Wagenräder versinken im Schlamm. Schon wieder drohen dunkle Wolken am Himmel. Noch eine Kurve nach oben, hoffentlich kommt uns nichts entgegen! Auf dem Plateau ein Blick nach unten: rostrote Ziegeldächer, bunte Häuserfassaden, die sich herausgeputzt aneinanderschmiegen, an fast jeder zweiten prangt das hier so typische Kranzsymbol. Gänseschar am Bach. Die steinerne Kirche, davor eine schläfrige Herde schwarzköpfiger Schafe. Eigentlich ist Malmkrog/M˛lâncrav ein Dorf, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Oder – doch nicht?
Wir parken vor dem Apafi-Schloss: rosa mit weißen Säulen, schmuck restauriert. Küchenkräfte und Techniker eilen ein und aus. Drinnen: antike Möbel, kristallene Lüster, eine riesige Bibliothek. Davor wird gerade ein schneeweißes Klavier im Wald aufgestellt. Zeltplanen, Stehtische, Ausstellungspaneele geben einen Vorgeschmack auf das bevorstehende Event. Erste Gäste trudeln ein, wie gefordert „garden chic“ gekleidet. Wärmepilze umstellen die Büffet-Insel. Eigentlich ist es viel zu kalt für ein Fest im Freien. Aber „eigentlich“ gilt heute nicht…
25 Jahre lebendes Kulturerbe
Am Samstag, dem 11. Oktober, feiert man in Malmkrog 25 Jahre seit der Gründung des Mihai Eminescu Trusts (MET) – und was wäre wohl ein passenderer Ort für eine Stiftung, die sich mit holistischem Konzept in siebenbürgischen Dörfern einsetzt, in dem Denkmalschutz, Handwerk, Kulturlandschaft, Naturschutz, nachhaltige lokale Wirtschaft, Traditionen und sozialer Zusammenhalt Hand in Hand gehen? Unter dem Titel „Eigenständiges Dorf“ hat MET seit seiner Gründung im Jahr 2000, unter 14-jähriger Schirmherrschaft des heutigen Königs Charles III. von Großbritannien, über 1300 Projekte in zehn Landeskreisen, 96 Dörfer und sechs Städte umfassend, durchgeführt. 25 davon wurden symbolisch für die Ausstellung ausgewählt, die den ausgedehnten Schlossgarten auf 25 Tafeln ziert – eine für jedes Jahr. In dieser Zeit wurden über 700 historische Gebäude rehabilitiert – Höfe, Scheunen, Kirchenburgen, auch das Apafi-Schloss, heute im Besitz des MET, über 400 Dorfleute in traditionellen Handwerken ausgebildet, über 60 Kleinunternehmen im Bereich Tourismus gefördert, mehr als 14.000 Kinder und Jugendliche in Programme zu Denkmalschutz, Naturschutz oder Freiwilligenarbeit für die Gemeinschaft eingebunden und drei Millionen Bäume gepflanzt. Im Detail informiert die Broschüre „25 ani de patrimoniu viu“, die auf den zum Sitzen einladenden Strohballen ausliegt, über all diese Projekte.
Der britische Botschafter Giles Portman kommt leicht verspätet an – auch der Wagen seiner Exzellenz ist im Schlamm stecken geblieben – und übermittelt direkt aus dem Buckingham-Palast die „very good wishes and congratulations“ von König Charles III.
Im Einsatz für „unsere Dörfer“
MET-Präsidentin Caroline Fernolend eröffnet die Feier auf den Treppen des Apafi-Palasts. Ruft anwesende Vorreiter, Gründer, Helfer und Förderer im Laufe der Jahre an ihre Seite: Jessica Douglas-Home, Präsidentin des Londoner Pendents der Stiftung, die schon zu Ceau{escus Zeiten verfolgte Dissidenden und Akademiker unterstützt und auf die Lage der siebenbürgischen Dörfer hingewiesen hatte. Sie war es auch, die nach der Wende den damaligen Kronprinzen für das Projekt begeistern konnte. Mary Walsh, die Vizepräsidentin von MET London, die sich „neben fünf Kindern 25 Jahre lang um die Stiftung gekümmert hat“. Oxford-Professor Noel Malcolm und der Londoner Architekt Jeremy Amos, beide Mitglieder des Direktorenrats. Colin Richards, Spezialist für Restauration, der sagt, sein Leben habe sich verändert, seit er sein Wissen an junge Handwerker in Rumänien weitergeben durfte.
Die Vertreter der Horizon Foundation, die Pilotprojekte finanzierte, „die keiner sonst finanziert hätte“. Erst wenn sie erfolgreich waren, konnte man auch anderswo Finanzmittel beantragen. „Viele Meetings mit lokalen Dorfgemeinschaften waren nur dank ihrer Hilfe möglich“, sagt Caroline Fernolend. So konnten Multiplikatoren identifiziert werden, die die Dorfgemeinschaften wiederbeleben und dafür sorgen sollten, dass sie den Wert des lokalen Kulturerbes verstehen und nutzen lernen. Immer wieder sagt sie „unsere Dörfer“. „So sagen wir, weil wir so fühlen!“
Acht Kinder hätte sie sich gewünscht, gesteht Caroline Fernolend bei der Vorstellung ihres Teams, zu dem auch Tochter Ursula gehört, „das schönste Geschenk meines Lebens“. Ursula, auf die sie selten nach der Schule mit dem warmen Essen gewartet hat, wie andere Mütter. Die alle Phasen des Projektes kennt und ihre Mutter darüber hinwegtröstet: „Die Dörfer sind doch deine Kinder.“
Auch ihren bereits ausgewählten Nachfolger – „irgendwann, nicht jetzt!“ – stellt sie dem Publikum vor: den Malmkroger Sandel Neagu. „Sandel war ein Junge, der lieber Bücher las als mit anderen Kindern zu spielen“, beschreibt sie den langjährigen Freiwilligenhelfer, heute Jurist und im Direktorenboard des MET.
Mit im Boot sitzt auch Michaela Türk, vor 15 Jahren vom Rathaus Schäßburg ins MET-Team „übernommen“, die jetzt die Guidelines für die Aktivitäten erarbeitet. Sie hat auch die Ausstellung konzipiert: 25 ausgewählte Projekte in häuschenförmigen Rahmen, mit Texten und Fotos „als Fenster, durch die man einen Blick auf je eine Gemeinschaft werfen kann“. Beispiele sind: das Volontäre-Haus im Malmkrog oder der „Handwerks- und Kulturweg“, der die Werkstätten der Korbflechter, Weber, Schneider, Ziegelmacher und Zimmerer verbindet; die „inklusive Scheune“ für Aktivitäten mit Roma-Kindern in Arkeden; das „Woodpasture“-Projekt auf der Breite, dem Reservat mit den hundertjährigen Eichen, mit Naturschutz- und Bildungsinitiativen; das Leadership-Programm „Vom Nachbarvater zum lokalen Leader“ mit Dorfparlament in Deutschweißkirch, oder das „ECOM Villages“-Projekt für inklusive wirtschaftliche Chancen in multiethnischen Dörfern. „Die Projekte haben viele Leben von Familien in Dörfern verändert“, resümiert Caroline Fernolend.
Der verräterische Zementgeschmack
Die Arbeit von MET basiert auf drei Säulen: 1. Bauliches Kulturerbe und Kulturlandschaft – Restaurierung mit traditionellen Techniken und Materialien im Einklang mit der Natur. 2. Lebende Gemeinschaften – denn ohne sie wären die Dörfer und Kirchenburgen tote Museen; die junge Generation soll für die Pläne begeistert, motiviert und ausgebildet werden. Und 3. das Fördern von lokalem Kleinunternehmertum – nach-haltige Landwirtschaft, traditionelles (Kunst-)handwerk, Gastronomie und Tourismus. Immerhin liegen einige Dörfer – so auch Malmkrog – an der Via Transilvanica, ein inzwischen gut medialisierter Weitwanderweg durch ganz Rumänien, der deutlich mehr Touristen bringt. Derzeit stehen neben Malmkrog die Dörfer Deutschweißkirch/Viscri, Deutschkreuz/Criț, Almen/Alma Vii, Arkeden/Archita und Reichesdorf/Richi{ im Fokus des MET.
MET halte mit der Kombination von Denkmalschutz mit sozialen Projekten, Kultur und Geschichte „eine Lektion für alle in Rumänien“ bereit, lobt Ștefan Bâlici, Präsident des rumänischen Architektenordens, früher Leiter des Denkmalschutzamtes. Er erinnert an die Restauration des Apafi-Schlosses: „Als ich zum ersten Mal hier war, war das Gebäude eine Ruine – heute ist es ein Musterbeispiel.“
TV-Präsentatorin Andreea Esca hat in einem Medienprojekt für die Jugend, in dem man ein persönliches Vorbild präsentieren sollte, Caroline Fernolend ausgewählt. Über deren Strenge bei den von MET durchgeführten Restaurationen erzählt man folgende Anekdote: Ein Handwerker hatte gerade Mörtel in den Apafi-Palast gebracht, doch weil ihr die Farbe komisch vorkam, fragte sie ihn, ob denn da auch wirklich kein Zement drin sei – was der Mann sehr bestimmt verneinte. Da probierte sie von der Masse, und als sie den säuerlichen, typischen Zementgeschmack auf der Zunge spürte, musste er es schließlich zugeben: nur ein ganz, ganz kleines bisschen hatte er beigemischt! Doch die Wand musste neu verputzt werden...
Menschen, Projekte, Sehenswürdigkeiten
Michaela Türk führt die Besucher durch das Dorf, verweist auf das Kranzsymbol an fast jeder Fassade – daran hatte sich seinerzeit MET mit seinem Logo inspiriert. Was es darstellt ist nicht ganz klar: einen Ährenkranz – etwa mit Äpfeln? Denn auf Ungarisch heißt Malmkrog „Alma kerek“, das bedeutet „Apfel“ und „Kranz“. Eine andere Namensvariante stellt Ex-Außenminister Emil Hurezeanu zur Diskussion: Bei der Auszeichnung von Cristi Puius Film „Malmkrog“ 2018 auf der Berlinale, er sei damals Botschafter in Berlin gewesen, habe man erklärt, der Name käme von Flussufer (rum.: mal) und Krieg.
In leichtem Nieselregen schlendern wir am hölzernen Feuerwehrhaus vorbei, der einzige von MET unterstützte Neubau, doch habe es sich um ein von der Dorfgemeinschaft initiiertes Projekt gehandelt. Deutsche Feuerwehrpartner hatten ihnen ein Feuerwehrauto versprochen, doch nur wenn eine Garage vorhanden sei. Der Bürgermeister hat für den Bau das Holz gespendet. Im Hof gibt es außerdem einen Trainingsplatz für die Feuerwehrleute.
Wir halten im inzwischen strömenden Regen am Haus von Elena Pascu, die uns in ihrem Weberatelier empfängt, ein behaglich beheizter Raum mit drei Webstühlen, von ihrem Mann selbst gebaut. Dort fertigt sie auf Bestellung Läufer, Tischdecken, aber auch ganze Trachten nach beliebiger Vorlage, einschließlich Weben und Besticken. Für ein Hemd braucht sie mehrere Monate! Trachten waren früher so wertvoll, dass sie per Testament vererbt wurden, erklärt die Weberin. Außerdem hat Nelu Pascu einen faltbaren Webstuhl entworfen, den sie bequem in ihrem Kleinwagen verstauen kann, wenn sie zu Workshops nach Schäßburg oder überland fährt. Zweimal die Woche kommt zudem eine Gruppe Mädchen in ihr Atelier, um ihre Kunst zu erlernen. Darunter auch Johana, Schülerin des Schäßburger Haltrich-Lyzeums, die nächstes Jahr in Klausenburg/Cluj-Napoca Modedesign studieren will. Sehr zur Freude von Elena Pascu, denn Johana will auch ihre Webkunst und Trachtenstickerei in ihre künftigen Kreationen einbinden.
Dass die Via Transilvanica sich spürbar bemerkbar macht, finden die Betreiberinnen der lokalen Gastro-Punkte „În bucătăria mamei“ (Haus 277) und „La LuciCu]a“ (Haus 59), an deren Häusern wir zwar vorbeischlendern, spontan einkehren kann man jedoch nicht. Am Folgetag treffen wir sie auf dem Malmkroger Apfel-Festival, wo sie im Schlossgarten hausgemachte Kuchen, Mici und Grillwürste feilbieten. Die Touristen hätten sich daran gewöhnt, dass sie vorher reservieren müssen, erklärt Cu]a, die den Kleinbetrieb mit ihrer Schwester Luci führt.
Wie in den meisten Dörfern ist die Kirchenburg der Kondensationskeim, um den alle Aktivitäten kreisen – nur dass es in Malmkrog streng genommen keine Burg ist, wie Restaurateur Lorand Kiss erklärt. Denn die Malmkroger hätten nicht das Recht gehabt, ihre Kirche zu befestigen, so sei sie im Original erhalten geblieben, auch wenn später Wehrtürme und Mauer hinzugefügt worden seien. Außerdem ist die im 14. Jahrhundert von der Adelsfamilie Apafi erbaute Kirche die einzige in Siebenbürgen, wo die Wandmalereien katholischen Ursprungs immer sichtbar waren. An anderen Orten hatte man sie nach der Reformation übertüncht. Ihre Farben haben sich durch die Einwirkung von Feuchtigkeit und Salz im Laufe der Zeit stark verändert: Aus Blau wurde Grau und „das weiße Täubchen an der Kuppel ist inzwischen ein schwarzer Rabe“, scherzt Lorand Kiss. Will man die Originalfarben erahnen, so betrachte man die Kirchen von Eibesdorf/Igișu Nou oder Pretai/Brateiu, die von demselben Malerteam ausgestaltet wurden, jedoch lange Zeit von schützendem Putz bedeckt waren. Die „größten zusammenhängenden Wandmalereien Siebenbürgens“ in der evangelischen Kirche von Malmkrog sind 1920 nach einem Brand zwischen 1910 und 1915 restauriert worden.
Von einem unbekannten Meister stammt der gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstandene, kostbare Flügelaltar, aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts das spätgotische Chorgestühl aus der Werkstatt von Johannes Reychmut. Am anderen Ende des Kirchenschiffs thront auf der Empore eine Orgel aus dem Jahr 1925, erbaut im Temeswarer Atelier Wegenstein.
Kulinarisches, Musikalisches…
Durchaus erwähnenswert sind die kulinarischen und musikalischen Momente der Feier: das Klavier im Wald, ein weißer Flügel, geschützt von einer Zeltplane vor dem Regen, lässt Ana [tamp zu ihrer zauberhaften Gesangsstimme erklingen. „Cui nu-i place dragostea“ (wem die Liebe wohl nicht gefällt), das Lied hat allen Kindern in allen Dörfern besonders gefallen, erzählt eine junge Dorflehrerin. Später begleitet die Pianistin spontan den Chor aus Deutschweißkirch „Canta Viscri“, der vor dem Abendessen sein Repertoire zum Besten gibt. Das festliche Dinner , kreiert von Dana Graur˛ aus Fogarasch, klingt mit einer Parade der Küchenhelfer und Standing Ovations für die Küchenchefin aus.
… und ein Apfel-Festival
Am nächsten Tag sieht man viele Gäste wieder, statt „garden chic“ jetzt mit Mützen und in dicke Anoraks gehüllt, angelockt vom jährlichen Malmkroger Apfelfestival. Deftiges brutzelt schon auf dem Grill und statt erlesenen Häppchen bieten die Dorfleute selbstgemachte Kuchen, Käse, Placinte, Zuckerwatte, Brot oder Wein – und natürlich Äpfel - feil. Innerhalb von zwei Minuten ausverkauft sind die riesigen saftiggelben Birnen. Eine besondere Delikatesse hat Elena Pascu nach einem alten Rezept aus Mais und – kaum zu glauben – mit Asche zubereitet, serviert mit Weißdornhonig. Kinder verkaufen ihre kleinen Basteleien: Igel aus Tannenzapfen, mit Naturmaterialien als Blumenbilder dekorierte Baumscheiben, bestickte Schlüsselanhänger. Zwischen den Säulen des Herrenhauses sorgen Theo Hallmen und die Bläser des deutschen Forums aus Schäßburg für schmissige Musik. Unter dem Büffetzelt vom Vortag drehen sich jetzt rumänische Tanzgruppen in Tracht.
Zeit, die Malmkroger locker kennenzulernen: Nelu]u Linzing, zusammen mit seiner Frau Regina Verwalter des Apafi-Schlosses, nach 17 Jahren aus Deutschland für diesen Job zurückgekommen. Gheorge Neagu, der großartigen Weißwein feilbietet, entpuppt sich als Sandels Vater. Johana ist aus Schäßburg extra für Elena Pascu angereist, strahlend posieren die beiden fürs Foto. Ein Ort, zwei Veranstaltungen, wie sie verschiedener nicht sein könnten – und doch eine große Familie. Und Malmkrog? Fuchs und Hasen haben wir hier nicht angetroffen. Dafür ein lebendiges Dorf, eingebettet in wunderbare Natur, mit warmherzigen Menschen, die sich gemeinsam für eine nachhaltige Zukunft einsetzen. Wir versprechen ihnen, wiederzukommen!















