal habe ich meine Entscheidung, Rumänien zu verlassen, verflucht - Karriere in der Plastik-Industrie gemacht. Nach zwei Studien - Philologie und MBA  - und vielen Jahren im Beruf hatte ich dann 2012 endlich begonnen, an meinen wahren Träumen zu arbeiten: Ich habe ein Studium der Geschichte an der Harvard Universität begonnen. Die haben so eine Abteilung für Leute wie mich, die im Alter weiterstudieren wollen. Das war eine große Freude für mich! Die haben sehr gute Lehrer, ich habe nur die allerbesten Erfahrungen gemacht. Das sind Leute, die haben zehn oder 20 Bücher geschrieben, aber in Harvard wirst du nie als dumm angesehen, wie überall sonst, sie sind immer offen: Hast du was nicht verstanden – ich erklärs dir, komm!

Nach meiner Masterarbeit hatte ich dann die Idee, mich endlich mit Malaxa zu befassen. 1993 hatte der US-Kongress entschieden, alle Dokumente der Behörden – CIA, FBI, Immigration and Naturalization Service, State Department - zu Malaxa und allen, die angeblich mit den Nazi kollaboriert hatten, zu deklassifizieren, also hatte ich Zugang  zu tausenden Dokumenten, die ich gebraucht habe, um die Geschichte aufzuarbeiten.

Was hat Sie besonders fasziniert an Malaxas Schicksal?

Er war so kontrovers! Alles, was ich über ihn gelesen hatte, war gegensätzlich. Einige bezeichneten ihn als ganz großen Menschen - andere sagten, er war korrupt. Ich wollte die Wahrheit herausfinden. Außerdem wurde er angeklagt von der rumänischen Diaspora in New York: Er habe mit den Nazis und mit den Kommunisten und mit der Gefolgschaft von König Carol II. zusammengearbeitet. Dazu gibt es tausende Dokumente, Korrespondenz zwischen den Behörden, gegenseitige Anfragen. Ich habe diese Dokumente auf einer Internet- Seite namens „Internet Archiv“ gefunden und angefangen, zu sichten und dachte: Oh Gott, damit wirst du nie fertig!

Dann habe ich beschlossen, nicht sein ganzes Leben, sondern bloß seine Zeit in den USA zu beleuchten und die rumänische Zeit nur wo nötig hi-neinzuflechten. Daran habe ich zwei Jahre intensivst gearbeitet und bin im Sommer 2024 mit dem Buchmanuskript herausgekommen. Der Corint Verlag hatte mir damals schon zugesagt, aber sie wollten noch ein Kapitel über seine Aktivitäten in Rumänien, das ich in der Zwischenzeit dazugeschrieben habe.

Sie sagten, Malaxa sei in den USA nicht sehr erfolgreich gewesen. Woran lag das?

In Rumänien ist Malaxa von Geburt an „im System“ gewesen: Er hat gewusst, wie man Geschäfte macht. Aber Amerika ist ein fremdes Land. Man verliebt sich mit der Zeit... aber am Anfang ist es fremd, viel fremder als Frankreich oder Deutschland oder Schweden.

Malaxa ist spät in die USA gekommen: 1884 geboren und im September 1946 ausgewandert, also in einem Alter, wo man nicht mehr so aufnahmefähig ist für neue Ideen. Er hat zwar sehr auf seine Berater gehört, aber die musste er alle bezahlen und das war sehr kostspielig. Und so ist keines seiner Geschäfte, obwohl er genug Geld hatte, ein Erfolg geworden. Außerdem ist er immer wieder angeklagt worden, in vielen Fällen aufgrund von Berichten an das FBI und andere Behörden, von Rumänen der hiesigen Diaspora. Er soll mit den Nazis zusammengearbeitet haben. Er hat sich gewehrt durch Anwälte, aber die sind auch nicht billig. Auch seine Geschäfte wurden immer wieder angegriffen durch Anwälte.

Warum ist er überhaupt in die USA ausgewandert?

Teilweise wegen des Kommunismus, ein ganzes Kapitel in meinem Buch handelt davon. Es war die „time of ambiguity“, die unklare Zeit, wo er noch nicht wusste, was da geschehen würde. Stalin sah damals noch die Möglichkeit einer Kombination von Kommunismus mit freien Wahlen und auch Malaxa wusste, das war keine komplett unannehmbare Idee. So hatte er immer Hoffnung - bis dann Petru Groza kam und diese Hoffnungen zu schwinden begannen. Rumänien war damals schon unter Kontrolle der Roten Armee.

Was war das Erfolgsgeheimnis von Nicolae Malaxa als Unternehmer in Rumänien?

Malaxa hatte das Talent, aus nichts etwas zu machen. Er hatte in Deutschland Elektrochemie und Maschinenkunde studiert, ein Onkel hatte ihm dabei geholfen, weil sein Vater früh verstorben war. Danach hat er eine Firma für Pflanzenöl in Bârlad gegründet. Pflanzenöl galt damals in den USA, 1911, als stabile Industrie, der Markt hat sich in wenigen Jahrzehnten tausendfach vergrößert, Malaxa hätte damit großen Erfolg haben können, aber die Distribution in Rumänien war nicht gut.  

Er hat dann für die Eisenbahn „Căile ferate“, die CFR, gearbeitet, das war eine staatliche Firma. Und hat dabei festgestellt, dass diese - wie alle staatlichen Firmen - Schwierigkeiten hatte mit schnellen Reaktionen auf Probleme.  So hat er sich selbstständig gemacht, um diese Dinge für die CFR zu tun. Malaxa hat existierende Ideen nach Rumänien gebracht und erfolgreich lokal ausgebaut, aber er war nicht der Erfinder. Und: Er kannte die Leute von der CFR, hat mit diesen zusammengearbeitet, hat sogar einen in seiner Firma angestellt, und so bekam er von CFR den Zehnjahresvertrag für Passagierzüge, die der CFR damals zu teuer kamen - es waren zu lange Züge mit schweren Dampfloks. So hat Malaxa 2500 Züge mit Dieselloks an die CFR geliefert. Eine Zeitung hat damals beklagt, er sei zu teuer im Vergleich mit Deutschland und Frankreich - aber er hatte intelligente Lösungen und deshalb hat man mit ihm weitergemacht. Er hat viel dabei verdient und wurde auch der Korruption bezichtigt. Also, das war sein Grundgeschäft, die Lieferung von Loks und Waggons an die CFR.
In den 30er Jahren wurde dann die Aufrüstung in Rumänien wichtig. Da hat er eine Munitionsfabrik in Tohan, Z²rne{ti, gegründet und aufgebaut. Er wurde immer reicher. Das war übrigens die Fabrik, in der später meine Geschwister gearbeitet haben, aber nicht in der Munitionsabteilung sondern in einer neuen, dazugelegten Fahrradabteilung.

Welche Rolle spielte Malaxa dann im Zweiten Weltkrieg?

Als Deutschland ins Land kam, Mitte der 30er Jahre, und Frankreich auf einmal über Nacht weggebrochen war, wo doch Carol II. vorher noch so begeistert war, weil die Verbindung mit Frankreich „eine natürlichere“ war, fand sich Rumänien plötzlich vor die Frage gestellt, was tun? Mehr und mehr hat man sich dann auf die deutsche Seite geschlagen. Antonescu war dann 100- prozentig dafür.

Für Malaxa war das ein Problem, denn Antonescus Bedingung war: keine Korruption! Malaxas Geschäfte wurden alle akribisch hinterfragt. In dieser Zeit hat er zwei Buchhaltungen geführt, eine offizielle und eine andere: Den Prüfern wurden viel niedrigere Profite gezeigt. Das Problem war nur: Damals musste man korrupt sein, sonst hätte man all diese Dinge nicht schaffen können!

Was ist dran an der Anschuldigung, Malaxa hätte mit den Nazis zusammengearbeitet?

Er hat nicht auf die Art und Weise mit den Nazis mitgearbeitet, wie er von seinen rumänischen Landsleuten in den USA angeklagt worden ist. Das Einzige was wahr ist: Er hat die Eiserne Garde finanziell unterstützt und als Waffenhersteller hat er ihnen auch Waffen verkauft. Dass er aber eine Hand im Spiel gehabt hätte bei der Ermordung von Juden - und sie haben gewütet in Rumänien, haben hunderte oder tausende Juden umgebracht - das war er imstande, zu verneinen.

Viele haben damals die Eiserne Garde unterstützt, das war die Zeit. Der Hass auf Juden war im ganzen Land, man schrieb ihnen alles erdenklich Schlechte zu und dass sie das Geld kontrollieren. Das war aber nicht nur in Rumänien so, sondern auch in Polen und in der Ukraine. In der Ukraine hat es schon früher Pogrome gegeben, etwa zwischen 1648 und 1649, als die polnischen Großgrundbesitzer von Gütern in der heutigen Ukraine dort Juden als Verwalter eingesetzt hatten und die haben die lokalen Leute ausgebeutet, daher kam der Hass. Zwischen 1791 und 1917 lebte ein Drittel der Juden Europas in der heutigen Ukraine im sog. Ansiedlungsrayon. Diese starke Konzentration machte sie zu einem leichten Ziel für antijüdische Aktionen und Progrome. Antisemitismus gab es in ganz Osteuropa.

Auch der Schwiegersohn von Malaxa,  der erste Nobelpreisträger Rumäniens (Anm.: der Zellbiologe George Emil Palade, der dessen Tochter Irina „Lulu“ geheiratet hatte), der ein paar Monate vor ihm mit Frau und Tochter in die Vereinigten Staaten ausgewandert ist, war Sympathisant der Eisernen Garde.
Malaxa selbst kam zu einer Zeit in die USA, wo dieses Thema besonders von der jüdischen Gemeinschaft, die dort überproportionale Macht hat im Vergleich zu ihrer Anzahl, stark überhöht wurde.  Obwohl es andere gab, die wirklich mitgemacht haben und viel schlimmer...  Malaxa ist aber auch in deren Visier geraten, weil er mit den Deutschen gearbeitet hat. Die Anklagen lauteten, er habe mit Göring zusammengearbeitet.

Mit Hermann Göring, der die „Endlösung der Judenfrage“ in Auftrag gegeben hatte?

Die Wahrheit ist - (lacht) : Er hat nicht mit Hermann, sondern mit Albert Göring zusammengearbeitet! Das ist der jüngere Bruder und der war ein Anti-Nazi! Ein ganzes Kapitel hab ich über diesen Albert geschrieben. Der ist immer zu seinem großen Bruder gegangen, wenn er Schwierigkeiten mit der Gestapo hatte, und der hat ihm rausgeholfen, immer. Obwohl er wusste, dass Albert politisch gegen ihn war. Albert war nie ein Nazi, darüber hat ein australischer Autor ein Buch geschrieben, der hat alles recherchiert. Als die Amerikaner ihn in Österreich gefangengenommen haben, hatte Albert eine Liste bei sich mit 34 Namen, das waren die wichtigsten Leute, denen er geholfen hatte, die meisten davon Juden. Damit wollte er beweisen, dass er keiner der Nazis war.

Hat man Albert Göring das abgenommen?

Die Amis fanden das zuerst nicht sehr glaubhaft. Später aber kam dann auch ein US-Offizier ins Spiel und ein Verwandter von Franz Lehar, der schrieb, er wisse von einem Fall aus seiner eigenen Familie, wo Göring geholfen hatte. Da wurde ihm endlich geglaubt.

Es ging um die Frau von Franz Lehar: Sie war Jüdin und die Lokalen in Österreich haben gefordert, die Frau müsse weg, er solle sich scheiden lassen. Und dies obwohl Hitler und Himmler und all die anderen seine Operette „Die lustige Witwe“ sehr gern hatten. Bald konnte Lehar wegen seiner Frau nicht mehr auf die Bühne. Da hat er Albert ins Spiel gebracht, der speziell dafür aus Bukarest nach Wien gekommen war. Dieser wandte sich dann an seinen Bruder Hermann und der sagte ihm, er solle den Himmler anrufen. Himmler aber fragte Albert: Warum sind Sie nicht gleich zu mir gekommen? Und gab ihm einen Brief mit, der Lehars Frau als „Ehren-Arierin“ auswies!

Ein anderes Beispiel: Albert Göring lebte lange Zeit in Prag, denn die Skoda-Werke hatten ihn als Verantwortlichen für den ganzen Osten für die Göring-Werke eingesetzt. Skoda und die Brünner Werke unterstanden Albert Göring, unter der Schirmverwaltung seines älteren Bruders. Die Skoda-Leitung hatte Albert Göring selbst ins Spiel gebracht, denn sie wussten um seine Haltung gegen die Nazis, die aber wollten, dass ein deutscher Manager das alles übernimmt. Albert war also lange Zeit in Prag und hatte dort einen Arzt, dessen Frau ihn eines Tages um Hilfe bat, weil die Gestapo ihren Mann ins Lager gebracht hatte. Er schrieb dann selber eine Aufforderung auf einen Zettel des Notizbuchs, der das Goering-Familienwappen trug, an die Lagerleitung. Und der Arzt wurde entlassen, weil „der Göring“ persönlich geschrieben hatte! Aber eben der Albert, nicht der Hermann...Und da zwei Insassen gleichen Namens vorhanden waren, wurden beide entlassen, obwohl der Zweite ein verbissener Kommunist war.

Wann wird das Buch in rumänischer Sprache erscheinen? Wird es eine Buchpräsentation in Bukarest geben?

Corint hat es für das erste Trimester 2025 vorgesehen, und ja, es wird eine Präsentation geben, wahrscheinlich wieder im Jockey Club, wo es auch für mein erstes Buch in rumänischer Sprache geschah.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.